Otto Victor I. von Schönburg
O. gilt als der bedeutendste Vertreter des schönburgischen Adelsgeschlechts im 19. Jahrhundert. Der sein gesamtes Leben und Wirken kennzeichnende Widerspruch zwischen starkem politischen Engagement und sozial-karitativem Handeln einerseits und reaktionärer Herrschaftspraxis andererseits hat in der sächsischen Historiografie zu den unterschiedlichsten Bewertungen geführt. – Unter der Obervormundschaft seiner Mutter stehend, wurde O. am Waldenburger Hof erzogen. 1802 bis 1805 studierte er an den Universitäten Leipzig und Göttingen, wobei er sich umfassende kameralistische und juristische Spezialkenntnisse aneignete. Im Sommer 1805 bereiste er Südwestdeutschland und die Schweiz, doch trat er noch im selben Jahr angesichts des Ausbruchs des Dritten Koalitionskriegs gegen Frankreich in die österreichische Armee ein, mit der er bereits im Oktober 1805 an der Schlacht von Ulm teilnahm. Nach dem Beitritt Sachsens zum Rheinbund (1806) schied O. am 30.10.1808 zwangsweise aus der österreichischen Armee aus. Fortan stand er in Verbindung zu Frankreich und seinen Verbündeten. Nachdem er 1810 bereits der Vermählung
Napoleons mit Erzherzogin
Marie Louise in Paris beigewohnt hatte und zwischenzeitlich seine Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat durch den sächsischen König Friedrich August I. erfolgt war (1811), fungierte O. bei der Zusammenkunft Napoleons mit Kaiser
Franz I. von Österreich, König
Friedrich Wilhelm III. von Preußen und mehreren deutschen Fürsten 1812 in Dresden als Oberhofmeister der Kaiserin Marie Louise. Nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 beeilte sich O., seine Gegnerschaft zu Frankreich zu bekunden, indem er wiederum in die Armee, diesmal in ein sächsisches Husarenregiment, eintrat. 1815 wechselte er als preußischer Oberst in den Generalstab
Gebhard Leberecht von Blüchers. In der Schlacht bei Waterloo erlitt O. eine Verwundung am Fuß, was am 31.3.1817 zu seiner Dienstentlassung im Rang eines Generalmajors und in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung zu seiner Stilisierung zum Patrioten führte. – Im Streit um das väterliche Erbe sah sich O. mit Besitzansprüchen seiner Brüder Friedrich Alfred, Heinrich Eduard und
Otto Hermann konfrontiert. Diese verweigerten die Anerkennung einer Primogeniturordnung von 8.4.1786, derzufolge die Stammbesitzungen der Oberen Linie des Hauses Schönburg allein auf O. übergehen sollten. Ein 1811 angestrengter Primogenitur- und Allodialprozess endete am 21.1.1813 mit einem Vergleich, in dem O. die Herrschaften Hartenstein und Stein freigab, während er selbst Waldenburg, Lichtenstein und Remse behielt. Später erweiterte O. seine Besitzungen um die Rittergüter Gauernitz (1820), Droyßig (1839) und Belgershain (1852), dazu verschiedene Güter in Bayern, im Herzogtum Krain und in Brasilien. – Als Politiker und Diplomat vertrat O. zusammen mit seinem Bruder Friedrich Alfred beim Wiener Kongress 1815 die Interessen des Hauses Schönburg und erlangte dort eine Garantieerklärung der europäischen Großmächte über die Beibehaltung der durch die Rezesse von 1740 festgeschriebenen Sonderstellung der Schönburgischen Herrschaften im Königreich Sachsen. Den sächsischen Landtagen gehörte er ab 1820 ununterbrochen an. 1831 wählte ihn die allgemeine Ritterschaft des Meißnischen Kreises zu ihrem Direktor. Als Mitglied der Verfassungs- und Gesetzgebungsdeputation beteiligte sich O. an der Ausarbeitung der sächsischen Verfassung vom 4.9.1831. Nachgewiesen ist auch O.s rege Mitwirkung an der Abfassung weiterer wichtiger Reformgesetze, wie z.B. dem Kriminalgesetzbuch und dem Forstgesetz von 1838. O.s juristische und innenpolitische Kompetenz brachte ihn sogar ins Gespräch um einen Ministerposten, doch lehnte er umgehend ab. Stattdessen sah er sich seit Beginn der 1830er-Jahre gegenüber dem Königreich Sachsen verstärkt zur Vertretung der Hausinteressen veranlasst, da die sächsischen Staatsreformen die Beseitigung weiterer schönburgischer Sonderrechte befürchten ließen. Aus ungünstiger Verhandlungsposition heraus musste O. dabei durch den Erläuterungsrezess vom 9.10.1835 die Aufhebung des schönburgischen Besteuerungsrechts und der zweitinstanzlichen Gerichtsbarkeit hinnehmen. – In seinem Herrschaftsgebiet trat O. als Förderer von Bildung, Wissenschaft und Volkswohlfahrt, aber zugleich auch als Exponent des reaktionären Feudaladels in Erscheinung. Unter O.s Stiftungen kommt den zahlreichen Hospitälern eine besondere Bedeutung zu. In wirtschaftlichen Krisenzeiten initiierte O. Armenunterstützungen und Notstandsprogramme für Arbeitssuchende. 1819 richtete er die „Fürstlich Schönburgische Sparkasse“ ein. Seine Regentschaft gilt daher zu Recht als Höhepunkt paternalistischer Herrschaftspraxis in der schönburgischen Geschichte. Dem erwachenden Volksbildungsgedanken trug die Einrichtung eines Lehrerseminars in Waldenburg (1844) und einer gleichartigen Anstalt für Lehrerinnen in Callnberg (1845) Rechnung. Den Anspruch einer hochrangigen Bildungsstätte vertrat auch das von O. gegründete Fürstlich Schönburgische Naturalienkabinett, dessen Grundstock die 1840 erworbene, nach fachwissenschaftlichen Gesichtpunkten geordnete Naturalien- und Kunstsammlung der Leipziger Apothekerfamilie Linck bildete. – Gleichwohl standen weite Teile der Bevölkerung O.s Regentschaft aufgrund seines autoritären Herrschaftsstils und seines zähen Festhaltens an unzeitgemäßen Feudalrechten reserviert bis ablehnend gegenüber. Gesellschaftliche Missstände wurden mit dem Fürsten persönlich in Verbindung gebracht. Konfliktstoff lieferte dabei v.a. die absichtliche Verschleppung zahlreicher Reformmaßnahmen, namentlich der Einführung der Allgemeinen Städteordnung oder der Umsetzung der Ablösungsgesetzgebung. Da O. keinerlei Konzessionsbereitschaft erkennen ließ, entlud sich der Volkszorn am 5.4.1848 in der gewaltsamen Zerstörung von Schloss Waldenburg. O. floh mit seiner Familie nach Altenburg und kehrte erst 1849 wieder zurück. Die Waldenburger Ereignisse bildeten den Auftakt für die Revolution 1848/49 in Sachsen. Nach 1848 zog sich O. nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben zurück. Lediglich seine Ernennung zum Ehrenpräsidenten der Asiatischen Gesellschaft Paris (1852) und zum Mitglied des sächsischen Staatsrats (1855) sorgten noch einmal für Aufsehen.
Literatur K. G. Eckardt, O., Fürst von Schönburg-Waldenburg in seinem öffentlichen Leben und Wirken geschildert, Waldenburg/Leipzig [1859]; C. D. v. Witzleben, Die Entstehung der constitutionellen Verfassung des Königreiches Sachsen, Leipzig 1881, S. 205-209; E. Eckardt, Chronik von Glauchau, Glauchau 1882, S. 128-130; Ein Wohlthäter der Schönburgischen Lande, in: Schönburgische Geschichtsblätter 1/1894/95, S. 1-11, 65-72; H. Colditz, Aus der Geschichte Schönburgs, Lichtenstein 1907, S. 69-77; W.-D. Röber, Schönburgische Burgen und Schlösser im Tal der Zwickauer Mulde, Beucha 1999, S. 62-66 (P); M. Wetzel, Das schönburgische Amt Hartenstein 1702-1878, Leipzig 2004, S. 139-142 (P); A.-R. Grimmer, O. Fürst von Schönburg-Waldenburg, in: Zwischen Residenz und Töpferscheibe. 750 Jahre Waldenburg, Meerane 2004, S. 65-79 (P).
Porträt Fürst O. von Schönburg-Waldenburg, P. Rohrbach, Lithografie nach einem Gemälde von F. Bender, Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau (Bildquelle).
Michael Wetzel
7.11.2007
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Otto Victor I. von Schönburg,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3566 [Zugriff 2.11.2024].
Otto Victor I. von Schönburg
Literatur K. G. Eckardt, O., Fürst von Schönburg-Waldenburg in seinem öffentlichen Leben und Wirken geschildert, Waldenburg/Leipzig [1859]; C. D. v. Witzleben, Die Entstehung der constitutionellen Verfassung des Königreiches Sachsen, Leipzig 1881, S. 205-209; E. Eckardt, Chronik von Glauchau, Glauchau 1882, S. 128-130; Ein Wohlthäter der Schönburgischen Lande, in: Schönburgische Geschichtsblätter 1/1894/95, S. 1-11, 65-72; H. Colditz, Aus der Geschichte Schönburgs, Lichtenstein 1907, S. 69-77; W.-D. Röber, Schönburgische Burgen und Schlösser im Tal der Zwickauer Mulde, Beucha 1999, S. 62-66 (P); M. Wetzel, Das schönburgische Amt Hartenstein 1702-1878, Leipzig 2004, S. 139-142 (P); A.-R. Grimmer, O. Fürst von Schönburg-Waldenburg, in: Zwischen Residenz und Töpferscheibe. 750 Jahre Waldenburg, Meerane 2004, S. 65-79 (P).
Porträt Fürst O. von Schönburg-Waldenburg, P. Rohrbach, Lithografie nach einem Gemälde von F. Bender, Museum und Kunstsammlung Schloss Hinterglauchau (Bildquelle).
Michael Wetzel
7.11.2007
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Otto Victor I. von Schönburg,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3566 [Zugriff 2.11.2024].