Herz Löb Levy
Herz Löb Levy war Vorsteher einer kinderreichen Großfamilie, Unternehmer, königlich sächsischer Hofagent und Gewährsmann der in Leipzig ansässigen Juden. Damit kam ihm eine Funktion an der Schnittstelle zwischen dem Anspruch der Obrigkeit und den Interessen der städtischen jüdischen Gemeinde zu. Letztere war zu seiner Lebenszeit noch nicht institutionell etabliert und weit von einer auch nur annähernden Gleichberechtigung entfernt. – Als einziger Sohn des aus Schlesien stammenden Freimachers
Löbel Levy, der 1769 mit der Einnahme der Steuern jüdischer Kaufleute zur Leipziger Messe beauftragt worden war, konnte Levy diesem bereits 1793 im Amt nachfolgen und übernahm wahrscheinlich auch das kurfürstlich verliehene Wohnrecht in Leipzig, das sein Vater als sog. Schutzjude bereits besessen hatte. Levys Vater hatte unter diesem Status über 30 Jahre in Leipzig verbracht und stets danach gestrebt, wie es Levy 1799 formulierte, „den Vortheil der inländischen Fabriken und Manufakturen zu befördern“, indem er geschäftliche Aufträge polnischer sowie russischer Juden entgegennahm und ausführte. Levy war seit 1793 selbst und ab 1794 samt seiner Familie nachweislich zum Aufenthalt in Leipzig konzessioniert. Am 26.9.1798 zählte er zu den Unterzeichnern einer schriftlichen Bitte an den Rat der Stadt Leipzig, der jüdischen Gemeinschaft gegen Entrichtung einer Gebühr einen eigenen Begräbnisplatz außerhalb des Zentrums zuzuweisen. Wegen interner Differenzen in der jüdischen Gemeinde wurde das Gesuch jedoch kurz darauf zurückgezogen. Bereits zu Lebzeiten seines Vaters hatte Levy wie dieser auch immer wieder mit der Stadt kooperiert. 1796 übernahm er für zehn Jahre die Aufgabe, dem Rat jährlich eine Aufstellung der in Leipzig geborenen, getrauten und verstorbenen Juden anzufertigen. Ab 1806 unterzeichnete Levy als „königlich sächsischer Hofagent“, was umso mehr unterstreicht, wie sehr er vonseiten der Regierenden offenbar als Repräsentant und Gewährsmann der Leipziger jüdischen Gemeinde wahrgenommen wurde. Für seine Geschäftsreisen, die ihn immer wieder aus Leipzig u.a. nach
Frankfurt/Main,
Frankfurt/Oder oder
Naumburg/Saale führten, benötigte Levy einen in Sachsen gültigen Freipass, der ihm im November 1799 nach einem Gesuch an den Kurfürsten Friedrich August III. (Friedrich August I., der Gerechte) schließlich auch gewährt wurde. Mit Ausnahme der Bergstädte war Levy seitdem mitsamt seiner Ehefrau
Esther Levy und einem Bediensteten eine weitgehend ungehinderte Passage in Sachsen möglich. Als erster jüdischer Geschäftsmann seit etwa 300 Jahren trat Levy in Grimma auf den Plan, wo er 1807 eine stillgelegte Kattundruckerei im früheren Döringschen Freihaus am Muldenufer erstand. Offiziell wurde das Gebäude durch den Leipziger Kaufmann
Johann Gottlob Bischoff in Besitz genommen, da Juden der Erwerb nicht gestattet war. Levys Gesuch von 1809 an den sächsischen König Friedrich August I., auch außerhalb der Messen mit Grimmaer Druckwaren in Leipzig Handel treiben zu dürfen, scheiterte nicht zuletzt am massiven Widerstand von Leipziger Kaufleuten. In einem Brief vom 21.8.1809 sprachen sie wörtlich davon, dass „die gantze Handelsweise der Juden, mit Ausnahme einer sehr geringen Anzahl derselben, größtentheils mit Hinterlist dermaaßen verbunden ist, daß selbst der geübteste Kaufmann sich oft vor Betrug zu erwehren nicht vermag“ (Stadtarchiv Leipzig). 1811 scheiterte auch Levys Gesuch zur Errichtung von Mule-Twist-Spinnmaschinen in Leipzig und Grimma sowie die beantragte Erlaubnis, mit den Produkten Handel zu treiben, wegen des Einspruchs der Leipziger Kramerinnung. Im gleichen Jahr richtete Levy im einstigen Kornhaus des benachbarten Grimmaer Schlosses jedoch eine Baumwollspinnerei ein, die ebenfalls offiziell durch einen Geschäftspartner geführt wurde, jedoch 1818 in Konkurs ging. Das Gleiche war der Kattundruckerei bereits 1813 widerfahren. – Im Privatleben trafen Levy mehrfach Schicksalsschläge: So verstarb sein Sohn Albert Levy 1819 mit nur 27 Jahren während seines Medizinstudiums in
Wien an den Folgen einer Erkrankung. Levy selbst lieferte am 4.3.1822, weniger als ein Jahr vor dem eigenen Ableben, sein versiegeltes Testament beim Leipziger Stadtgericht ab. Hier traf er eine umfangreiche Regelung seines Nachlasses, indem er seine eigene Ehefrau als Alleinerbin einsetzte und zugleich sehr detailliert die Konditionen festlegte, zu denen die Kinder ihre Anteile am Erbe des Vaters beziehen konnten. Das bemerkenswerte Schriftstück zeichnet das Bild Levys als einen Mann, der sich v.a. als tiefgläubiges, auf Ausgleich und Gerechtigkeit bedachtes Familienoberhaupt mit klarer Vorstellung und Wertegerüst verstand: Levy betonte seine Vorstellung eines geordneten Lebenswandels, der es ermöglichen solle, für klare Verhältnisse zu sorgen und familiären Streit nach dem Tod eines Angehörigen zu vermeiden. Er appellierte an seine ältesten Söhne, dass sie im Falle des Tods seiner Ehefrau für ihre womöglich noch minderjährigen Geschwister Sorge tragen mögen, sie sollten zu guten Menschen und Staatsbürgern erzogen werden. Levy verstarb kurz vor seinem 57. Geburtstag auf dem Leipziger Brühl, wo seine Frau bereits 1806 - wiederum mit Unterstützung durch den Kaufmann Bischoff - ein Haus unter der Nummer 452 erworben hatte. Der Großteil seiner Kinder konvertierte zum evangelischen Glauben, viele nahmen den Nachnamen Lippert an.
Quellen Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher Reg.-Nr. 37 (1823), Tit. XLIV E Nr. 13a, 0008 Ratsstube Tit. LI Nr. 14, Nr. 43, Nr. 69, Nr. 78, II. Sektion J 246, L Nr. 757, Ratsbücher/Handelsbuch des Stadtgerichts Leipzig, 1832, Bd. II; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Rep. C 131, Nr. 4163 Kirchenbuch Hayn 1822, S. 12, Nr. 2 (ancestry.de).
Literatur Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 1994, S. 12-27; ders., Die Entstehung einer jüdischen Großgemeinde. Vor 150 Jahren konstituierte sich die israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, in: Sächsische Heimatblätter 43/1997, H. 3, S. 117-141; ders., Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Gerhardt Gimpel, Juden in einer kleinen Stadt. Illustrierte Texte zur Stadtgeschichte von Grimma/Sachsen, Beucha 2005; Daniel Ristau, Jüdisches Leben in Sachsen vom 17. Jahrhundert bis 1840, in: Gunda Ulbricht/Olaf Glöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013, S. 38-65; Katrin Löffler, Juden in Leipzig, in: Susanne Schötz (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg, Leipzig 2018, S. 80f.; Henner Kotte, Jüdisches Sachsen. 99 besondere Geschichten, Halle/Saale 2021; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.
Lucas Böhme
2.7.2024
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Herz Löb Levy,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27900 [Zugriff 2.11.2024].
Herz Löb Levy
Quellen Stadtarchiv Leipzig, 0006 Leichenschreiberei, Ratsleichenbücher Reg.-Nr. 37 (1823), Tit. XLIV E Nr. 13a, 0008 Ratsstube Tit. LI Nr. 14, Nr. 43, Nr. 69, Nr. 78, II. Sektion J 246, L Nr. 757, Ratsbücher/Handelsbuch des Stadtgerichts Leipzig, 1832, Bd. II; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Rep. C 131, Nr. 4163 Kirchenbuch Hayn 1822, S. 12, Nr. 2 (ancestry.de).
Literatur Josef Reinhold, Jüdischer Messebesuch und Wiederansiedlung von Juden im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 1994, S. 12-27; ders., Die Entstehung einer jüdischen Großgemeinde. Vor 150 Jahren konstituierte sich die israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, in: Sächsische Heimatblätter 43/1997, H. 3, S. 117-141; ders., Zwischen Aufbruch und Beharrung. Juden und jüdische Gemeinde in Leipzig während des 19. Jahrhunderts, Dresden 1999; Gerhardt Gimpel, Juden in einer kleinen Stadt. Illustrierte Texte zur Stadtgeschichte von Grimma/Sachsen, Beucha 2005; Daniel Ristau, Jüdisches Leben in Sachsen vom 17. Jahrhundert bis 1840, in: Gunda Ulbricht/Olaf Glöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013, S. 38-65; Katrin Löffler, Juden in Leipzig, in: Susanne Schötz (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg, Leipzig 2018, S. 80f.; Henner Kotte, Jüdisches Sachsen. 99 besondere Geschichten, Halle/Saale 2021; Katrin Löffler, Leipzigs alter jüdischer Friedhof im Johannistal, Leipzig 2022.
Lucas Böhme
2.7.2024
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Herz Löb Levy,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27900 [Zugriff 2.11.2024].