Friedrich Wilhelm Tittmann

T. entstammte einer Theologenfamilie. Sein Vater, Carl Christian Tittmann, war seit 1775 Theologieprofessor in Wittenberg, wo T. am 29.4.1784 geboren wurde. Als T.s Vater 1789 als Superintendent nach Dresden versetzt wurde, zog die Familie dorthin. T. studierte 1800 bis 1803 in Leipzig und Wittenberg Jura und kehrte nach bestandenem Examen nach Dresden zurück. 1804 wurde er als Advokat immatrikuliert und trat im gleichen Jahr als Akzessist in das Geheime Archiv ein, wo er Anfang 1805 die Stelle eines Kanzlisten erhielt. Auf dieser untergeordneten Stellung harrte T. fast 19 Jahre aus und nutzte die dienstfreie Zeit für eigene wissenschaftliche Arbeiten, bis er 1823, mittlerweile zum Dr. phil. und zum Dr. utr. jur. promoviert, als höherer Beamter in das Oberkonsistorium wechselte. Dessen Geschäftsbereich, der das gesamte sächsische Kirchen-, Schul- und Universitätswesen umfasste, entsprach seinen Interessen besonders. Bald galt T. als einer der wichtigsten Behördenmitarbeiter und rückte 1828 zum zweiten ordentlichen Oberkonsistorialrat auf. Nach der Auflösung des Oberkonsistoriums (1835) und einer kurzzeitigen Tätigkeit als Regierungsrat bei der Kreisdirektion Dresden übernahm T. im März 1836 die Leitung des Hauptstaatsarchivs und kehrte damit in das Archivwesen zurück. – In der Zeit seines Direktorats (bis 1.1.1849) stand die Einlagerung, Ordnung und Verzeichnung der seit 1834 in das Hauptstaatsarchiv gelangten Behördenarchive und -reposituren im Mittelpunkt. T.s Verdienst ist es, den auch vom Gesamtministerium gewünschten Abbau der Erschließungsrückstände trotz schwieriger Personalsituation vorangebracht zu haben, wobei er selbst die Verzeichnung des sogenannten Wittenberger Archivs übernahm. Infolge dieser Prioritätensetzung ließ sich T.s Absicht, die Archivarbeit stärker an den Bedürfnissen der wissenschaftlichen Forschung auszurichten und dazu wichtige Unterlagen tiefer und zusammenhängender zu erschließen als bisher, nicht im gewünschten Maß umsetzen. Auch für die historische Forschung der Archivare und von T. selbst stand kaum Zeit zur Verfügung, obwohl sich T. durch mehrere Veröffentlichungen als befähigter Historiker ausgewiesen hatte und er die wissenschaftliche Auswertung der Archivbestände durch Archivare grundsätzlich befürwortete. Die einzige, freilich beachtliche wissenschaftliche Frucht T.s als Historiker-Archivar ist die 1845/46 erschienene zweibändige Monografie über Markgraf Heinrich den Erlauchten und seine Zeit. Die Benutzung des Hauptstaatsarchivs veränderte sich in T.s Amtszeit kaum. Für die langsam ansteigende Zahl der persönlichen Einsichtnahmen in die Archivalien erteilte weiterhin das Gesamtministerium die Genehmigung, wobei es sich in der Regel auf T.s jeweilige Gutachten stützte. In diesen wird der Spagat zwischen neuen Informationswünschen von Bürgern und Wissenschaft sowie den Geheimhaltungsbedürfnissen des vormärzlichen Obrigkeitsstaats erkennbar. T. hätte das Archiv gern etwas mehr geöffnet, befürchtete aber für Staat und Königshaus nachteilige Informationsweitergaben. Daher sprach er sich für einen möglichst auf bekannte und bewährte Wissenschaftler sowie auf Privatpersonen mit berechtigten rechtlichen oder genealogischen Interessen beschränkten Archivzugang aus. – Ähnlich wie seine Brüder, der Theologe und Philosoph Johann August Heinrich und der Jurist Karl August, war T. schriftstellerisch und publizistisch recht produktiv. Die inhaltliche Bandbreite seiner von Zeitgenossen wegen ihrer wissenschaftlichen Gründlichkeit und sprachlichen Klarheit gelobten Publikationen reicht von der Geschichte, Geschichtstheorie, Politikwissenschaft, Pädagogik und dem Staatsrecht bis hin zur Ästhetik und Philosophie. In den 1830er-Jahren ging T. in seinen Veröffentlichungen zunehmend auf Distanz zum politischen und philosophischen Zeitgeist, in den 1850er-Jahren wandte er sich mehrfach gegen die materialistische Philosophie und verteidigte eine religiöse Weltauffassung. T., der ledig blieb, war trotz eines zunehmenden Augenleidens bis an sein Lebensende wissenschaftlich aktiv.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10697 Gesamtministerium, Nr. 688-694, 707-711.

Werke Über den Bund der Amphiktyonen, Berlin 1812; Ideen zur Politik und Geschichte der europäischen Staatengesellschaft, Dresden 1816; Ueber Erkenntniß und Kunst in der Geschichte, Dresden 1817; Darstellung der Verfassung des deutschen Bundes, Leipzig 1818; Darstellung der griechischen Staatsverfassungen, Leipzig 1822; De competentia legum externarum et domesticarum in definiendis potissimum juribus coniugum, Halle 1822; Gesammelte Blätter aus Wilhelms Papieren, Dresden 1825; Ueber die Bestimmung des Gelehrten und seine Bildung durch Schule und Universität, Berlin 1833; Blicke auf die Bildung unserer Zeit und auf Wissenschaft und Kunst der Bildung, Leipzig 1835; Ueber die Schönheit und die Kunst, Berlin 1841; Geschichte Heinrichs des Erlauchten, Markgrafen zu Meißen und im Osterlande, und Darstellung der Zustände in seinen Landen, 2 Bde., Dresden/Leipzig 1845/46, 21850; Ueber den Geist und sein Verhältniß in der Natur, Berlin 1852; Ueber Leben und Stoff, Dresden 1855; Geist und Materialismus, Dresden 1856; Aphorismen zur Philosophie, Dresden 1859; Nationalität und Staat, Dresden 1861.

Literatur K. v. Weber, Dr. Friedrich Wilhelm T., in: Archiv für die Sächsische Geschichte 3/1865, S. 128-133 (WV); K. Wensch/R. Groß/M. Kobuch, Archivgeschichte und Genealogie, in: R. Groß/M. Kobuch (Hg.), Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, Weimar 1977, S. 146-168. – ADB 38, S. 383f.; DBA I, III; DBE 10, S. 52.

Porträt Friedrich Wilhelm T., um 1860 (?), Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10707 Sächsisches Hauptstaatsarchiv, Nr. 6445 (Bildquelle).

Jörg Ludwig
14.11.2017


Empfohlene Zitierweise:
Jörg Ludwig, Artikel: Friedrich Wilhelm Tittmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3926 [Zugriff 26.11.2024].

Friedrich Wilhelm Tittmann



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10697 Gesamtministerium, Nr. 688-694, 707-711.

Werke Über den Bund der Amphiktyonen, Berlin 1812; Ideen zur Politik und Geschichte der europäischen Staatengesellschaft, Dresden 1816; Ueber Erkenntniß und Kunst in der Geschichte, Dresden 1817; Darstellung der Verfassung des deutschen Bundes, Leipzig 1818; Darstellung der griechischen Staatsverfassungen, Leipzig 1822; De competentia legum externarum et domesticarum in definiendis potissimum juribus coniugum, Halle 1822; Gesammelte Blätter aus Wilhelms Papieren, Dresden 1825; Ueber die Bestimmung des Gelehrten und seine Bildung durch Schule und Universität, Berlin 1833; Blicke auf die Bildung unserer Zeit und auf Wissenschaft und Kunst der Bildung, Leipzig 1835; Ueber die Schönheit und die Kunst, Berlin 1841; Geschichte Heinrichs des Erlauchten, Markgrafen zu Meißen und im Osterlande, und Darstellung der Zustände in seinen Landen, 2 Bde., Dresden/Leipzig 1845/46, 21850; Ueber den Geist und sein Verhältniß in der Natur, Berlin 1852; Ueber Leben und Stoff, Dresden 1855; Geist und Materialismus, Dresden 1856; Aphorismen zur Philosophie, Dresden 1859; Nationalität und Staat, Dresden 1861.

Literatur K. v. Weber, Dr. Friedrich Wilhelm T., in: Archiv für die Sächsische Geschichte 3/1865, S. 128-133 (WV); K. Wensch/R. Groß/M. Kobuch, Archivgeschichte und Genealogie, in: R. Groß/M. Kobuch (Hg.), Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, Weimar 1977, S. 146-168. – ADB 38, S. 383f.; DBA I, III; DBE 10, S. 52.

Porträt Friedrich Wilhelm T., um 1860 (?), Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10707 Sächsisches Hauptstaatsarchiv, Nr. 6445 (Bildquelle).

Jörg Ludwig
14.11.2017


Empfohlene Zitierweise:
Jörg Ludwig, Artikel: Friedrich Wilhelm Tittmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3926 [Zugriff 26.11.2024].