Johannes Aesticampianus

A. zählte zu den führenden Vertretern des europäischen Humanismus und machte sich um eine geistige Neuausrichtung der sächsischen Schulen und Universitäten verdient. – A. wurde als Johann Rack in Sommerfeld geboren und nach dem frühen Tod des Vaters unter der Aufsicht seines Großvaters, des Sommerfelder Bürgermeisters Martin Rack, erzogen. Zu Beginn seiner durch eine Erbschaft abgesicherten akademischen Ausbildung latinisierte er Namen und Herkunftsbezeichnung und schrieb sich am 19.5.1491 als Johannes Rhagius A. an der Universität Krakau (poln. Kraków) ein, um dort bei dem bekannten Humanisten Conrad Celtis Naturgeschichte und Astronomie zu studieren. Offen bleibt, ob A. in Krakau nur das Baccalaureat oder auch den Magistergrad erwarb. Celtis empfahl seinen begabten Schüler für weitere Studien in Italien. Über Wien, Venedig (ital. Venezia), Padua (ital. Padova), Ferrara und Rom wandte sich A. 1499 nach Bologna, wo er in dem Philologen Philippus Beroaldus d.Ä. ein weiteres geistiges Vorbild fand. In Italien befreundete sich A. außerdem mit Jakob Questenberg, dem die Überlieferung zuschreibt, er habe die um 1500 vom Papst vorgenommene, sehr prestigeträchtige Krönung A.s zum Dichter („poeta laureatus“) vermittelt. Das damit verbundene Recht, universitäre Vorlesungen auch außerhalb der akademischen Hierarchie abhalten zu dürfen, wurde für A.s weiteren Lebensweg insofern bedeutsam, als er seit 1501 Tätigkeiten an einer Vielzahl mitteleuropäischer Universitäten wahrnahm. Er verkörperte damit beinahe idealtypisch das Bild des humanistischen Wanderlehrers. – Im Frühjahr 1501 machte A. an der Universität Basel (Schweiz) die Cebes-Tafel bekannt und nahm in Straßburg (frz. Strasbourg) an einer Disputation zwischen Jakob Wimpheling und Thomas Murner teil. Noch im selben Jahr folgte er einem Ruf an die Universität Mainz, wo er bis 1506 Moralphilosophie lehrte. Daran schloss sich ein kurzes, aber intensives Engagement an der neu gegründeten Viadrina in Frankfurt/Oder an. Wie bereits in Mainz exponierte sich A. dann v.a. an dieser ersten Universität Brandenburgs als streitbarer Humanist, der seinen Gegnern mündlich und schriftlich mit beißendem Spott begegnete. Dies erweiterte einerseits den Kreis seiner Schüler, zu denen seit 1505 u.a. Ulrich von Hutten zählte, andererseits verstrickte sich A. dadurch jedoch zugleich in kräftezehrende Auseinandersetzungen. Ein Konflikt mit dem Frankfurter Gründungsrektor und führenden Theologen Konrad Wimpina gab im Wintersemester 1507/08 Anlass zur Übersiedlung A.s und mehrerer seiner Schüler nach Leipzig. Auch an der Universität Leipzig, an der seit Jahren ein Streit zwischen den frei lehrenden Poeten und den akademischen Korporationen schwelte, polarisierte A. von Beginn an. In seinen Vorlesungen über ausgewählte Briefe des Kirchenvaters Hieronymus, zu deren Interpretation A. 1508 seine Textedition „Septem divi Hieronymi epistolae“ vorlegte, erklärte er dessen Schriften unter humanistischen Gesichtspunkten, was den heftigen Widerstand der Leipziger Scholastiker hervorrief. Dieser hielt an, als A. eine Neuübersetzung der Schriften von Aristoteles forderte. Da A. zugleich mit Privatvorlesungen in Konkurrenz zu den öffentlichen Lehrveranstaltungen trat, begegneten ihm seine Gegner zunehmend mit persönlicher Diskriminierung und erwirkten 1511 mit Billigung Herzog Georgs schließlich seine Vertreibung aus Leipzig. Nach einer aufsehenerregenden Abschiedsrede, in der der eloquente A. den Zustand der Universität und ihres Lehrkörpers einer Fundamentalkritik unterwarf, wurde ihm die Universitätszugehörigkeit für die Dauer von zehn Jahren entzogen. Neben der später veröffentlichten Abschiedsrede fand die Entfernung A.s aus Leipzig in den sog. Dunkelmännerbriefen einen literarischen Niederschlag. Die von A. ausgehenden humanistischen Impulse waren gleichwohl nicht vergebens. Unter A.s Schüler Caspar Borner wurden ab 1539 schließlich die Grundlagen für eine umfassende Reform der Leipziger Universitätsordnung geschaffen. – A. selbst ging 1512 nach Rom und promovierte dort zum Doktor der Theologie. Nach kurzer Lehrtätigkeit in Paris (1512) und Köln (1513), wo er gegen Johannes Reuchlin auftrat und deshalb erneut vertrieben wurde, kehrte A. nach Mitteldeutschland zurück. 1514 gründete er die Lateinschule in Cottbus (sorb. Chóśebuz). Ein Jahr später berief ihn Ulrich Rülein von Calw zum Rektor der im Entstehen begriffenen neuen Lateinschule in Freiberg. Obwohl A. auch in Freiberg letztlich nicht Fuß fasste, leisteten er und sein Gesinnungsgenosse Petrus Mosellanus als Lehrer doch eine wichtige Aufbauarbeit in Abgrenzung zu der noch im Geist der Scholastik geführten Domschule. A. steht damit am Anfang einer Entwicklung, die die Freiberger Lateinschule zu einer der namhaftesten sächsischen Bildungsstätten des 16. Jahrhunderts machte. – Seinen Lebensabend verbrachte A. in Wittenberg, wo er 1517 durch die Fürsprache Georg Spalatins eine Professur erhielt. Neben seinen Plinius-Vorlesungen brachte A. seinen Studenten unter dem Eindruck der frühen Reformation und der persönlichen Bekanntschaft mit Martin Luther und Philipp Melanchthon das Mönchtum der Kirchenväter Augustinus und Hieronymus nahe. Er verstarb infolge einer chronischen Atemwegserkrankung. – A.s Lehrtätigkeit und sein literarisches Schaffen wirkten weit über sein Leben hinaus und trugen direkt oder mittelbar durch seine Schüler an vielen Lehranstalten Mitteldeutschlands zu einer Symbiose aus humanistischem und reformatorischem Bildungsprofil bei. In seiner Heimat wird A. seit der Entstehung der sorbischen Nationalbewegung im 19. Jahrhundert als bedeutendster sorbischstämmiger Humanist verehrt, zumal einige seiner Dichtungen auf die Lausitz Bezug nehmen. Eine künstlerische Würdigung A.s hat sich in Form eines Epitaphs in der Wittenberger Stadtkirche erhalten. Eine viel gelesene erzählende Nachbetrachtung der Lebensgeschichte A.s legte Erhard Lachmann 1981 vor.

Werke Carmina Aesticampiani mit dem Versiculi Theodorici Gresmundi, Straßburg 1502; Tabula Cebetis Philosophi Socrati cum Jo. Aesticampiani Epistola, Frankfurt/Oder 1507; Epigrammata Johannis Aesticampiani mit Carmen Huttens, Leipzig 1507; Septem divi Hieronymi epistolae ad vitam mortalium instituendam accomodatissime, Leipzig 1508; Marciani Capellae Rhetorica cum Jo. Rhagii verbosa praefatione, Leipzig 1509; Germania des Tacitus, Leipzig 1509; Oratio Lypsi habita coram universitate per Joannem Esticampianum, Speyer 1512; Modus epistolandi Magistri Johannis Aesticampiani, Wien 1515; Augustini libellus de vita Christiana, Leipzig 1518.

Literatur G. Bauch, Die Vertreibung des Johannes Rhagius A. aus Leipzig. Nach actenmässigen Quellen, in: Archiv für Literaturgeschichte 13/1885, S. 1-33; W. Friedensburg, Die Berufung des Johannes Rhagius A. an die Universität Wittenberg 1517, in: Archiv für Reformationsgeschichte 21 (1924), S. 146-148; H. Rupprich, Der Briefwechsel des Konrad Celtis, München 1934, S. 401; H. Grimm, Ulrichs von Hutten Lehrjahre an der Universität Frankfurt (Oder) und seine Jugenddichtungen, Frankfurt/Oder 1938; E. Lachmann, Johannes Rhagius A. Eine ergänzende Nachbetrachtung zur Lebensgeschichte des Humanisten, Leutkirch 1981; J. Irmscher, Der sorbische Humanist Jan Rak, in: Lětopis 30/1983, S. 41-45; R. Kößling, Caspar Borners Beitrag zur Pflege der studia humanitatis an der Leipziger Universität, in: E. Bünz/F. Fuchs (Hg.), Der Humanismus an der Universität Leipzig, Wiesbaden 2009, S. 41-58. – ADB 1, S. 133f.; BBKL 8, Herzberg 1994, Sp. 116-119; DBA II, III; DBE 1, S. 50; NDB 1, S. 92f.

Michael Wetzel
29.5.2018


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Johannes Aesticampianus,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/70 [Zugriff 21.11.2024].

Johannes Aesticampianus



Werke Carmina Aesticampiani mit dem Versiculi Theodorici Gresmundi, Straßburg 1502; Tabula Cebetis Philosophi Socrati cum Jo. Aesticampiani Epistola, Frankfurt/Oder 1507; Epigrammata Johannis Aesticampiani mit Carmen Huttens, Leipzig 1507; Septem divi Hieronymi epistolae ad vitam mortalium instituendam accomodatissime, Leipzig 1508; Marciani Capellae Rhetorica cum Jo. Rhagii verbosa praefatione, Leipzig 1509; Germania des Tacitus, Leipzig 1509; Oratio Lypsi habita coram universitate per Joannem Esticampianum, Speyer 1512; Modus epistolandi Magistri Johannis Aesticampiani, Wien 1515; Augustini libellus de vita Christiana, Leipzig 1518.

Literatur G. Bauch, Die Vertreibung des Johannes Rhagius A. aus Leipzig. Nach actenmässigen Quellen, in: Archiv für Literaturgeschichte 13/1885, S. 1-33; W. Friedensburg, Die Berufung des Johannes Rhagius A. an die Universität Wittenberg 1517, in: Archiv für Reformationsgeschichte 21 (1924), S. 146-148; H. Rupprich, Der Briefwechsel des Konrad Celtis, München 1934, S. 401; H. Grimm, Ulrichs von Hutten Lehrjahre an der Universität Frankfurt (Oder) und seine Jugenddichtungen, Frankfurt/Oder 1938; E. Lachmann, Johannes Rhagius A. Eine ergänzende Nachbetrachtung zur Lebensgeschichte des Humanisten, Leutkirch 1981; J. Irmscher, Der sorbische Humanist Jan Rak, in: Lětopis 30/1983, S. 41-45; R. Kößling, Caspar Borners Beitrag zur Pflege der studia humanitatis an der Leipziger Universität, in: E. Bünz/F. Fuchs (Hg.), Der Humanismus an der Universität Leipzig, Wiesbaden 2009, S. 41-58. – ADB 1, S. 133f.; BBKL 8, Herzberg 1994, Sp. 116-119; DBA II, III; DBE 1, S. 50; NDB 1, S. 92f.

Michael Wetzel
29.5.2018


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Johannes Aesticampianus,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/70 [Zugriff 21.11.2024].