Hanno Schmidt

Die Biografie Hanno Schmidts steht exemplarisch für die kirchliche Opposition gegen das DDR-Regime. Bereits während seiner Schul- und Studienzeit fiel Schmidt mit staatskritischem Verhalten auf und geriet in Konflikt mit der Staatsmacht. Als Pfarrer setzte er diese Haltung fort und vertrat v.a. den Gedanken der Friedensbewegung. Er unterstützte die Reformbewegung in der DDR und gehörte zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs zur Gründung des Neuen Forums. Nach der politischen Wende 1989/1990 war er ein gefragter Zeitzeuge zum Leben in der DDR. – Schmidt wurde 1937 in Schönborn-Dreiwerden in eine evangelische Pfarrersfamilie hineingeboren. Seine Vorfahren waren böhmische Exulanten, die, Mitte des 17. Jahrhunderts aus Platten (tschech. Horní Blatná) aufgrund ihrer protestantischen Konfession vertrieben, zu den Mitgründern Johanngeorgenstadts gehörten. Sein Vater Johann-Georg Schmidt wurde 1950 als Nachfolger von Ulrich von Brück Pfarrer der 1945 gegründeten Erlöser-Andreas-Gemeinde in Dresden-Striesen, zu der auch die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Böhmischer Exulanten gehörte. Schmidt absolvierte nach dem Umzug nach Dresden das letzte Grundschuljahr 1950/1951 an der Haydn-Schule (heute Martin-Anderson-Nexö-Gymnasium) in Striesen. Der hiernach erfolgte Eintritt in die Kreuzschule 1951 gelang dem Pfarrerssohn erst durch Mithilfe des Präsidenten der Volkskammer der DDR, Johannes Dieckmann, dessen Sohn Friedrich ein Klassenkamerad Schmidts an der Haydnschule und Konfirmand von Schmidts Vater war. – Nach dem Abitur 1955 ging Schmidt zum Theologiestudium nach Leipzig, wo er auch auf seinen ehemaligen Direktor an der Kreuzschule, Hellmuth Ostermaier, traf. Gemeinsam mit Ostermaier und anderen ehemaligen Schülern des Kreuzgymnasiums entwickelte Schmidt eine zunehmend kritische Position zur politischen Entwicklung in der DDR. Mitte 1957 wurde ihm eine Fahrt nach (West-)Berlin zum Verhängnis: Auf der Rückfahrt wurde er verhaftet, weil er die staatskritische Schrift „Die Revolution entläßt ihre Kinder“ von Wolfgang Leonhard mit sich führte. Schmidt wurde allerdings im Februar des folgenden Jahrs vorzeitig aus der Haft entlassen - vermutlich wiederum infolge einer Intervention Dieckmanns. Er setzte sein Studium am Katechetischen Oberseminar in Naumburg/Saale fort und legte 1962 das Erste Examen in Leipzig ab. – Als Pfarrer war Schmidt ab 1963 an verschiedenen Orten tätig: zunächst im Neubaugebiet Riesa-Weida, seit 1973 im Fritz-Heckert-Gebiet in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), ab 1987 in Coswig und ab 1994 in der Andreas-Erlöser Gemeinde Dresden-Striesen, der ehemaligen Wirkungsstätte seines Vaters. Als Pfarrer der Andreas-Erlöser Gemeinde war Schmidt zugleich Pfarrer der Gemeinde Böhmischer Exulanten. Auf seine Initiative bildete sich Anfang 1998 eine Arbeitsgruppe „Böhmischer Exulanten“, die sich für die Aufarbeitung der Geschichte und den Erhalt des Erbes der Exulantengemeinde einsetzte. Im selben Jahr ging Schmidt in den vorzeitigen Ruhestand. – Sein Wirken in den Gemeinden war zur DDR-Zeit stets mit einem unermüdlichen politischen, staatskritischen Engagement verbunden, nicht zuletzt und besonders in der Friedensbewegung. Schmidt organisierte in der von ihm 1979 gegründeten Bonhoeffer-Gemeinde in Karl-Marx-Stadt eine Friedensgruppe, 1988 in Coswig den ökumenischen Arbeitskreis GUF (Gerechtigkeit - Umwelt - Frieden). Gemeinsam mit anderen DDR-Oppositionellen wie Katja Havemann, Bärbel Bohley oder Jens Reich gehörte Schmidt Anfang September 1989 zu den Gründern des Neuen Forums. Für dieses Engagement erhielt Schmidt gemeinsam mit den anderen Erstunterzeichnern des Gründungsaufrufs „Aufbruch 89“ 2000 den Deutschen Nationalpreis verliehen. In Coswig wiederum gehörte Schmidt als Pfarrer zu den wichtigen Akteuren der „Friedlichen Revolution“ und schuf z.B. im Januar 1990 den „Runden Tisch Coswig“ mit. – Nach der Wende war Schmidt ein gefragter Gesprächspartner zu Themen der DDR-Vergangenheit, wie etwa seine zahlreichen Beiträge im Zeitzeugen-Portal des Hauses der Geschichte, seine Zusammenarbeit mit den Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur oder auch ein Gespräch, das Friedrich Dieckmann mit ihm im MDR 2015 geführt hat, dokumentieren.

Quellen Robert-Havemann-Gesellschaft, Archiv, NFo 116 Erstunterzeichner - Nationalpreis 2000; Auskunft Hans-Christian Schmidt, 2023.

Werke Mein Leben … Das war’s! War’s das?, in: Eike Uhlich/Klaus Wachtel (Hg.), Klassenbuch, Radebeul 2015, S. 310-339.

Literatur Friedrich Dieckmann, Serapis oder Vom tätigen Glauben. Hanno Schmidt - Porträt eines Widerständigen, MDR 2015; Jahrbuch des Evangelischen Kreuzgymnasiums Dresden 2010/2011, 2016/2017-2018/2019; Um Gottes Wort vertrieben. 350 Jahre Evangelisch-Lutherische Gemeinde Böhmischer Exulanten in Dresden, hrsg. vom Kirchenvorstand der Ev.-Luth. Johanneskirchgemeinde Dresden-Johannstadt-Striesen, Dresden 2000; Klaus Wachtel, Hanno Schmidt. Nachruf, in: Jahrbuch des Kreuzgymnasiums Dresden 2022/2023, S. 35-38; Nancy Aris, Sächsische Landesbeauftragte trauert um Hanno Schmidt, 2023; Pfarrer Hanno Schmidt verstorben, in: Der Sonntag. Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen 22.2.2023. – Schmidt, Hanno, in: www.Pfarrerbuch.de/sachsen.

Klaus Wachtel †
20.11.2023


Empfohlene Zitierweise:
Klaus Wachtel †, Artikel: Hanno Schmidt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29369 [Zugriff 25.12.2024].

Hanno Schmidt



Quellen Robert-Havemann-Gesellschaft, Archiv, NFo 116 Erstunterzeichner - Nationalpreis 2000; Auskunft Hans-Christian Schmidt, 2023.

Werke Mein Leben … Das war’s! War’s das?, in: Eike Uhlich/Klaus Wachtel (Hg.), Klassenbuch, Radebeul 2015, S. 310-339.

Literatur Friedrich Dieckmann, Serapis oder Vom tätigen Glauben. Hanno Schmidt - Porträt eines Widerständigen, MDR 2015; Jahrbuch des Evangelischen Kreuzgymnasiums Dresden 2010/2011, 2016/2017-2018/2019; Um Gottes Wort vertrieben. 350 Jahre Evangelisch-Lutherische Gemeinde Böhmischer Exulanten in Dresden, hrsg. vom Kirchenvorstand der Ev.-Luth. Johanneskirchgemeinde Dresden-Johannstadt-Striesen, Dresden 2000; Klaus Wachtel, Hanno Schmidt. Nachruf, in: Jahrbuch des Kreuzgymnasiums Dresden 2022/2023, S. 35-38; Nancy Aris, Sächsische Landesbeauftragte trauert um Hanno Schmidt, 2023; Pfarrer Hanno Schmidt verstorben, in: Der Sonntag. Wochenzeitung für die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen 22.2.2023. – Schmidt, Hanno, in: www.Pfarrerbuch.de/sachsen.

Klaus Wachtel †
20.11.2023


Empfohlene Zitierweise:
Klaus Wachtel †, Artikel: Hanno Schmidt,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29369 [Zugriff 25.12.2024].