David Hermann Schiff
Der auch zeitweise in Leipzig tätige Hermann Schiff machte sich v.a. als äußerst produktiver Dichter und Schriftsteller der Romantik einen Namen, der später in Vergessenheit geriet und dessen Lebenslauf einige Fragen aufwirft. Die bekannten Fakten seiner Vita offenbaren ein oft eher unerfreuliches, unstetes und prekäres Dasein, das gleichzeitig von enormer Schaffenskraft erfüllt war. – Schiff wuchs, entgegen früheren Annahmen, wahrscheinlich nicht in Armut auf, sondern in einem anfangs gutsituierten und assimilierten jüdischen Haushalt in
Hamburg. Sein Vater
Hertz Bendix Schiff hatte es als Kattun-Kaufmann zu einem gewissen Wohlstand gebracht, den er jedoch später verloren haben soll. Dessen Vater wiederum hatte in zweiter Ehe wahrscheinlich die Großmutter des Dichters Heinrich Heine geheiratet, sodass Heine Schiffs Stiefcousin war. – Nach dem Schulabschluss am Hamburger Johanneum studierte Schiff ab Frühjahr 1822 in
Berlin Jura, wo er wahrscheinlich Gast im Haus von Rahel Varnhagen war und mit Heine zusammentraf. 1824 wechselte er nach
Jena, wo er 1825 in Philosophie promoviert wurde. Seine Arbeit trug den Titel „De natura pulchri et sublimis.“ Fortan war er in Leipzig als freier Schriftsteller tätig, wo er gemeinsam mit dem befreundeten Schriftsteller Wilhelm Bernhardi die Zeitschrift „Der Dichterspiegel“ herausgab und erste Arbeiten im Stil der Schauerromantik vorlegte: Sein 1826 veröffentlichtes Erstlingswerk unter dem Titel „Nachlaß des Kater Murr“ war eine Fortsetzung von
E.T.A Hoffmanns „Lebens-Ansichten des Kater Murr“. Vermutlich aufgrund mangelnden Erfolgs wechselte er 1826 für einige Jahre in seine Heimatstadt und dann 1830 nach Berlin. Auf Empfehlung Heines, mit dem Schiff nachweislich in Kontakt stand, verdingte er sich als Mitarbeiter bei den Unterhaltungsblättern „Gesellschafter“ von Friedrich Wilhelm Gubitz und den „Freimüthigen“ von Willibald Alexis, was ihm eine gewisse finanzielle Sicherheit brachte. Der Tenor seiner Schriften schwankte dabei zwischen seiner eigenen jüdischen Herkunft und Deutschtümelei, wobei ihm antijüdische Tendenzen keineswegs fremd waren. Heine vermied es, sich öffentlich für Schiff zu verwenden, soll ihn aber im Stillen unterstützt haben. Zudem erkannte er das enorme Potenzial seines Cousins als Schriftsteller, wie aus mehreren Briefen hervorgeht. – Mitte der 1830er-Jahre verließ Schiff Berlin und führte ein rastloses Leben, das ihn nach Ostfriesland, Emden, Hamburg,
Hannover und wieder nach Leipzig verschlug, wo er ab 1839 lebte und wieder mit seinem Freund Bernhardi zusammenarbeitete. Beide gaben z.B. die von Franz Wiest begründete Zeitschrift „Die Eisenbahn“ heraus. 1841 ließ er sich in Glaubitz taufen und heiratete Ende November desselben Jahrs in der evangelischen Kirche in Schkeuditz
Louise Auguste Amalie Leuthold, die Tochter eines Leipziger Kirchenaufwärters. Die Eheschließung soll laut eigenen Aussagen nur einen Tag gehalten haben, aber Schiff bürokratische Schikanen für den Rest seines Lebens beschert haben. Da keine rechtlich gültige Scheidung erfolgte, galt er als Vater der beiden Kinder von Louise Auguste Amalie, die jedoch erwiesenermaßen nicht seine leiblichen waren. – 1847 wurde Schiff aus Leipzig verwiesen, lebte wiederum in Hamburg und verbrachte das Revolutionsjahr 1848 in Hannover, wo er als Redakteur des „Krakeeler“ arbeitete, aber wegen eines Streits um eine Beleidigung für drei Wochen inhaftiert war. In Hamburg gab Schiff vorübergehend das satirische Blatt „Vetter Michel“ heraus und musste wegen angeblicher Herabwürdigung des Militärs eine kurze Haftstrafe absitzen. Der anschließend verfügten Ausweisung kam Schiff offenbar nicht nach, denn er wurde in der Folgezeit mehrfach durch die Behörden aufgegriffen und festgesetzt, so etwa im April 1852. Ab Februar 1857 lebte der immer wieder in große Not geratene und häufig dem Alkohol zusprechende Publizist bis zum Sommer in einem Hamburger Armenhaus. Schiff erhielt aufgrund seiner Not von verschiedenen Seiten Unterstützung v.a. durch seinen Verleger
Jakob Friedrich Richter, aber auch z.B. durch die Deutsche Schillerstiftung und Verwandte Heines. Es folgte eine Zeit relativer Stabilität, in der Schiff mit der Veröffentlichung von Romanen und Novellen wieder etwas mehr Aufmerksamkeit fand. Zudem arbeitete er 1860 sechs Monate für das sozialdemokratisch orientierte Blatt „Nordstern“. Allerdings geriet er immer wieder in Konflikte, da er sich in Hamburg offenbar mit potenziellen Geschäftspartnern stritt und überwarf. Schiff verstarb in der Nacht auf den 2.4.1867 in seiner Hamburger Wohnung. – Der teils unter Pseudonymen schreibende Schiff hinterließ einen reichen Fundus an Werken, der auch im Nachgang von Kritikern anerkannt wurde. In seinem Geburts- und Sterbeort erinnerte man sich noch länger an sein Wirken: Mehrere Zeitungen Hamburgs widmeten dem Schriftsteller im frühen 20. Jahrhundert ausführliche Artikel, die in ihrem Tenor teils distanziert ausfielen, aber auch Respekt erkennen ließen. Die Autoren hoben hierbei stark auf Schiffs Rolle als Vertreter der Romantik ab. Sie lobten sein literarisches Talent, das sich zugleich mit einem tragischen Schicksal aus Fragilität, Armut, Alkoholismus und Eskapaden vermengte. Vielleicht aus diesem Erfahrungshorizont heraus, aber wohl auch mit Trendbewusstsein bediente Schiff in den frühen Phasen seines Schaffens oft verstörende Grenzthemen der menschlichen Existenz wie Übersinnliches, Suizid, Krankheit, Tod und Verbrechen, die zunächst noch stark an Zeitgenossen wie E.T.A. Hoffmann und Ludwig Tieck angelehnt waren. Erst in den ausgehenden 1830er-Jahren wandte sich Schiff stärker der jüdischen Emanzipationsliteratur zu, wobei er trotz seiner Angaben, in einem eher säkularen Umfeld aufgewachsen zu sein, großen Kenntnisreichtum des jüdischen Lebens bewies. In der Rückschau galt er als „talentierter, aber in seiner Lebensführung gänzlich hemmungsloser Phantast“ (Dora von Stockert-Meynert, 1914) und Grenzgänger. Spätere Autoren berichten davon, dass sich Schiff zwischenzeitlich trotz der Hilfe Heines und anderer Gönner aus Geldnot immer wieder anderweitig durchschlagen musste, indem er etwa als Musiker, Fechtmeister, Balletttänzer, Notenschreiber oder Gelegenheitsdichter tätig war. Generell existieren über ihn zahlreiche Anekdoten und Gerüchte, deren Wahrheitsgehalt sich freilich oft einer gesicherten Feststellung entziehen, so z.B. im „Neuen deutschen Hausschatz“ des mit ihm bekannten Herrmann Joseph Landau 1866 oder in der 1913 von Friedrich Hirth um eine Biografie Schiffs erweiterten Neuausgabe der von Schiff übersetzten Lebensbilder Honoré de Balzacs. Sein Verhältnis zur Religion war zwiegespalten: Zwar war kleinjüdisches Alltagsleben immer wieder Gegenstand gerade seiner späteren Werke, zugleich jedoch wurden sowohl jüdisch-orthodoxe Rabbiner als auch katholische „Pfaffen“ zum Angriffsziel seiner literarischen Spitzen, so etwa in seinem aufsehenerregenden Werk „Schief-Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirtschaft“ (1848). Schiffs Taufe 1841 scheint sichtbarer Ausdruck des Umstands, dass er zu seiner eigenen Herkunft auf Abstand ging und insofern dem jüdischen Leben wohl nicht besonders nahestand. Dass er dennoch auf einem Israelitischen Friedhof beerdigt wurde, soll allein dem Umstand geschuldet gewesen sein, dass den Behörden nach Schiffs Tod kein Taufnachweis vorlag.
Quellen Staatsarchiv Hamburg, Nr. 411/2/II/B/7718, 2/II/E/9161, 731/8A/769; Stadtarchiv Mainz, Best. 50/56, Geburtsregister der Stadt Mainz 1853, Nr. 342; Stadtarchiv Weimar, Amtsbücher 21 1/14, Sterberegister 1917, Nr. 746 (ancestry.de).
Werke De natura pulchri et sublimis, Jena 1825; mit Wilhelm Bernhardi (Hg.), Der Dichterspiegel. Eine Monatsschrift 1826; Nachlaß des Katers Murr. Eine Fortsetzung der Lebensansichten des Katers Murr von E.T.A. Hoffmann, Leipzig 1826; Pumpauf und Pumprich, Zerbst 1826; Honoré de Balzac. Lebensbilder, 2 Bde., Berlin 1830/1831 (ND mit einer Biografie Schiffs, hrsg. von Friedrich Hirth, München/Leipzig 1913, WV); Das Elendsfell. Drei Novellen nach Balzac, Berlin 1832; Gevatter Tod. Eine Mährchen-Novelle, Hamburg 1838; Die Eisenbahn 1839; Hundert und ein Sabbath, oder Geschichten und Sagen des israelitischen Volkes, Leipzig 1842; Schief Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirtschaft, Hamburg 1848; (Hg.), Vetter Michel. Ein Volksblatt zur Erheiterung und Belehrung 1851; Luftschlösser, Hamburg 1854; Die Prinzessin von Ahlden oder drei Prophezeiungen. Ein Roman der Weltgeschichte von Heinrich Freese, Hamburg 1855; Novellen-Bouquet, hrsg. von Fr. Wilibald Wulff, Hamburg 1858; Das verkaufte Skelett, Hamburg 1866.
Literatur Herrmann Joseph Landau, Neuer deutscher Hausschatz für Freunde der Künste und Wissenschaften, Teil 2, Prag 41866, S. 1121-1126; Hermann Schiff, in: Illustrierte Zeitung 11.5.1867, S. 319f.; Dora von Stockert-Meynert, in: Zeitung für Literatur, Kunst und Wissenschaft. Beilage des Hamburgischen Correspondenten 18.1.1914, S. 1; Olaf Briese, Der arme Vetter Hermann Schiff, in: Heine-Jahrbuch 50/2011, S. 148-165. – ADB 31, S. 192f.; DBE II 8, S. 852; Salomon Wininger (Hg.), Große Jüdische National-Biographie, Bd. 5, Czernowitz 1931, S. 415f.; Andreas B. Kilcher (Hg.), Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur, Stuttgart/Weimar 22012, S. 447-449.
Porträt Schiff, Hermann, Kupferstich, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Bildarchiv und Grafiksammlung, Signatur PORT_00013466_01 (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz].
Lucas Böhme
1.9.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: David Hermann Schiff,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29398 [Zugriff 6.9.2025].
David Hermann Schiff
Quellen Staatsarchiv Hamburg, Nr. 411/2/II/B/7718, 2/II/E/9161, 731/8A/769; Stadtarchiv Mainz, Best. 50/56, Geburtsregister der Stadt Mainz 1853, Nr. 342; Stadtarchiv Weimar, Amtsbücher 21 1/14, Sterberegister 1917, Nr. 746 (ancestry.de).
Werke De natura pulchri et sublimis, Jena 1825; mit Wilhelm Bernhardi (Hg.), Der Dichterspiegel. Eine Monatsschrift 1826; Nachlaß des Katers Murr. Eine Fortsetzung der Lebensansichten des Katers Murr von E.T.A. Hoffmann, Leipzig 1826; Pumpauf und Pumprich, Zerbst 1826; Honoré de Balzac. Lebensbilder, 2 Bde., Berlin 1830/1831 (ND mit einer Biografie Schiffs, hrsg. von Friedrich Hirth, München/Leipzig 1913, WV); Das Elendsfell. Drei Novellen nach Balzac, Berlin 1832; Gevatter Tod. Eine Mährchen-Novelle, Hamburg 1838; Die Eisenbahn 1839; Hundert und ein Sabbath, oder Geschichten und Sagen des israelitischen Volkes, Leipzig 1842; Schief Levinche mit seiner Kalle oder Polnische Wirtschaft, Hamburg 1848; (Hg.), Vetter Michel. Ein Volksblatt zur Erheiterung und Belehrung 1851; Luftschlösser, Hamburg 1854; Die Prinzessin von Ahlden oder drei Prophezeiungen. Ein Roman der Weltgeschichte von Heinrich Freese, Hamburg 1855; Novellen-Bouquet, hrsg. von Fr. Wilibald Wulff, Hamburg 1858; Das verkaufte Skelett, Hamburg 1866.
Literatur Herrmann Joseph Landau, Neuer deutscher Hausschatz für Freunde der Künste und Wissenschaften, Teil 2, Prag 41866, S. 1121-1126; Hermann Schiff, in: Illustrierte Zeitung 11.5.1867, S. 319f.; Dora von Stockert-Meynert, in: Zeitung für Literatur, Kunst und Wissenschaft. Beilage des Hamburgischen Correspondenten 18.1.1914, S. 1; Olaf Briese, Der arme Vetter Hermann Schiff, in: Heine-Jahrbuch 50/2011, S. 148-165. – ADB 31, S. 192f.; DBE II 8, S. 852; Salomon Wininger (Hg.), Große Jüdische National-Biographie, Bd. 5, Czernowitz 1931, S. 415f.; Andreas B. Kilcher (Hg.), Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur, Stuttgart/Weimar 22012, S. 447-449.
Porträt Schiff, Hermann, Kupferstich, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Bildarchiv und Grafiksammlung, Signatur PORT_00013466_01 (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz].
Lucas Böhme
1.9.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: David Hermann Schiff,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29398 [Zugriff 6.9.2025].