Kurt Burghardt
B. war 1931 bis 1933 Mitglied der 1929 gegründeten Ortsgruppe Heidenau der Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands. Damit gehörte er als Parteiloser zu einer kleinen Massenorganisation, die - wenigstens formell - nicht nur Mitgliedern und Sympathisanten der KPD offenstand. Seine Biografie und seine Fotografien sind nicht zuletzt in ihren Abweichungen von der Regel symptomatisch für die Arbeiterkultur der 1920er- und 1930er-Jahre. – Geboren als neuntes Kind eines Arbeiters war B. nach dem Besuch der Volksschule (1917-1925) zunächst als Bürohelfer in den Fluorwerken Dohna tätig. 1925 bis 1927 bildete er sich neben der Arbeit durch den Besuch der kaufmännischen Klasse der Berufsschule Heidenau weiter, woraufhin ihn der Betrieb Mitte 1930 als Lagerist einstellte und wo er bis zu seiner Verhaftung 1939 arbeitete. – Nach kurzer Mitgliedschaft im Jungdeutschen Orden, den er 1926 wieder verließ, trat B. 1930 dem Touristenverein „Die Naturfreunde“ bei. Ob er in der Fotosektion der Naturfreunde Dohna das Fotografieren erlernte, ist unbekannt. Gesichert ist, dass B. 1931 zu den Arbeiterfotografen stieß, wo er 1932 als Schriftführer und 1933 zusätzlich zum Kassierer gewählt wurde. Durch sein geregeltes Einkommen war er imstande, sich eine Leica-Kamera anzuschaffen, die aufgrund ihres hohen Kaufpreises für die weitaus meisten (und zumal die arbeitslosen) proletarischen Amateure unerreichbar war. Vermutlich nach dem Reichstagsbrand verbarg B. etwa 130 Negative und Abzüge unter den Dielen des Spitzbodens im Wohnhaus Dippoldiswalder Str. 17 in Dohna, wo sie im November 2010 aufgefunden wurden. Die Aufnahmen zeigen u.a. eine 1.-Mai-Demonstration und einen Sportlerumzug in Dohna bzw. Heidenau, die Großkundgebung der KPD mit
Ernst Thälmann auf der Radrennbahn Dresden-Reick am 19.7.1932 sowie einen Aufmarsch des Sozialistischen Schutzbunds der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) im Frühjahr 1932 in Pirna. Die letzten datierbaren Fotografien sind Blicke in die Ausstellung der Arbeiterfotografen im Heim des Kultur- und Sportkartells an der Heidenauer Radrennbahn vom 3. bis 5.12.1932. – Abgesehen von der motivischen Besonderheit, dass ein dem weiteren Umfeld der KPD zuzurechnender Fotograf einen Aufmarsch der SAP und damit wohl die relative Offenheit der politischen Milieus unterhalb der Funktionärsebene dokumentierte, zeigt gerade die Folge dieser zwölf Negative umfassenden Serie das Vermögen B.s als Fotograf. Er hatte sich durch Anschauung und Ausbildung die Regeln angeeignet, die v.a. in der „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ für abwechslungsreiche Bildreportagen propagiert worden waren: Wahl aussagekräftiger Szenen aus der Nähe, Darstellung von Massenszenen aus der Vogelperspektive sowie untersichtige Monumentalisierung von Hauptakteuren (hier die prominenten SAP-Politiker
Erich Melcher und
Kurt Liebermann). Wenn auch aus parteipolitischen Gründen eine Veröffentlichung sicher nicht zustande gekommen ist, steht die Serie doch symptomatisch für die Gründungsintention der Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands, die Parteipresse nicht zuletzt mithilfe von Fotografien aus der Arbeiterbewegung in die Medienmoderne zu überführen. – Frühjahr 1936 bis Mitte 1938 war B. in der örtlichen Widerstandsgruppe um
Rudolf Gebauer aktiv, in der er mit seinem Motorrad Kurierfahrten unternahm. Nach dem Tod Gebauers im Polizeigefängnis Dresden am 10.12.1938 wurde die Gruppe aufgedeckt. B. kam am 24.1.1939 in Schutzhaft und wurde am 14.12.1939 wegen Beihilfe zur Vorbereitung des Hochverrats zu 15 Monaten Zuchthaus verurteilt, die er in Waldheim verbüßte. Infolge der Wiederherstellung seiner Wehrwürdigkeit auf Antrag des Wehrmeldeamts Pirna vom 11.9.1942 wurde er am 7.6.1943 zum Strafbataillon 999 eingezogen, im Lager Heuberg bei Stetten am kalten Markt ausgebildet und Ende September auf den ägäischen Inseln eingesetzt. Nach der Kapitulation kam B. in englische Gefangenschaft nach Ägypten. – Nach der Rückkehr am 12.2.1947 wurde er am 12.3.1947 als „Kämpfer gegen den Faschismus“ anerkannt. B. meldete sich zur Kreispolizei Pirna, wo er zuletzt in Röhrsdorf bei Dohna bis Dezember 1950 Dienst tat. Anschließend fand er Beschäftigung als Hilfsmonteur im Sachsenwerk Niedersedlitz bei Dresden. – Die aus privaten Zusammenhängen überlieferten Fotografien B.s aus den 1930er- bis 1970er-Jahren entsprechen ganz den Bildthemen und -modi üblicher „Knipser“-Praxis mit ihren Alltags- und Familienszenen in personenzentrierten bzw. episch wenig akzentuierten Darstellungsweisen. Die von ihm überlieferten Fotografien werden seit 2011 in der Deutschen Fotothek aufbewahrt.
Quellen Der Arbeiter-Fotograf (1929-1933); Bundesarchiv Berlin, IML NJ-Fonds; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11430 Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden, VdN-Akten; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20036 Zuchthaus Waldheim; Stadtarchiv Heidenau, SED 1933-1989; Stadtarchiv Pirna, Polizeiberichte.
Literatur W. Hesse, Körper und Zeichen, Dresden 2012.
Porträt Fotografie, 1939, Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20036 Zuchthaus Waldheim (Bildquelle).
Wolfgang Hesse
12.7.2012
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Hesse, Artikel: Kurt Burghardt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26046 [Zugriff 22.12.2024].
Kurt Burghardt
Quellen Der Arbeiter-Fotograf (1929-1933); Bundesarchiv Berlin, IML NJ-Fonds; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 11430 Bezirkstag/Rat des Bezirkes Dresden, VdN-Akten; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20036 Zuchthaus Waldheim; Stadtarchiv Heidenau, SED 1933-1989; Stadtarchiv Pirna, Polizeiberichte.
Literatur W. Hesse, Körper und Zeichen, Dresden 2012.
Porträt Fotografie, 1939, Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 20036 Zuchthaus Waldheim (Bildquelle).
Wolfgang Hesse
12.7.2012
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Hesse, Artikel: Kurt Burghardt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/26046 [Zugriff 22.12.2024].