Lorentz Hörnig

H. muss zu den bedeutenden Bildhauern Sachsens in der Zeit um 1600 gerechnet werden. – H., der nach eigenem Bezeugen aus Apolda stammte, absolvierte die Ausbildung zum Bildhauer vermutlich in seiner thüringischen Heimatstadt. Über seine Zeit als Lehrling und als junger Geselle ist nichts bekannt. Nach Abschluss der Lehre muss H. zu einer mindestens zweijährigen Wanderschaft aufgebrochen sein. In welche Gegenden ihn seine Reise führte und bei welchen Meistern er während dieser Zeit Aufnahme und Arbeit fand, ist ungeklärt. Im Lauf des Jahres 1599 traf H. wohl bereits in Pirna ein. Aller Wahrscheinlichkeit nach fand er Aufnahme bei dem Bildhauer Michael Schwencke. Vermutlich arbeitete H. bereits eine Zeit lang in der Werkstatt, bevor 1600 die Vorbereitungszeit für die Erlangung der Meisterrechts begann, das er zugleich mit dem Bürgerrecht im Februar 1601 erworben haben dürfte. Damit war er berechtigt, eine eigene Werkstatt zu führen. Seit 1603 übte er regelmäßig das Amt des Viermeisters der Zunft der Bildhauer, Steinmetzen und Maurer aus. – Ein eigenständig geschaffenes Werk des Bildhauermeisters H. lässt sich erstmals mit dem um 1603/04 geschaffenen und in der Kirche zu Lauenstein errichteten Epitaph für Katharina von Bünau und ihren Bruder stilistisch nachweisen, das dem Frühwerk des jungen Meisters zuzuordnen ist. Das strenge Ordnungsprinzip, dem die Ornamentik als auch Reliefs und Figuren untergeordnet sind, muss in Abhängigkeit von den Werken Michael Schwenckes gesehen werden. Der Figurenstil, insbesondere jener der Relief- und der Volutenfiguren, zeigt sichtbare Unsicherheiten im Umgang mit dem menschlichen Körper. Einerseits wirken Antlitz und Gesten der Gestalten puppenhaft starr, was im größtmöglichen Gegensatz zu den lebhaft bewegten, veristisch wirkenden Figuren Schwenckes steht. Andererseits lässt sich schon bei dieser frühen Arbeit ein Merkmal beobachten, dem H. Zeit seines Lebens verpflichtet bleiben sollte: eine im Sinne des horror vacui überreiche und beinahe alles überlagernde Dekoration. Seine Vorliebe für Schmucksteine und plastisch gebildete Köpfe und Masken kommt hier, wenn auch noch zurückhaltend, zum Tragen. – Ein erster Stilwandel lässt sich um 1606 mit den Schwadener Werken für Friedrich von Salhausen und den Fragmenten einer Kanzel in Oelsen feststellen. Sein Figurenstil von Relieffiguren wie freiplastisch gearbeiteten Skulpturen entwickelt sich hin zu natürlicher wirkenden Bewegungen. Mit ihren spezifischen Gestaltungsmerkmalen unterscheidet sich diese Gruppe von Werken vom übrigen Œuvre des Meisters. Offenbar versuchte sich H. in dieser Phase seines Schaffens von den formal strengen Werken Schwenckes im Stil der Spätrenaissance zu lösen und über das Experimentieren mit neuen Architekturgliedern und Dekorationen zu einem eigenen Stil seiner Scheinarchitekturen zu gelangen. – Mit dem Portal für die Begräbniskapelle der Familie von Bünau auf Lauenstein kehrt H. um 1608/09 zu dem durch vorgelagerte Säulen streng gegliederten und mehrschichtigen Aufriss zurück. Gegenüber dem frühen Kinderepitaph hat nicht nur die Vielzahl an einzelnen Dekorationselementen und -formen zugenommen, sondern auch die bildhauerische Qualität seiner Werke. Dies gilt besonders für die Relieffiguren, die die Unsicherheiten des Frühwerks vollkommen hinter sich gelassen haben und jetzt einen sicheren und geübten Umgang mit dem menschlichen Körper zeigen. Nur wenig später entstand mit dem Epitaph für eine ältere Tochter der Familie von Bünau auf Lauenstein ein Werk, dessen überreiche ornamentale Zier den Höhepunkt im Schaffen H.s markiert. Die einzelnen Glieder werden hierbei nicht nur im Sinne des horror vacui von der Dekoration überlagert, sondern teilweise ornamental umgedeutet und damit zersetzt. Zurückführen lässt sich das Zersetzen der tektonischen Elemente und der damit einhergehende Verlust der subordinierenden Kraft des Architekturgerüsts auf den Einfluss grafischer Vorlagen. Zugleich wird dem in Auflösung begriffenen Werk durch die erstmals von H. verwendeten dunklen Säulenschäfte dem tektonischen Gerüst seine ordnende Kraft wiedergegeben. Mit seinem Hauptwerk, dem Epitaph der Familie von Bünau in der Stadtkirche Lauenstein, befindet sich H. auf dem Höhepunkt seines Schaffens. H. fügt hier Elemente zusammen, die er in den vorausgegangenen Arbeiten entwickelt oder aber bei Schwencke beobachtet hatte. Die zwischen 1611 und 1615 entstandenen Werke, von denen sich nur Fragmente in Schöbritz (tschech. Všebořice) und Aussig (tschech. Ústí nad Labem) erhalten haben, charakterisiert eine sehr präzise, scharfe Linienführung der Falten und Ausarbeitung der Haare. Mit der Figurengrabplatte für Margarete von Bünau in Lauenstein wandelt sich H.s Stil und es ist eine weniger sorgfältige plastische Durchbildung von großen wie kleinen Details sowie die Verminderung und flächenbezogene Behandlung des Dekorationsapparats zu beobachten. Gegen Ende seines Lebens lässt sich mit dem Taufstein in Schwaden (tschech. Svádov) ein vollkommener Wandel im Decorum beobachten. Bemerkenswert ist, dass sich der Meister bis 1619 überwiegend von dem um 1600 international verbreiteten Dekorationskanon aus dem Umkreis des Cornelis Floris und den phantasievollen Schöpfungen Wendel Dietterlins anregen ließ. Doch was die Figurenbehandlung und die innovativen Formgebungen angeht, steht H. dem Bildhauer Schwencke deutlich nach. In der Rezeption und Verarbeitung vorbildhafter Werke und grafischer Vorlagen zu eigenständigen, insbesondere durch die Ornamentbehandlung ausgezeichneten Werken zeigt sich das Talent H.s, und es manifestiert sich zugleich die Andersartigkeit seiner Werke.

Quellen Kreisarchiv Pirna, Tauf- und Totenbücher, Trauregister; Stadtarchiv Pirna, Ratsprotokolle, Kämmereirechnungen; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Gerichtsbücher: Stadtbücher Pirna (Kaufbuch), Stadtbücher Pirna (Konsensbuch), Grundherrschaft Lauenstein, Nr. 746, Grundherrschaft Lauenstein, Nr. 777.

Werke Epitaph für Katharina von Bünau und einen namenlosen Bruder, 1604, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; zwei Kirchhofportale, um 1606, Sandstein, Kirche des hl. Jakob des Größeren Schwaden; Altarretabel, um 1606, Sandstein, Kirche des hl. Jakob des Größeren Schwaden; Altarretabel, 1607, Sandstein, St. Wenzelskirche Raudnig (tschech. Roudníky); Portal Begräbniskapelle, 1608/09, Sandstein, Jaspis, Achat, Chalcedon, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; fünf Brüstungselemente eines Kanzelkorbs, vor 1609, Sandstein, Ev.- luth. Kirche Oelsen; Taufstein (Fuß), vor 1609, Sandstein, Ev.- luth. Kirche Oelsen; Epitaph für eine Tochter Günther von Bünaus, 1609, Sandstein, sog. Wildenfelser Marmor, Alabaster (?), Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Figurengrabplatte für Margarete von Bünau, geb. Bredow, 1609/10, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; fünf Konsolen mit anthropomorphen Büsten, 1610/11, Sandstein, Saal, Schloss Lauenstein; Epitaph für die Familie von Bünau, 1611-1613, Sandstein, Alabaster (Wappen), sog. Wildenfelser Marmor, Jaspis, Achat, Chalcedon, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; zwei Torsi eines Epitaphs für zwei Kinder der Familie von Bünau, ca. 1611-1615, Sandstein, Stadtmuseum Aussig; Fragmente eines Epitaphs für Wolf Soldan von Steinbach und Margarete von Lungwitz, ca. 1611-1615, Sandstein, St. Nikolauskirche Schöbritz; Fragment eines Epitaphs für Johannes Albrecht von Steinbach, um 1615, Sandstein, St. Nikolauskirche Schöbritz; Personifikation der Justitia, 1611/12, Sandstein, Bekrönung des Westgiebels des Rathauses zu Pirna (verschollen); acht Konsolen mit anthropomorphen Büsten, um 1615, Sandstein, Torhaus Schloss Lauenstein; Figurengrabplatte für Margarete von Bünau, geb. Schleinitz, 1615/16, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Altarkruzifix, nach 1612, Sandstein, Alabaster, Holz, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Figurengrabplatte für Bernhard Kölbel von Geising, 1616, Sandstein, Kirche des hl. Gallus Kulm (tschech. Sv. Havla Chlumec); Figurengrabplatte für Peter Kölbel von Geising, 1619/20, Sandstein, Kirche des hl. Gallus Kulm; Figurengrabplatte für Günther von Bünau, 1619, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Taufstein, 1623/24, Sandstein, Marmor und Alabaster (?), Kirche des hl. Jakob des Größeren Schwaden.

Literatur V. A. Carus, Das Altarwerk zu Lauenstein und die Anfänge des Barock in Sachsen, Stuttgart 1912; L. W. Bachmann/W. Hentschel (Bearb.), Die Kunstdenkmäler des Freistaates Sachsen, Bd. 1: Die Stadt Pirna, Dresden 1929; W. Hentschel, Sächsische Renaissancebildhauer in Nordböhmen, Brüx 1932; ders., Sächsische Renaissance-Bildhauer in Nordwestböhmen, in: Beiträge zur Heimatkunde des Aussig-Karbitzer Bezirkes 12/1932, H. 2/3, S. 53-69; E. Schwarm, Pirnaer Skulptur um 1600, Diss. Kiel 1996; dies., Die Pirnaer Bildhauerfamilien Schwencke und Hörnig, in: A. Albrecht/J. Möser/A. Sturm (Hg.), Historischer Haus- und Städtebau im böhmisch-sächsischen Raum, Ústí nad Labem 1999, S. 77-90. – Thieme/Becker, Bd. 17/18, Leipzig 1999, S. 523f.

Elisabeth Schwarm
1.12.2006


Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Schwarm, Artikel: Lorentz Hörnig,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24711 [Zugriff 20.4.2024].

Lorentz Hörnig



Quellen Kreisarchiv Pirna, Tauf- und Totenbücher, Trauregister; Stadtarchiv Pirna, Ratsprotokolle, Kämmereirechnungen; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Gerichtsbücher: Stadtbücher Pirna (Kaufbuch), Stadtbücher Pirna (Konsensbuch), Grundherrschaft Lauenstein, Nr. 746, Grundherrschaft Lauenstein, Nr. 777.

Werke Epitaph für Katharina von Bünau und einen namenlosen Bruder, 1604, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; zwei Kirchhofportale, um 1606, Sandstein, Kirche des hl. Jakob des Größeren Schwaden; Altarretabel, um 1606, Sandstein, Kirche des hl. Jakob des Größeren Schwaden; Altarretabel, 1607, Sandstein, St. Wenzelskirche Raudnig (tschech. Roudníky); Portal Begräbniskapelle, 1608/09, Sandstein, Jaspis, Achat, Chalcedon, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; fünf Brüstungselemente eines Kanzelkorbs, vor 1609, Sandstein, Ev.- luth. Kirche Oelsen; Taufstein (Fuß), vor 1609, Sandstein, Ev.- luth. Kirche Oelsen; Epitaph für eine Tochter Günther von Bünaus, 1609, Sandstein, sog. Wildenfelser Marmor, Alabaster (?), Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Figurengrabplatte für Margarete von Bünau, geb. Bredow, 1609/10, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; fünf Konsolen mit anthropomorphen Büsten, 1610/11, Sandstein, Saal, Schloss Lauenstein; Epitaph für die Familie von Bünau, 1611-1613, Sandstein, Alabaster (Wappen), sog. Wildenfelser Marmor, Jaspis, Achat, Chalcedon, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; zwei Torsi eines Epitaphs für zwei Kinder der Familie von Bünau, ca. 1611-1615, Sandstein, Stadtmuseum Aussig; Fragmente eines Epitaphs für Wolf Soldan von Steinbach und Margarete von Lungwitz, ca. 1611-1615, Sandstein, St. Nikolauskirche Schöbritz; Fragment eines Epitaphs für Johannes Albrecht von Steinbach, um 1615, Sandstein, St. Nikolauskirche Schöbritz; Personifikation der Justitia, 1611/12, Sandstein, Bekrönung des Westgiebels des Rathauses zu Pirna (verschollen); acht Konsolen mit anthropomorphen Büsten, um 1615, Sandstein, Torhaus Schloss Lauenstein; Figurengrabplatte für Margarete von Bünau, geb. Schleinitz, 1615/16, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Altarkruzifix, nach 1612, Sandstein, Alabaster, Holz, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Figurengrabplatte für Bernhard Kölbel von Geising, 1616, Sandstein, Kirche des hl. Gallus Kulm (tschech. Sv. Havla Chlumec); Figurengrabplatte für Peter Kölbel von Geising, 1619/20, Sandstein, Kirche des hl. Gallus Kulm; Figurengrabplatte für Günther von Bünau, 1619, Sandstein, Ev.-luth. Stadtkirche Lauenstein; Taufstein, 1623/24, Sandstein, Marmor und Alabaster (?), Kirche des hl. Jakob des Größeren Schwaden.

Literatur V. A. Carus, Das Altarwerk zu Lauenstein und die Anfänge des Barock in Sachsen, Stuttgart 1912; L. W. Bachmann/W. Hentschel (Bearb.), Die Kunstdenkmäler des Freistaates Sachsen, Bd. 1: Die Stadt Pirna, Dresden 1929; W. Hentschel, Sächsische Renaissancebildhauer in Nordböhmen, Brüx 1932; ders., Sächsische Renaissance-Bildhauer in Nordwestböhmen, in: Beiträge zur Heimatkunde des Aussig-Karbitzer Bezirkes 12/1932, H. 2/3, S. 53-69; E. Schwarm, Pirnaer Skulptur um 1600, Diss. Kiel 1996; dies., Die Pirnaer Bildhauerfamilien Schwencke und Hörnig, in: A. Albrecht/J. Möser/A. Sturm (Hg.), Historischer Haus- und Städtebau im böhmisch-sächsischen Raum, Ústí nad Labem 1999, S. 77-90. – Thieme/Becker, Bd. 17/18, Leipzig 1999, S. 523f.

Elisabeth Schwarm
1.12.2006


Empfohlene Zitierweise:
Elisabeth Schwarm, Artikel: Lorentz Hörnig,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24711 [Zugriff 20.4.2024].