Johann Gottfried Seume
S. verband die zeittypische Reiselust eines Intellektuellen der Spätaufklärung mit einem wachen und überaus kritischen Blick für die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse seiner Epoche. Insbesondere seine Reisebücher sind daher mehr als die zahlreichen ästhetisierenden Bilderfolgen des ausgehenden 18. Jahrhunderts, sie sind zugleich sozial- und mentalitätsgeschichtliche Zeugnisse von bleibendem Rang aus der Perspektive eines im wörtlichen Sinne „weltläufigen Sachsen“. – Die aufeinander folgenden Missernten 1771 und 1772 ruinierten auch S.s Vater, der ein Gut in Knautkleeberg nahe Leipzig gepachtet hatte. Bei seinem frühzeitigen Tod 1776 hinterließ er S. mit seinen Geschwistern und der Mutter in dürftigsten materiellen Verhältnissen. Der begabte S. fand im Grafen
Friedrich Wilhelm von Hohenthal jedoch einen Gönner, der ihm den Besuch der Lateinschule in Borna, der Nikolaischule in Leipzig und schließlich ein Theologiestudium an der dortigen Universität ermöglichte. Abgestoßen von der geistigen Erstarrung, die S. bei den meisten akademischen Lehrern empfand, und von persönlichen Glaubenszweifeln umgetrieben, brach er 1781 sein Studium ab. Auf seinem Weg nach Frankreich, wo er eine militärische Karriere beginnen wollte, wurde er von hessischen Werbern abgefangen und sah sich unversehens vom Landgrafen mit einigen Tausend Leidensgenossen zur Unterstützung der britischen Truppen in den nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg verkauft. Nach der Rückkehr 1783 desertierte S., um wenig später in die Fänge der preußischen Armee zu geraten. Erst 1787 konnte er sich vom Militärdienst freikaufen und kehrte nach Leipzig zurück. Hier verdiente er seinen Lebensunterhalt als Übersetzer und Sprachlehrer, obwohl er eine Universitätslaufbahn angestrebt hatte. 1792 bot sich ihm die Möglichkeit, als Sekretär des Grafen
Heinrich von Igelström nach Warschau zu reisen. Im Verlauf des polnischen Aufstands 1794 geriet S., da er in russischen Diensten stand, einige Monate in Gefangenschaft und gelangte 1795 wieder nach Leipzig. Hier war er zunächst erneut als Privatlehrer und seit 1797 als Mitarbeiter des Verlegers Georg Joachim Göschen tätig. Vom Dezember 1801 bis zum August 1802 unternahm S. zu Fuß eine Reise nach Sizilien; daraufhin entstand sein berühmtestes Werk „Spaziergang nach Syrakus“ (1803). Sein nächstes Buch, „Mein Sommer 1805“ (1806), hervorgegangen aus einer Reise nach Russland und Skandinavien, fiel wegen der offenen Kritik an den politischen Verhältnissen in Deutschland der Zensur zum Opfer. Seit 1808 verschlechterte sich S.s Gesundheitszustand. Seine letzte Reise führte ihn im Mai 1810 in der Hoffnung auf Heilung ins böhmische Teplitz. Dort starb S., ohne seine Autobiographie „Mein Leben“ vollendet zu haben.
Quellen Stadtarchiv/Museum Lützen, Teil-Nachlass.
Werke J. G. S.s sämtliche Werke, hrsg. von G. H. A. Wagner, Leipzig 1837; Werke in zwei Bänden, hrsg. von J. Drews/S. Kyora, Frankfurt/Main 1993; Briefe, hrsg. von J. Drews/D. Sangmeister, Frankfurt/Main 2002.
Literatur I. Stephan, Johann Gottfried S. Ein politischer Schriftsteller der deutschen Spätaufklärung, Stuttgart 1972; G. Kostencki, Johann Gottfried S. Absicht, Selbstdarstellung, Gedankenwelt, Frankfurt/Main u.a. 1979; J. Drews (Hg.), Johann Gottfried S. 1763-1810. Ein politischer Schriftsteller der Spätaufklärung, Bielefeld 1989; ders. (Hg.), „Wo man aufhört zu handeln, fängt man gewöhnlich an zu schreiben.“ Johann Gottfried S. in seiner Zeit, Bielefeld 1991; Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur 126/1995 (P); J. Drews (Hg.), S.: „Der Mann selbst“ und seine „Hyperkritiker“. Vorträge der Colloquien zu Johann Gottfried S. in Leipzig und Catania 2002, Bielefeld 2004; E. Zänker, J. G. S. Eine Biographie, Leipzig 2005; www.seume.de. – ADB 34, S. 64-67; DBA I, II, III; DBE 9, S. 294f.
Porträt Buchdruck nach Lithographie, 1837, in: Saxonia Bd. 3, hrsg. v. Museum für Sächsische Vaterlandskunde, S. 9, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Winfrid Halder
25.5.2007
Empfohlene Zitierweise:
Winfrid Halder, Artikel: Johann Gottfried Seume,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3696 [Zugriff 21.11.2024].
Johann Gottfried Seume
Quellen Stadtarchiv/Museum Lützen, Teil-Nachlass.
Werke J. G. S.s sämtliche Werke, hrsg. von G. H. A. Wagner, Leipzig 1837; Werke in zwei Bänden, hrsg. von J. Drews/S. Kyora, Frankfurt/Main 1993; Briefe, hrsg. von J. Drews/D. Sangmeister, Frankfurt/Main 2002.
Literatur I. Stephan, Johann Gottfried S. Ein politischer Schriftsteller der deutschen Spätaufklärung, Stuttgart 1972; G. Kostencki, Johann Gottfried S. Absicht, Selbstdarstellung, Gedankenwelt, Frankfurt/Main u.a. 1979; J. Drews (Hg.), Johann Gottfried S. 1763-1810. Ein politischer Schriftsteller der Spätaufklärung, Bielefeld 1989; ders. (Hg.), „Wo man aufhört zu handeln, fängt man gewöhnlich an zu schreiben.“ Johann Gottfried S. in seiner Zeit, Bielefeld 1991; Text + Kritik. Zeitschrift für Literatur 126/1995 (P); J. Drews (Hg.), S.: „Der Mann selbst“ und seine „Hyperkritiker“. Vorträge der Colloquien zu Johann Gottfried S. in Leipzig und Catania 2002, Bielefeld 2004; E. Zänker, J. G. S. Eine Biographie, Leipzig 2005; www.seume.de. – ADB 34, S. 64-67; DBA I, II, III; DBE 9, S. 294f.
Porträt Buchdruck nach Lithographie, 1837, in: Saxonia Bd. 3, hrsg. v. Museum für Sächsische Vaterlandskunde, S. 9, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Winfrid Halder
25.5.2007
Empfohlene Zitierweise:
Winfrid Halder, Artikel: Johann Gottfried Seume,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3696 [Zugriff 21.11.2024].