Karl Rößger

R. hat als basispädagogischer Initiator und zugleich als wissenschaftlicher Begleiter reformpädagogischer Versuchsklassen- und Versuchsschulprojekte zunächst in Sachsen und später in Thüringen eine bleibende Wertschätzung erlangt. – Der Sohn eines Schriftgießers siedelte 1881 mit seiner Familie nach Leipzig über. 1895 bis 1900 besuchte R. das königliche Lehrerseminar in Rochlitz. Die Berechtigung zum Vollstudium an der Universität Leipzig wurde ihm vom zuständigen geistlichen Schulinspektor verwehrt. Dennoch studierte er - allerdings ohne Prüfungszulassung - neben voller Unterrichtstätigkeit Kunst und Literatur, Geschichte, Naturwissenschaften und Psychologie. Seit 1908 engagierte sich R. im Leipziger Lehrerverein (LLV) und wurde als Vorstandsmitglied bald einer seiner herausragenden Repräsentanten. So fungierte er u.a. als Ausstellungsleiter bei den großen Leipziger Schulausstellungen 1911 und 1914 und avancierte - neben Rudolf Sieber, Otto Erler und Paul Vogel - zu einem der theoretischen Köpfe der didaktisch-methodischen Reformvorstellungen des LLV. Ihr spezifisches Arbeitsschulkonzept bildete die wesentliche Grundlage für das 1909 vom LLV herausgegebene Fachbuch „Die Arbeitsschule“, das als Klassiker der sächsischen Reformpädagogik allein bis 1922 vier Auflagen mit insgesamt 12.000 Exemplaren erlebte und nunmehr seinerseits die Arbeitsschuldiskussion in der nationalen und internationalen Reformpädagogik stark beeinflusste. R. schuf des Weiteren neue Lehrmaterialien für einen seit 1911 initiierten Modellversuch mit 24 Leipziger, 16 Dresdner und sieben Chemnitzer Versuchsschulklassen an Regelschulen zur Reform des Elementarunterrichts. – R. wurde zum Militärdienst eingezogen und kehrte nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem auch sein Schulreformerkollege Sieber gefallen war, als Kriegsgegner in den Schuldienst zurück, wo er mit einem innovativen Schulprogramm im Leipziger Lehrerrat hervortrat. Noch während seiner Planungsphase für eine Leipziger Versuchsschule wurde R. von der thüringischen Landesregierung 1920 als Schulrat nach Gotha berufen. Hier war er an den Auseinandersetzungen um die Greilsche Schulreform in Thüringen beteiligt. Darüber hinaus fungierte er als Betreuer der Versuchsschule der Landgemeinde Sundhausen bei Gotha. Wegen seines Plädoyers für eine gesellschaftskritische und emanzipatorische Reformpädagogik wurde er 1924 als erster Schulrat von der Bürgerblockregierung Richard Leutheußer gemaßregelt und in den „Wartestand“ versetzt. In diese berufliche Zwangspause fiel die Einladung zu einer Studienreise mit der ersten internationalen Lehrerdelegation durch die Sowjetunion im August und September 1925, an der aus Sachsen auch der Chemnitzer Reformpädagoge Otto Rötzscher teilnahm. Dort beobachteten die Reformpädagogik-Enthusiasten aus verschiedenen Ländern bis etwa 1927, der sog. vorstalinisierten Entwicklungsphase von Sowjetpädagogik, eine erfolgreiche Rezeption v.a. der angelsächsischen Reformpädagogiken von John Dewey, William Heard Kilpatrick, Helen Parkhurst und Carleton Wolsey Washburne im Regelschulbereich. 1927 veröffentlichte R. mit seinem Buch „Der Weg der Arbeitsschule“ eine tieflotende zeitgenössische Bilanz zur vielschichtigen Reformpädagogik-Diskussion in der Zwischenkriegszeit. – 1933 folgten für R. das endgültige Berufsverbot, Haussuchung mit Beschlagnahmung wertvoller Dokumente und sogar die politische Verfolgung seiner drei Söhne. In der Zeit der NS-Herrschaft lebte er mit seiner Ehefrau zurückgezogen in Gotha. Dort beteiligte er sich nach Kriegsende an der Neulehrerausbildung sowie der generellen Lehrerfortbildung. Anfang 1946 übernahm R. die Leitung der Pädagogischen Fachschule Gotha. Seit 1948 war er als Prodekan und Direktor des Instituts für Didaktik der Universität Jena tätig.

Quellen Universität Jena, Universitätsarchiv, Personalakte Carl R.; Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Archiv, Nachlass Carl R.

Werke Leipziger Arbeitsschule, in: Neue Bahnen 23/1911-1912, H. 8, S. 355-369; Arbeitsschule, in: ebd. H. 9, S. 419-421; Elementarunterricht, in: A. Pabst (Hg.), Aus der Praxis der Arbeitsschule, Osterwieck/Harz/Leipzig 1912 (ND 1922), S. 35-99; Freier Elementarunterricht. Eine Einführung in seine praktische Durchführung, Leipzig 1919; Der Weg der Arbeitsschule. Historisch-kritischer Versuch, Leipzig 1927.

Literatur P. Mitzenheim, Carl R. 1880 bis 1960, in: G. Hohendorf/H. König/E. Meumann (Hg.), Wegbereiter der neuen Schule, Berlin 1989, S. 200-209; A. Taubert-Striese, Der Leipziger Lehrerverein, ein bedeutender Vertreter der Reformpädagogik, Frankfurt/Main u.a. 1996; A. Pehnke, Sächsische Reformpädagogik, Leipzig 1998. – DBA II.

Porträt Carl R., Fotografie, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Berlin / Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung / Archiv: Fotosammlung, FOTO 2846 (Bildquelle).

Andreas Pehnke
19.1.2017


Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Karl Rößger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17834 [Zugriff 29.3.2024].

Karl Rößger



Quellen Universität Jena, Universitätsarchiv, Personalakte Carl R.; Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung, Archiv, Nachlass Carl R.

Werke Leipziger Arbeitsschule, in: Neue Bahnen 23/1911-1912, H. 8, S. 355-369; Arbeitsschule, in: ebd. H. 9, S. 419-421; Elementarunterricht, in: A. Pabst (Hg.), Aus der Praxis der Arbeitsschule, Osterwieck/Harz/Leipzig 1912 (ND 1922), S. 35-99; Freier Elementarunterricht. Eine Einführung in seine praktische Durchführung, Leipzig 1919; Der Weg der Arbeitsschule. Historisch-kritischer Versuch, Leipzig 1927.

Literatur P. Mitzenheim, Carl R. 1880 bis 1960, in: G. Hohendorf/H. König/E. Meumann (Hg.), Wegbereiter der neuen Schule, Berlin 1989, S. 200-209; A. Taubert-Striese, Der Leipziger Lehrerverein, ein bedeutender Vertreter der Reformpädagogik, Frankfurt/Main u.a. 1996; A. Pehnke, Sächsische Reformpädagogik, Leipzig 1998. – DBA II.

Porträt Carl R., Fotografie, Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Berlin / Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung / Archiv: Fotosammlung, FOTO 2846 (Bildquelle).

Andreas Pehnke
19.1.2017


Empfohlene Zitierweise:
Andreas Pehnke, Artikel: Karl Rößger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17834 [Zugriff 29.3.2024].