Gustav Brandes

Der langjährige Direktor des Zoologischen Gartens Dresden B. erlangte als Pionier der Tiergartenbiologie und durch seine beachtlichen Haltungserfolge bei Menschenaffen, besonders Orang-Utans, weltweite Bekanntheit. – B. studierte ab 1884 in Freiburg/Breisgau Botanik, hörte auch Vorlesungen über Zoologie und setzte dieses Studium ab 1886 in Leipzig fort. 1888 promovierte er zum Dr. phil. und arbeitete anschließend an der Zoologischen Station in Neapel. 1889 wurde er auf eine Assistentenstelle an das Zoologische Institut der Universität Halle-Wittenberg berufen. 1891 habilitierte sich B. und war von da an Privatdozent für Zoologie und Vergleichende Anatomie, ab 1908 nichtbeamteter Professor. 1902 bis 1910 fungierte er zugleich als Direktor des Zoologischen Gartens Halle/Saale und alleiniger Vorstand der Aktiengesellschaft. Im Juli 1910 wechselte er nach Dresden und wurde dritter Direktor des dortigen Zoologischen Gartens seit dessen Eröffnung 1861 und alleiniger Vorstand des Aktienvereins „Zoologischer Garten Dresden“. Gleichzeitig übernahm B. 1910 die außerordentliche Professur für Zoologie und Vergleichende Anatomie an der Tierärztlichen Hochschule Dresden, die er bis zu deren Verlegung nach Leipzig 1923 innehatte. Ab 1926 übernahm B. im fortgeschrittenen Alter den Aufbau des neuen Zoologischen Instituts der Technischen Hochschule Dresden und leitete dieses als Direktor bis zum Eintritt in den Ruhestand 1936. Nach politischem Intrigenspiel - der aufrechte Demokrat B. fungierte vor 1933 als Stadtverordneter der Deutschen Demokratischen Partei - erfolgte am 1.2.1934 sein Rücktritt vom Direktorenposten des Zoologischen Gartens Dresden und die Konkursanmeldung des Aktienvereins. B. erhielt von den Nationalsozialisten Zooverbot, das sein Schüler und letzter Doktorand sowie späterer Nachfolger im Amt des Zoodirektors Hans Petzsch nach seinem Dienstantritt 1937 sofort aufhob. – B. war Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesellschaften, u.a. der „Naturforschenden Gesellschaft zu Halle“, des „Naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen zu Halle a.d.S.“, der „Deutschen Gesellschaft für Säugetierkunde“, der „Konferenz der Direktoren Deutscher (später Mitteldeutscher) Zoologischer Gärten“, die er mehrere Jahre leitete, sowie des „Internationalen Verbands der Direktoren Zoologischer Gärten“. Während der Leitung der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft „Isis“ in Dresden verdoppelte sich infolge seiner Aktivität deren Mitgliederzahl. – B. war ein Pionier der modernen Tiergartenbiologie. Seine Liebe zum lebenden Tier ließ ihn vielfach neue Wege einschlagen und vehement verteidigen. Er handelte nach dem Grundsatz: Der Zoo darf kein Museum lebender Tiere sein. Entscheidend war für ihn nicht die Anzahl, sondern die Präsentation charakteristischer Vertreter des Tierreichs und ihrer Lebensgewohnheiten. So schuf er neuartige Tierunterkünfte und Gemeinschaftsanlagen mit bisher unüblichen Tiervergesellschaftungen (z.B. aasfressende Geier und Hyänen) in einer für die Betrachtung durch ein großes Publikum günstigen Weise. In Dresden entstanden u.a. eine 100 Meter lange Felsenlaufbahn für Großkatzen, ein Teich für Seelöwen, Pinguine und Kormorane, große Flugvolieren für Greifvögel und Marabus sowie verschiedene Wasservögel und ebenso ein sensationell neuer Baumkäfig für Orang-Utans. Bahnbrechende Erfolge gelangen B. in der Haltung von Menschenaffen, besonders Orang-Utans, u.a. mit der erstmaligen Aufzucht eines in Menschenobhut geborenen Säuglings bis zum geschlechtsreifen Backenwülster (Buschi. Vom Orang-Säugling zum Backenwülster, 1939), die ihm bleibende Weltgeltung eintrug. – B. veröffentliche mehr als 300 Monografien und wissenschaftliche Aufsätze auf dem Gebiet der niederen und allgemeinen Zoologie (Würmer, Gliederfüßer, Insekten, Fische, Kriechtiere, Lurche, Säugetiere, darunter v.a. Menschenaffen) und der Tiergärtnerei. Sein Interesse und umfassendes Wissen beschränkten sich nicht auf die Zoologie, sondern galten auch der Erdkunde, Geschichte, Politik, Genealogie u.a. In der Persönlichkeit B.s waren Leiterqualitäten, schöpferische Ideen, Warmherzigkeit und väterliche Güte untrennbar miteinander verbunden. Er war der geborene akademische Lehrer, von seinen Schülern als „Papa Brandes“ verehrt.

Quellen Archiv Zoo Dresden; Stadtarchiv Dresden, Zoologischer Garten; Museum König Bonn, Nachlass B.

Werke Die Einführung des Seidenbaues in Deutschland, in: Zeitschrift für Naturwissenschaft 67/1894, S. 287f.; mit R. Leuckart, Die Parasiten des Menschen und die von ihnen herrührenden Krankheiten. Ein Hand- und Lehrbuch für Naturforscher und Ärzte, Leipzig 21901; Der Klippschliefer oder Klippdachs, in: Mitteilungen aus dem Zoologischen Garten zu Dresden 2/1911, Nr. 6, S. 8; Unser neuer Flugkäfig am sog. Kanal, in: ebd. 3/1912, Nr. 2, S. 1-8; Das Problem der Vogelatmung, in: Berichte über die gesamte Physiologie 22/1924, S. 484; Der Kehlsack und die Stimme des Orang-Utans, in: Der Naturforscher 3/1927, S. 633-635; Der Durchbruch der Zähne beim Orang-Utan, in: Der Zoologische Garten NF 1/1929, S. 25-28; Die Backenwülste des Orang-Mannes, in: ebd. NF 1/1929, S. 365-368; Die Bedeutung des Orang-Kehlsackes, in: Zeitschrift für Säugetierkunde 4/1929, S. 81-83; Die Begattung der Orangs, in: Der Zoologische Garten NF 3/1930, S. 216f.; Wichtige Daten über das Heranwachsen des Gorilla, in: ebd. NF 3/1930, S. 104-116; Das Heranwachsen der Schimpansen, in: ebd. NF 4/1931, S. 115-132; 3½ Jahre Aufzucht eines in Gefangenschaft geborenen Orang-Utan, in: Archivio Zoologico Italiano 16/1931, S. 188; Zoologischer Garten Dresden. 70 Jahre Zoo Dresden, Berlin/Leipzig 1931; Zoo Dresden - Illustrierter Führer, Dresden 1932; Das Singen der alten Orangmänner, in: Der Zoologische Garten NF 10/1938, S. 31-33; Die Stillzeit des Orang, in: ebd. NF 10/1938, S. 139-141; Buschi. Vom Orang-Säugling zum Backenwülster, Leipzig 1939.

Literatur R. J. Müller, Der wissenschaftliche Tiergärtner. Professor Dr. B. zum 70. Geburtstag, in: Dresdner Neueste Nachrichten 1932 (P); M. Friedrich, Professor Dr. Gustav B. Sein Leben und Schaffen, Dresden 1937, S. 6-32 (P, WV); K. Priemel, Dem Tiergärtner Gustav B. zur Vollendung des 75. Lebensjahres, in: Der Zoologische Garten NF 19/1937, S. 96-100 (P); O. Antonius, Gustav B. zum Gedächtnis, in: ebd. NF 14/1942, S. 123-125 (Bildquelle); H. Petzsch, Gustav B. und sein Erbe, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2/1952/53, H. 6, S. 801-815 (P); W. Gensch, Professor Dr. Gustav B. zum Gedenken, in: Mitteilungen aus dem Zoologischen Garten Dresden 1987, Nr. 2, S. 10-16 (P). – DBA II, III; DBE 2, S. 63; NDB 2, S. 520f.; Catalogus Professorum Halensis, hrsg. von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Porträt H. Jäger, 1937, Radierung, Archiv Zoo Dresden.

Winfried Gensch
23.5.2006


Empfohlene Zitierweise:
Winfried Gensch, Artikel: Gustav Brandes,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/731 [Zugriff 20.5.2024].

Gustav Brandes



Quellen Archiv Zoo Dresden; Stadtarchiv Dresden, Zoologischer Garten; Museum König Bonn, Nachlass B.

Werke Die Einführung des Seidenbaues in Deutschland, in: Zeitschrift für Naturwissenschaft 67/1894, S. 287f.; mit R. Leuckart, Die Parasiten des Menschen und die von ihnen herrührenden Krankheiten. Ein Hand- und Lehrbuch für Naturforscher und Ärzte, Leipzig 21901; Der Klippschliefer oder Klippdachs, in: Mitteilungen aus dem Zoologischen Garten zu Dresden 2/1911, Nr. 6, S. 8; Unser neuer Flugkäfig am sog. Kanal, in: ebd. 3/1912, Nr. 2, S. 1-8; Das Problem der Vogelatmung, in: Berichte über die gesamte Physiologie 22/1924, S. 484; Der Kehlsack und die Stimme des Orang-Utans, in: Der Naturforscher 3/1927, S. 633-635; Der Durchbruch der Zähne beim Orang-Utan, in: Der Zoologische Garten NF 1/1929, S. 25-28; Die Backenwülste des Orang-Mannes, in: ebd. NF 1/1929, S. 365-368; Die Bedeutung des Orang-Kehlsackes, in: Zeitschrift für Säugetierkunde 4/1929, S. 81-83; Die Begattung der Orangs, in: Der Zoologische Garten NF 3/1930, S. 216f.; Wichtige Daten über das Heranwachsen des Gorilla, in: ebd. NF 3/1930, S. 104-116; Das Heranwachsen der Schimpansen, in: ebd. NF 4/1931, S. 115-132; 3½ Jahre Aufzucht eines in Gefangenschaft geborenen Orang-Utan, in: Archivio Zoologico Italiano 16/1931, S. 188; Zoologischer Garten Dresden. 70 Jahre Zoo Dresden, Berlin/Leipzig 1931; Zoo Dresden - Illustrierter Führer, Dresden 1932; Das Singen der alten Orangmänner, in: Der Zoologische Garten NF 10/1938, S. 31-33; Die Stillzeit des Orang, in: ebd. NF 10/1938, S. 139-141; Buschi. Vom Orang-Säugling zum Backenwülster, Leipzig 1939.

Literatur R. J. Müller, Der wissenschaftliche Tiergärtner. Professor Dr. B. zum 70. Geburtstag, in: Dresdner Neueste Nachrichten 1932 (P); M. Friedrich, Professor Dr. Gustav B. Sein Leben und Schaffen, Dresden 1937, S. 6-32 (P, WV); K. Priemel, Dem Tiergärtner Gustav B. zur Vollendung des 75. Lebensjahres, in: Der Zoologische Garten NF 19/1937, S. 96-100 (P); O. Antonius, Gustav B. zum Gedächtnis, in: ebd. NF 14/1942, S. 123-125 (Bildquelle); H. Petzsch, Gustav B. und sein Erbe, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2/1952/53, H. 6, S. 801-815 (P); W. Gensch, Professor Dr. Gustav B. zum Gedenken, in: Mitteilungen aus dem Zoologischen Garten Dresden 1987, Nr. 2, S. 10-16 (P). – DBA II, III; DBE 2, S. 63; NDB 2, S. 520f.; Catalogus Professorum Halensis, hrsg. von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Porträt H. Jäger, 1937, Radierung, Archiv Zoo Dresden.

Winfried Gensch
23.5.2006


Empfohlene Zitierweise:
Winfried Gensch, Artikel: Gustav Brandes,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/731 [Zugriff 20.5.2024].