Theodor Wolf
In den 1820er-Jahren als Sohn eines Hofrats und Arzts in eine großbürgerlich-jüdische Dresdner Familie geboren, war Theodor Wolf 1852 der erste jüdische Glaubensangehörige, der an der Juristenfakultät der Universität Leipzig promoviert wurde. Seine religiöse Bindung begrenzte Wolfs berufliche Entfaltungsmöglichkeiten. Nach seiner Konversion zum evangelisch-lutherischen Christentum 1857 wurde Wolf der erste Richter jüdischer Herkunft in Sachsen und stieg zu einem der Direktoren am Landgericht in Zwickau auf. – Wolf war das zweitälteste von sechs Kindern von
Isabella Wolf, geborene Schie, und Hofrat Paul Wolf, dem ersten praktizierenden jüdischen Arzt in Dresden. Sein Onkel war der Bankier Wilhelm Schie. Wolf besuchte seit 1836 bis zum Abitur die Kreuzschule in Dresden. Zwischen Mai 1844 und November 1847 studierte er - unterbrochen 1846/1847 von einem zweisemestrigen Studienaufenthalt in
Berlin – in Leipzig Jura. Nach dem Fakultätsexamen im November 1847 lehnte die Leipziger Juristenfakultät Wolfs Zulassung für das Kleine Notariat wegen seines jüdischen Glaubens ab. Den einjährigen Vorbereitungsdienst absolvierte Wolf Januar 1848 beim Stadtgericht Dresden sowie bei dem Rechtsanwalt und königlich sächsischen Finanzprokurator Ferdinand Adolph Opitz. Vom Stadtgericht, das ihn mit Zivil- und Verwaltungssachen betraute, wurde er anschließend als Aktuar übernommen. Parallel dazu bemühte sich Wolf ab November 1848 um die Zulassung als Advokat. Unter Berufung auf die im April 1849 erfolgte staatsbürgerliche und bürgerliche Gleichstellung der jüdischen Minderheit in Sachsen beantragte er wenig später erneut die Zulassung als Notar. Die Leipziger Juristenfakultät holte nun die Entscheidung des sächsischen Justizministeriums ein. Lediglich Wilhelm Ferdinand Steinacker hielt es für unnötig, eine Zustimmung des Ministeriums einzuholen. Aufgrund der geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen glaubte das Ministerium sich einer Zulassung nicht mehr verweigern zu können und ließ Wolf schließlich am 3.9.1849 zum Kleinen Notar zu. Höchstwahrscheinlich übte Wolf den Beruf aufgrund seiner Anstellung bei Gericht jedoch nicht aus. – Als Aktuar war Wolf mit Zivilprozess- und Konkurssachen in der Dresdner Altstadt und deren Vorstädten befasst. Im Sommer 1849 arbeitete Wolf, der sich zeitlebens politisch wohl nicht engagierte, in der Kriminalabteilung an der Untersuchung gegen Beteiligte des Dresdner Maiaufstands mit. Als die Gerichtsbarkeit im Oktober 1851 an den sächsischen Staat überging, wurde Wolf in seiner bisherigen Stellung als Aktuar 2. Klasse an das Königliche Stadtgericht (mit Zuständigkeit für den Dresdner Stadtbezirk) übernommen. Im Mai 1852 wurde Wolf als erster jüdischer Glaubensangehöriger an der Leipziger Juristenfakultät promoviert. Seine Promotionsschrift ist heute jedoch nicht mehr ermittelbar. Der tendenziösen Schrift „Die Juden und die Justiz“ (1942) zufolge durfte er jedoch auf Weisung des Justizministeriums christlichen Verfahrensbeteiligten keinen Eid abnehmen und nur noch in der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig sein. Da diese partielle Rücknahme der Gleichstellung auf administrativem Weg der gängigen Praxis entsprach, dürfte diese Behauptung zutreffend sein. Nachweislich war Wolf in den folgenden Jahren (spätestens ab 1854) beim Königlichen Stadtgericht in der Abteilung für Zivilsachen beschäftigt. Dort arbeitete er v.a. Stadtgerichtsrat
Traugott Eberhard Schaufuß bei Zwangsversteigerungen zu. – Die eingeschränkten Aufstiegsmöglichkeiten aufgrund seiner jüdischen Glaubenszugehörigkeit gaben wohl den Ausschlag für Wolfs Entschluss zur Konversion. Möglicherweise aus Rücksicht auf seinen Vater, in dessen Dresdner Haushalt er seit dem Studienende wieder lebte, ließ er sich am 19.1.1857, gut zwei Wochen nach dessen Tod, in der Dresdner Kreuzkirche taufen. Auch Wolfs jüngerer Bruder
Alexander Alfred Wolf entschloss sich später gemeinsam mit seiner jüdischen Ehefrau
Bertha Franziska Marie, geborene Hahn, zu diesem Schritt. Im August desselben Jahrs wurde Wolf zum Gerichtsrat befördert und an das Königliche Bezirksgericht Freiberg abgeordnet, das im Vorjahr im Zuge der in Kraft getretenen Gerichtsverfassung neu eingerichtet worden war. Wolf stand zwar seit Juni 1851 auch auf der Kandidatenliste für die Zulassung als Rechtsanwalt, jedoch dürfte er diese berufliche Option spätestens zu diesem Zeitpunkt fallen gelassen haben. Bis Ende 1862/Anfang 1863 war Wolf beim Gerichtsamt Freiberg in der Abteilung für Zivilsachen mit Zwangsversteigerungen und Konkursverfahren beschäftigt. Nachdem die bisherige Gerichtsbarkeit der Bergämter 1860 an die ordentlichen Gerichte übergegangen war, lag zudem die Aushändigung von Deposita beim Königlichen Bergamt zu Freiberg in Wolfs Zuständigkeit. Als zum 1.3.1862 Handelsgerichte bei den Bezirksgerichten installiert wurden, wurde Wolf auch Mitglied des Freiberger Handelsgerichts. In seiner Freiberger Zeit heiratete er am 18.4.1863 die 17 Jahre jüngere
Julie Hedwig Seydel, Tochter des Dresdner Arzts und Hofrats Friedrich Gustav Seydel. Bis April 1864 wurde Wolf dann in gleicher Funktion wie in Freiberg an das Bezirksgericht Leipzig versetzt und zur Dienstleistung an das Appellationsgericht Leipzig abgeordnet. Anschließend wurde er - ohne den mit einem Ortswechsel üblicherweise verbundenen beruflichen Aufstieg - an das Bezirksgericht Zwickau versetzt. 1871 starb Wolfs Ehefrau, mit der er den Sohn Gustav Wolf, einen deutschnationalen Historiker und Hochschullehrer, und die Tochter
Margitta Wolf hatte. Wolfs Enkel war der Berliner Maler, Grafiker und Comiczeichner Heinz Ludwig. Aus Wolfs nachfolgender Ehe mit
Auguste Helene Nollain entstammte der Sohn
Friedrich Wolf, der als Oberstleutnant in der sächsischen Armee diente. – In Zwickau war Wolf weiter in der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig. Beim Handelsgericht am Bezirksgericht befasste er sich mit Handelsregistereinträgen und Versteigerungen, in der Zivilabteilung beim Königlichen Gerichtsamt mit Konkursen. Mutmaßlich vertretungsweise war Wolf zudem zeitweilig in Strafsachen tätig. 1877/1878 stand Wolf im Zentrum von - auch antisemitisch konnotierten - Anschuldigungen des konservativen Politikers Friedrich August Barth, die dieser als Aufsichtsrat der Zwickau-Lengenfeld-Falkensteiner Eisenbahn-Gesellschaft nach hohen Verlusten der Anleger im sächsischen Landtag erhob. Er forderte Wolfs Entlassung, dem er eine Begünstigung des Bankhauses M. Schie Nachfolger aus familiären Gründen unterstellte, da Wolfs Bruder Alexander Alfred Wolf zu den Mitinhabern gehörte und Wolf selbst fälschlicherweise eine Mitinhaberschaft vorgeworfen wurde. Der sächsische Justizminister Christian Wilhelm Ludwig von Abeken wies die Vorwürfe als unbegründet zurück. 1879 stieg Wolf im Zuge der Einrichtung des Landgerichtsbezirks Zwickau in diesem Jahr zum Kammerdirektor auf. 1886 war er einer von insgesamt fünf Direktoren beim Zwickauer Landgericht. – Als Wolf im April 1888 in den Ruhestand ging, erhielt er von König Albert das Ritterkreuz Erster Klasse des Sächsischen Verdienstordens. Bereits 1878 hatte er das Ritterkreuz Erster Klasse (Albrechts-Orden) verliehen bekommen. Zusammen mit seiner dritten Ehefrau
Agnes Maria Pauline Wolf, geborene Thomann, der Tochter eines vermögenden Gutsbesitzers, zog Wolf zurück nach Dresden. In einem 1887 abgeschlossenen Erbvertrag verzichtete das Ehepaar im Todesfall gegenseitig auf den jeweiligen Nachlass, wobei der Witwe eine jährliche Rentenzahlung zugesichert war. – Wolf war Mitglied der Erzgebirgisch-Vogtländischen Sektion des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins. Er starb am 12.4.1891 in Dresden.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 19116 Personalunterlagen sächsischer Behörden, Gerichte und Betriebe bis 1945, Teil Ministerium der Justiz, Nr. 4028; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, 30145 Amtsgericht Zwickau, Nr. 256 Nachlass des Landgerichtsdirektors Dr. Theodor Wolf in Dresden, 1887 – 1891; Universitätsarchiv Leipzig, Rep. M 22_16080, Rep. M 23 49715; Landeskirchliches Archiv Dresden, Taufbuch der Kreuzkirchgemeinde zu Dresden, 1857; Die Matrikel der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1810-1850. – VII. Bericht der Erzgebirgisch-Voigtländischen Section des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins, Zwickau 1882, S. 13; Ernennungen, Anstellungen, Entlassungen, in: Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle in actenmässigen Darstellungen aus dem Gebiete der Justizpflege und Verwaltung zunächst für das Königreich Sachsen NF 1/1863, S. 144; Freiberger Anzeiger und Tageblatt 1857-1862, 1891; Leipziger Tageblatt und Anzeiger 1854-1868; Mitteilungen über die Verhandlungen des Ordentlichen Landtags im Königreiche Sachsen 1877-1878. Zweite Kammer, Bd. 1, Dresden 1878, Nr. 20, S. 341–346; ebd., Bd. 2, Dresden 1878, Nr. 76, S. 1611, Nr. 99, S. 2139-2145; Personalsachen des Justizdepartments, Auszeichnungen, in: Königlich-Sächsisches Justizministerialblatt 12/1878, Nr. 5, S. 22; Staatshandbuch für das Königreich Sachsen, 1874, 1880, 1882/1883, 1886/1887.
Literatur Sievert Lorenzen, Die Juden und die Justiz, Berlin/Hamburg 1942, S. 44-47, 79-82; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - jüdisches Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006, S. 197f.; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Leipzig 2014, S. 634-636; ders., Anwaltsgeschichte. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig.
Birgit Sack
23.7.2025
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Sack, Artikel: Theodor Wolf,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29400 [Zugriff 6.9.2025].
Theodor Wolf
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 19116 Personalunterlagen sächsischer Behörden, Gerichte und Betriebe bis 1945, Teil Ministerium der Justiz, Nr. 4028; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Chemnitz, 30145 Amtsgericht Zwickau, Nr. 256 Nachlass des Landgerichtsdirektors Dr. Theodor Wolf in Dresden, 1887 – 1891; Universitätsarchiv Leipzig, Rep. M 22_16080, Rep. M 23 49715; Landeskirchliches Archiv Dresden, Taufbuch der Kreuzkirchgemeinde zu Dresden, 1857; Die Matrikel der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1810-1850. – VII. Bericht der Erzgebirgisch-Voigtländischen Section des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins, Zwickau 1882, S. 13; Ernennungen, Anstellungen, Entlassungen, in: Wochenblatt für merkwürdige Rechtsfälle in actenmässigen Darstellungen aus dem Gebiete der Justizpflege und Verwaltung zunächst für das Königreich Sachsen NF 1/1863, S. 144; Freiberger Anzeiger und Tageblatt 1857-1862, 1891; Leipziger Tageblatt und Anzeiger 1854-1868; Mitteilungen über die Verhandlungen des Ordentlichen Landtags im Königreiche Sachsen 1877-1878. Zweite Kammer, Bd. 1, Dresden 1878, Nr. 20, S. 341–346; ebd., Bd. 2, Dresden 1878, Nr. 76, S. 1611, Nr. 99, S. 2139-2145; Personalsachen des Justizdepartments, Auszeichnungen, in: Königlich-Sächsisches Justizministerialblatt 12/1878, Nr. 5, S. 22; Staatshandbuch für das Königreich Sachsen, 1874, 1880, 1882/1883, 1886/1887.
Literatur Sievert Lorenzen, Die Juden und die Justiz, Berlin/Hamburg 1942, S. 44-47, 79-82; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen - jüdisches Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006, S. 197f.; Hubert Lang, Zwischen allen Stühlen. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig (1848-1953), Leipzig 2014, S. 634-636; ders., Anwaltsgeschichte. Juristen jüdischer Herkunft in Leipzig.
Birgit Sack
23.7.2025
Empfohlene Zitierweise:
Birgit Sack, Artikel: Theodor Wolf,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29400 [Zugriff 6.9.2025].