Leo Bönhoff
B. gehörte zweifellos zu den wichtigsten sächsischen Kirchen- und Landeshistorikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er trat mit zahlreichen Einzelstudien zu verschiedenen Problemen der Lokal-, Regional- und Landesgeschichte hervor. Im Mittelpunkt seiner Forschungen standen Arbeiten zur Reformation, zur Ersterwähnung einiger Orte sowie zur mittelalterlichen Kirchen- und Herrschaftsorganisation. Hierin spiegeln sich die zwei großen kirchengeschichtlichen Themenkreise wider, die B. wie auch weite Teile der universitären Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung seiner Zeit immer wieder bewegten: die christliche Mission und der damit verbundene Ausbau kirchlicher Strukturen sowie die Einführung der Reformation. Diese beiden geschichtlichen Vorgänge betrachtete B. als wesentliche Faktoren der kulturellen Entwicklung Sachsens. Bemerkenswert sind ebenso B.s Untersuchungen zur mittelalterlichen Geschichte des Erzgebirges. Seine Abhandlungen zu Burgen und Uradel dieser Region und die Herausgabe der Chronik des Christian Lehmann sowie der Annaberger Annalen des Petrus Albinus sind grundlegend und werden bis heute von der Forschung rezipiert. Dies gilt ebenso für seine Publikationen zur Gau- und Ämterorganisation sowie zu den Besitzverhältnissen verschiedener geistlicher Institutionen in Bistum und Mark Meißen im Mittelalter. Neben diesen Arbeiten veröffentlichte B. besonders in den ersten Jahren seiner Pfarrtätigkeit auch Beiträge zur biblischen Theologie und frühen Kirchengeschichte. – Den ersten Unterricht erhielt B. in der Dorfschule in Throta, der sog. Parallelschule, und in der Schule der Franckeschen Stiftungen in Halle/Saale. Nach dem Umzug der Familie nach Sachsen besuchte er bis 1890 das Wettiner Gymnasium in Dresden. Anschließend nahm er das Studium der Theologie und Philosophie in Tübingen auf, wechselte aber bereits nach zwei Semestern nach Leipzig und studierte dort u.a. bei Christoph Ernst Luthardt, Georg Rietschel und Albert Hauck. Besonders Letzterer weckte B.s Interesse für die sächsische Landesgeschichte. Nach dem Studium absolvierte B. seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger in Dresden. 1894 wurde er mit einer Arbeit zu
Aldhelm von Malmesbury an der Universität Leipzig zum Dr. phil. promoviert. Zwei Jahre später erlangte er den Grad eines Lizenziaten der Theologie. Bevor B. 1897 dem Predigerkolleg in Leipzig beitrat und ab 1898 das Diakonat der Petrikirche in Dresden verwaltete, war er zwei Jahre als Hauslehrer in Krippen tätig. Als Vikar übernahm er im folgenden Jahr die Pfarrstelle in der Kirchgemeinde in Pleissa bei Chemnitz, deren ständiger Pfarrer er 1900 bis 1903 war. – Mit seinem Wechsel in das Amt des Diakons an der Annenkirche in Annaberg 1903 arbeitete er zunehmend zur Geschichte des Erzgebirges. 1912 wurde B. Archidiakon an der Matthäuskirche in Dresden und 1925 deren Pfarramtsleiter. Zugleich musste B. in den 1920er-Jahren teilweise einer zweiten Beschäftigung nachgehen, um seine Familie ernähren zu können. In dieser Zeit begann B. sich sozial und politisch zu engagieren und trat dem Evangelischen-Nationalen Arbeiterverein Sachsens bei, war hier Schriftleiter des Sächsischen Arbeiterkalenders und hatte 1923 den Vorsitz des Landesverbands inne. Der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten stand er anfangs wohlwollend gegenüber, distanzierte sich aber von den staatlichen Einmischungen in Kirchenangelegenheiten. – Trotz seiner zahlreichen Veröffentlichungen galt B. als ein engagierter Pfarrer, der seinen Dienst in der Kirche ernst nahm. Die Mitteilungen und das Gemeindeblatt der Matthäuskirchgemeinde in Dresden bereicherte er jeden Monat mit Gedichten, die nicht selten Bezug auf aktuelle politische Themen und auf Ereignisse in seiner Kirchgemeinde nahmen. Auch nach seiner Emeritierung 1937 und dem Umzug nach Radebeul blieb B. seinen Forschungen treu und veröffentlichte noch zahlreiche Aufsätze.
Quellen Landeskirchenarchiv Dresden; Privatarchiv C. Bönhoff, Schwarzenberg.
Werke Aldhelm von Malmesbury, Diss. Leipzig 1894; Die älteste Urkunde des Klosters Remse und ihre Echtheit, in: NASG 27/1906, S. 1-17; Der ursprüngliche Umfang der Grafschaft Hartenstein, in: ebd., S. 209-278; Die Wanderung Israels in der Wüste, in: Theologische Studien und Kritiken 4/1907, S. 159-217; Der Pleißensprengel, in: NASG 29/1908, S. 10-81, 217-272; Die Parochie Plauen, in: Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen i.V. 19/1908/09, S. 53-119; Die Echtheit der ältesten kirchlichen Urkunde von Reichenbach im Vogtlande, in: Sächsisches Kirchen- und Schulblatt 58/1908, S. 449-457; Petrus Albinus, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte von Annaberg und Umgegend 3/1908, H. 10, S. 1-80; Die Burgen des sächsischen Erzgebirges, in: Glückauf! 28/1908, S. 33-182, 29/1909, S. 8-169; 30/1910, S. 18-154; 31/1911, S. 18-184; 32/1912, S. 18-180; Chutizi orientalis, in: NASG 31/1910, S. 1-28; Das Zschillener Archidiakonat des Meißner Hochstiftes und der Grafschaft Rochlitz, in: ebd., S. 217-272; Das Bistum Merseburg, in: NASG 32/1911, S. 201-269; (Hg.): C. Lehmann, Das sächsische Erzgebirge im Kriegesleid, Annaberg 1911; Die Einführung der Reformation in den Parochien der sächsischen Oberlausitz, in: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte 27/1914, S. 132-178; Der Süden der Magdeburger Erzdiözese und seine kirchliche Verfassung, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt 11/1914, H. 2, S. 123-192; Der Gau Nisan in politischer und kirchlicher Beziehung, in: NASG 36/1915, S. 177-211; Die ältesten Ämter der Mark Meißen, in: ebd. 38/1917, S. 17-45; Das Lied vom sächsischen Prinzenraub, in: ebd., S. 193-201; Das Hersfelder Eigen in der Mark Meißen, in: ebd. 44/1923, S. 1-54; Die Annaberger Pflege zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 36/1930-45/1930 (ND Annaberg-Buchholz 2007).
Literatur Mitteilungen aus der Matthäusgemeinde 1916-1921/22; Matthäuskirchgemeindeblatt 1924-1934; R. Grünberg, Sächsisches Pfarrerbuch, Bd. 2,1, Freiberg 1940, S. 73; W. Fröbe, B. Leo zum Siebzigsten, in: Glückauf! 62/1942, S. 101f. (P); H. Bauer, ... von Leo B., in: Erzgebirgische Heimatblätter 14/1992, S. 12f.; ders., "Erzgebirgschronist Christian Lehmann", in: Sächsische Heimatblätter 39/1993, S. 63f. (WV); M. Blechschmidt/K. Walter, Silbernes Erzgebirge, Chemnitz 82007; C. Bönhoff, Heimatliebe prägte sein Schaffen, in: Freie Presse, Lokalausgabe Schwarzenberg 8.10.2008, S. 14.
Porträt Leo B., 1940/41, Fotografie, Privatarchiv C. Bönhoff, Schwarzenberg (Bildquelle).
Dirk Martin Mütze
14.10.2009
Empfohlene Zitierweise:
Dirk Martin Mütze, Artikel: Leo Bönhoff,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/669 [Zugriff 2.11.2024].
Leo Bönhoff
Quellen Landeskirchenarchiv Dresden; Privatarchiv C. Bönhoff, Schwarzenberg.
Werke Aldhelm von Malmesbury, Diss. Leipzig 1894; Die älteste Urkunde des Klosters Remse und ihre Echtheit, in: NASG 27/1906, S. 1-17; Der ursprüngliche Umfang der Grafschaft Hartenstein, in: ebd., S. 209-278; Die Wanderung Israels in der Wüste, in: Theologische Studien und Kritiken 4/1907, S. 159-217; Der Pleißensprengel, in: NASG 29/1908, S. 10-81, 217-272; Die Parochie Plauen, in: Mitteilungen des Altertumsvereins zu Plauen i.V. 19/1908/09, S. 53-119; Die Echtheit der ältesten kirchlichen Urkunde von Reichenbach im Vogtlande, in: Sächsisches Kirchen- und Schulblatt 58/1908, S. 449-457; Petrus Albinus, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte von Annaberg und Umgegend 3/1908, H. 10, S. 1-80; Die Burgen des sächsischen Erzgebirges, in: Glückauf! 28/1908, S. 33-182, 29/1909, S. 8-169; 30/1910, S. 18-154; 31/1911, S. 18-184; 32/1912, S. 18-180; Chutizi orientalis, in: NASG 31/1910, S. 1-28; Das Zschillener Archidiakonat des Meißner Hochstiftes und der Grafschaft Rochlitz, in: ebd., S. 217-272; Das Bistum Merseburg, in: NASG 32/1911, S. 201-269; (Hg.): C. Lehmann, Das sächsische Erzgebirge im Kriegesleid, Annaberg 1911; Die Einführung der Reformation in den Parochien der sächsischen Oberlausitz, in: Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte 27/1914, S. 132-178; Der Süden der Magdeburger Erzdiözese und seine kirchliche Verfassung, in: Zeitschrift des Vereins für Kirchengeschichte der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt 11/1914, H. 2, S. 123-192; Der Gau Nisan in politischer und kirchlicher Beziehung, in: NASG 36/1915, S. 177-211; Die ältesten Ämter der Mark Meißen, in: ebd. 38/1917, S. 17-45; Das Lied vom sächsischen Prinzenraub, in: ebd., S. 193-201; Das Hersfelder Eigen in der Mark Meißen, in: ebd. 44/1923, S. 1-54; Die Annaberger Pflege zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Illustriertes Erzgebirgisches Sonntagsblatt 36/1930-45/1930 (ND Annaberg-Buchholz 2007).
Literatur Mitteilungen aus der Matthäusgemeinde 1916-1921/22; Matthäuskirchgemeindeblatt 1924-1934; R. Grünberg, Sächsisches Pfarrerbuch, Bd. 2,1, Freiberg 1940, S. 73; W. Fröbe, B. Leo zum Siebzigsten, in: Glückauf! 62/1942, S. 101f. (P); H. Bauer, ... von Leo B., in: Erzgebirgische Heimatblätter 14/1992, S. 12f.; ders., "Erzgebirgschronist Christian Lehmann", in: Sächsische Heimatblätter 39/1993, S. 63f. (WV); M. Blechschmidt/K. Walter, Silbernes Erzgebirge, Chemnitz 82007; C. Bönhoff, Heimatliebe prägte sein Schaffen, in: Freie Presse, Lokalausgabe Schwarzenberg 8.10.2008, S. 14.
Porträt Leo B., 1940/41, Fotografie, Privatarchiv C. Bönhoff, Schwarzenberg (Bildquelle).
Dirk Martin Mütze
14.10.2009
Empfohlene Zitierweise:
Dirk Martin Mütze, Artikel: Leo Bönhoff,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/669 [Zugriff 2.11.2024].