Ewald Sachsenberg
S. stammte aus einer bekannten Industriellenfamilie in Dessau an der Elbe. Bereits sein Großvater
Friedrich hatte 1844 gemeinsam mit seinen Brüdern das Familienunternehmen, die spätere „Maschinen- und Schiffbauanstalt Gebr. Sachsenberg“, gegründet. Nach dem Besuch des Herzoglichen Friedrichs-Gymnasiums in Dessau und einem Praktikum bei der Eisenbahndirektion Berlin studierte S. 1900 bis 1905 an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg Schiffs- und Maschinenbau. Nach dem Studium war er zwei Jahre im Konstruktionsbüro der
Friedrich Krupp AG Germaniawerft in Kiel tätig. 1907 wurde er an der Technischen Hochschule Berlin mit einer Dissertation zum Thema „Über den Widerstand von Schleppzügen” zum Dr.-Ing. promoviert. Nach einem Arbeits- und Studienaufenthalt in Großbritannien trat er im Sommer 1908 als Prokurist und Technischer Leiter in eine Tochterwerft des Familienunternehmens Gebrüder Sachsenberg AG in Köln-Deutz ein. Während des Ersten Weltkriegs arbeitete er als Betriebsdirigent der Kaiserlichen Werft Wilhelmshaven. Anschließend war er als Organisationsingenieur und Betriebsleiter der Firma R. Frister AG in Berlin-Oberschöneweide sowie als Prokurist und Berater der Reichstreuhandgesellschaft AG in Berlin, Abteilung Marine, tätig. – Nach 16-jähriger Berufspraxis und aufbauend auf zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten legte S. 1920 gleichfalls an der Technischen Hochschule Berlin seine Habilitationsschrift vor und begann eine erfolgreiche Lehrtätigkeit als Privatdozent für Werftorganisation und Werftbetriebsverfahren. In seiner Berliner Zeit, die von reger Publikationstätigkeit geprägt war, hatte er das Amt des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Betriebsingenieure inne und war Schriftleiter des Ressorts Kleinschiffbau in der Zeitschrift „Der Schiffbau”. – Als 1920 an der Mechanischen Abteilung der Technischen Hochschule Dresden auf Drängen der Industrie ein Lehrstuhl für Betriebswissenschaften eingerichtet werden sollte und dafür ein geeigneter Kandidaten gesucht wurde, kam auch S. ins Gespräch. Nach einem mit großer Umsicht betriebenen Berufungsverfahren (die Berufung von
Rudolf Hundhausen auf einen Lehrstuhl für Spezielle Technologie 1907 hatte sich als eine Fehlbesetzung erwiesen) folgte am 1.5.1921 die Berufung des praxiserfahrenen S. zum ordentlichen Professor für Betriebswissenschaften. Mit ausschlaggebend dafür war u.a. S.s erfolgreiche Tätigkeit in der Arbeitsgemeinschaft deutscher Betriebsingenieure (ADB), die im Zuge der Rationalisierung der Industrie nach dem Ersten Weltkrieg zur maßgeblichen Stelle für moderne Normung, wirtschaftliche Fertigung und Betriebsorganisation geworden war. – Der 42-jährige S., er war indessen verheiratet und hatte zwei Kinder, übersiedelte nach Dresden und begann hier eine langjährige, außerordentlich fruchtbare und bahnbrechende wissenschaftliche Tätigkeit. Neben dem Lehrauftrag für Allgemeine Mechanische Technologie, Fertigungslehre und Betriebswissenschaften oblag ihm als Sammlungsdirektor die Aufsicht über die Mechanisch-Technologische Sammlung, die er sukzessive durch eine Sammlung für Betriebswissenschaften erweiterte. Zum systematischen Aufbau der Betriebswissenschaften an der Technischen Hochschule Dresden unter der Ägide von S. zählte 1922 die Gründung eines Psychotechnischen Instituts. Im Jahr darauf folgte die Gründung eines Instituts für Werkzeugmaschinenuntersuchungen und Fertigungsverfahren sowie 1924 die Zusammenlegung des letzteren mit dem Lehrstuhl für Mechanische Technologie. Damit einher ging die Einrichtung bzw. die Erweiterung entsprechender Experimentaleinrichtungen. Hervorzuheben ist der Aufbau des Verpackungs-Prüffeldes im Jahr 1928, des ersten und damals einzigen seiner Art in Deutschland. Das von S. weitsichtig errichtete Wissenschaftsgebäude verband die technischen und organisatorischen Elemente des Fabrikbetriebs mit den arbeitswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Elementen der Fertigungsprozesse und stellte damit eine zeitgemäße und angemessene Reaktion auf die Rationalisierungsbestrebungen der Industrie dar. Mit der von S. eingeleiteten Expansion der Betriebswissenschaften erlebten die modernen, auf Fertigung und Produktion gerichteten Disziplinen des Maschinenwesens eine erste Blütezeit. Dies kam auch 1928 in einer beeindruckenden Präsentation auf der Jahresschau Deutscher Arbeit in Dresden zum Ausdruck. Hohe wirtschaftliche und wissenschaftliche Anforderungen sowie Inflation und drückende Konkurrenz unterstrichen den Stellenwert des Betriebsingenieurs bei der Erzeugung weltmarktfähiger Produkte. Dies schlug sich auch in der Ingenieursausbildung nieder. Entsprechende Vorlesungen über Werkzeugmaschinen, Fabrikbetrieb, Vorrichtungsbau und Arbeitswissenschaften richtete S. ganz auf die Schwerpunkte der Industriepraxis aus. 1931 fanden z.B. erste Seminare über Arbeitspsychologie statt. Das von der Psychotechnik getragene Forschungsprofil von S. sollte sich als besonders nachhaltig erweisen, weil es den arbeitenden Menschen neben den maschinellen und Verfahrensgrundlagen als wichtige Säule der Betriebswissenschaften betrachtete. Eigens für arbeitswissenschaftliche und psychotechnische Untersuchungen und Tests sind an S.s Institut spezielle Messgeräte entwickelt worden. – Neben umfangreicher Lehr-, Forschungs- und Publikationstätigkeit war S. mit verschiedenen Leitungsaufgaben betraut, so im Ausschuss für Wissenschaftliche Fertigung und als Dekan der Mechanischen Abteilung. S. bildete mehr als 260 Diplomanden und 116 Doktoranden aus, die als leistungsfähige Betriebsingenieure ihren Platz in der Industrie fanden. Außerdem gingen aus seiner betriebswissenschaftlichen Schule namhafte Professoren wie
Gotthold Pahlitzsch (Technische Hochschule Braunschweig),
Werner Osenberg (Technische Hochschule Hannover),
Heinz Schimming (Hochschule für Verkehrswesen Dresden) sowie Kurt Koloc, Werner Gruner,
Alfred Richter und
Horst Berthold (alle Technische Hochschule Dresden) hervor. – Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten begann für den nationalliberal gesinnten und dem Freimaurertum zugehörigen S. eine konfliktreiche Zeit. Sie endete schließlich 1939 mit seiner Beurlaubung wegen Nichterfüllung der Bedingungen des Berufsbeamtengesetzes und 1940 mit seiner vorzeitigen Abberufung als Hochschullehrer. 1946 verstarb S. nach schwerer Krankheit in Berlin.
Werke Über den Widerstand von Schleppzügen, Diss. Berlin 1907; Rauchverbrennung auf Flußschiffen, Berlin 1911; Grundlagen der Fabrikorganisation, Berlin 1917; Kleinschiffbau, Habilitation Berlin 1920; Mechanische Technologie der Metalle, Leipzig 1924; Wirtschaftliches Verpacken, Berlin 1926; Arbeitsgenauigkeit der Werkzeugmaschinen unter Berücksichtigung auftretender Schnittkräfte, Berlin 1930.
Literatur S. H. Richter, Prof. Dr.-Ing. Ewald S., in: W. Rockstroh, Betriebswissenschaften und Produktionstechnik an der Technischen Universität Dresden, Dresden 1996. – DBA II, III; DBE 8, S. 490; NDB 22, S. 338f.
Porträt Porträtfotografie, U. Richter, um 1925, Kustodie der Technischen Universität Dresden (Bildquelle).
Klaus Mauersberger
3.9.2009
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Mauersberger, Artikel: Ewald Sachsenberg,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9786 [Zugriff 2.11.2024].
Ewald Sachsenberg
Werke Über den Widerstand von Schleppzügen, Diss. Berlin 1907; Rauchverbrennung auf Flußschiffen, Berlin 1911; Grundlagen der Fabrikorganisation, Berlin 1917; Kleinschiffbau, Habilitation Berlin 1920; Mechanische Technologie der Metalle, Leipzig 1924; Wirtschaftliches Verpacken, Berlin 1926; Arbeitsgenauigkeit der Werkzeugmaschinen unter Berücksichtigung auftretender Schnittkräfte, Berlin 1930.
Literatur S. H. Richter, Prof. Dr.-Ing. Ewald S., in: W. Rockstroh, Betriebswissenschaften und Produktionstechnik an der Technischen Universität Dresden, Dresden 1996. – DBA II, III; DBE 8, S. 490; NDB 22, S. 338f.
Porträt Porträtfotografie, U. Richter, um 1925, Kustodie der Technischen Universität Dresden (Bildquelle).
Klaus Mauersberger
3.9.2009
Empfohlene Zitierweise:
Klaus Mauersberger, Artikel: Ewald Sachsenberg,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9786 [Zugriff 2.11.2024].