Georg Wilke
W. hat sich schon früh autodidaktisch mit prähistorischen Themen beschäftigt und dabei eine so große Sachkenntnis erworben, dass er mit mehreren Artikeln für das von Max Ebert herausgegebene „Reallexikon für Vorgeschichte“ betraut wurde. Seine Verdienste um die sächsische Vorgeschichte liegen v.a. in der Region Grimma und Rochlitz, wo er Vereins- und Museumsgründungen sowie Ausstellungen initiierte. – W. wurde in Dresden geboren und wuchs nach der Versetzung seines Vaters in Rochlitz auf, wo er auch die Bürgerschule und die Selekta besuchte. 1872 bis 1878 ging er auf die Fürstenschule St. Augustin in Grimma, die er Ostern 1878 mit dem Reifezeugnis verließ. Nach dem einjährigen Militärdienst studierte W. in Leipzig Medizin und legte 1882 das Staatsexamen ab. Als Assistent am Anatomischen Institut wurde der junge Arzt 1885 mit einer Arbeit über die weiße Substanz in Gehirn und Rückenmark promoviert, um dann bis 1888 dem berühmten Leipziger Chirurgen Carl Thiersch zu assistieren. Thiersch, der als konsultierender Generalarzt des XII. königlich sächsischen Armeekorps im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/1871 gedient hatte, mag W. zu einer militärischen Laufbahn geraten haben, die ihn vom Assistenzarzt 1. Klasse bei einem Feldartillerieregiment in Dresden (1888) über mehrere Stabsarztposten an wechselnden Garnisonsorten bis zum Oberstabsarzt bei einem Husarenregiment in Grimma führte. 1908 wurde W. zum Divisionsarzt in Chemnitz, 1911 zum General- und Korpsarzt des XX. Armeekorps mit Quartier in Leipzig befördert, das im Ersten Weltkrieg an verschiedenen Schlachten an der Westfront beteiligt war. Für die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse in den Schützengräben und den Rücktransport schwerverwundeter Soldaten von der Marne wurde dem Obergeneralarzt das Eiserne Kreuz I. Klasse und der sächsische Albertorden verliehen. Eine Beinverletzung zwang den hochdekorierten Offizier und Junggesellen zur Rückkehr in die Heimat, wo er 1919 aus dem aktiven Militärdienst entlassen wurde und sich als Pensionär nun ganz seinen vorgeschichtlichen Studien widmen konnte. – Schon als Stabsarzt hatte W. begonnen, sich auf Reisen, die ihn in den Kaukasus, nach Russland und auf den Balkan führten, für volks- und völkerkundliche sowie prähistorische Themen zu interessieren und umfangreiches Material zu sammeln. In Grimma war W. 1900 die treibende Kraft beim Aufbau einer Altertümerausstellung und im darauffolgenden Jahr Gründungsmitglied des Geschichts- und Altertumsvereins zu Grimma sowie zeitweilig auch Museumsleiter. Nachdem er in dieser Zeit eine rege Ausgrabungs- und Publikationstätigkeit zur regionalen Vorgeschichte entfaltet hatte, verlagerte sich sein Forschungsschwerpunkt mehr und mehr auf großräumige Kulturbeziehungen, insbesondere die damals viel diskutierte Frage nach den Ursprüngen der Indogermanen und Arier. Nicht nur mehrere weitere Reisen in den mediterranen Raum, sondern auch Mitgliedschaften in der
Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, v.a. aber in der Deutschen Gesellschaft für Vorgeschichte (DGV), die W. zusammen mit dem Berliner Vorgeschichtsprofessor Gustaf Kossinna 1909 mitbegründet hatte, mögen zu dieser thematischen Verlagerung beigetragen haben. Da sich W. vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs als Laienforscher durch umfangreiche Veröffentlichungen in namhaften Fachzeitschriften ein großes Renommee erworben hatte, betraute ihn der Berliner Vorgeschichtsordinarius Max Ebert in den 1920er-Jahren mit zahlreichen Lemmata in dem von ihm herausgegebenen „Reallexikon der Vorgeschichte“ (1924-1932). Als Gründungs- und Vorstandsmitglied der DGV war W. indessen so weit in den Bannkreis einer von Kossinna dominierten, völkisch-nationalistischen Vorgeschichtsforschung geraten, dass ihn nach 1933 die jungen Prätendenten der NS-Prähistorie als Vorkämpfer „völkischer Erneuerung“ aus prähistorischen Wurzeln für die „neue“ Bewegung vereinnahmen konnten. Tatsächlich soll W. aus seiner nationalistischen und antisemitischen Haltung nie einen Hehl gemacht haben. Dennoch ist nicht bekannt, dass er sich in die Machtkämpfe, die von 1933 bis 1937 in der sächsischen Archäologie und Bodendenkmalpflege zwischen Hans Reinerth und Werner Radig einerseits und dem Landespfleger für Bodenaltertümer Georg Bierbaum andererseits tobten, eingemischt und Partei zugunsten der beiden aktivistischen Vollstrecker des Kossinna-Erbes ergriffen hätte. Er widmete sich vielmehr weiterhin seinen Forschungen und dem Aufbau einer Vorgeschichtsausstellung in seiner Heimatstadt Rochlitz, wo er am 20.10.1938 kurz vor Vollendung des 80. Lebensjahrs hochbetagt verstarb. Während der Obergeneralarzt a.D. in Nekrologen als Wegbegleiter Kossinnas und -bereiter einer kämpferischen NS-Wissenschaft gerühmt wird, beließ er es in seiner Grabinschrift bei einem Bekenntnis zum sächsischen Könighaus: „Getreu seinem Volke und König, getreu seinem Gott und getreu sich selbst.“
Werke Urnen-Fund von Bobersen bei Riesa, in: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 1899, 657-660; Archäologische Parallelen aus dem Kaukasus und den unteren Donauländern, in: Zeitschrift für Ethnologie 36/1904, 39-104; Kulturbeziehungen zwischen Indien, Orient und Europa, Würzburg 1913; Die Vorgeschichtsforschung in Sachsen von 1900-1925, in: Mannus. Zeitschrift für Vorgeschichte 18/1926, 79-102.
Literatur Michael Strobel, Georg W. (1859-1938). Ein sächsischer Militärarzt und völkischer Vorgeschichtsforscher, in: Archaeo. Archäologie in Sachsen 9/2012, S. 32-39. – DBA II.
Porträt Porträt von Oberstabsarzt Dr. Georg W., 1910, Fotografie, Kreismuseum Grimma, Inventar-Nr. C 509 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 Unported License].
Michael Strobel
4.1.2023
Empfohlene Zitierweise:
Michael Strobel, Artikel: Georg Wilke,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29271 [Zugriff 26.11.2024].
Georg Wilke
Werke Urnen-Fund von Bobersen bei Riesa, in: Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 1899, 657-660; Archäologische Parallelen aus dem Kaukasus und den unteren Donauländern, in: Zeitschrift für Ethnologie 36/1904, 39-104; Kulturbeziehungen zwischen Indien, Orient und Europa, Würzburg 1913; Die Vorgeschichtsforschung in Sachsen von 1900-1925, in: Mannus. Zeitschrift für Vorgeschichte 18/1926, 79-102.
Literatur Michael Strobel, Georg W. (1859-1938). Ein sächsischer Militärarzt und völkischer Vorgeschichtsforscher, in: Archaeo. Archäologie in Sachsen 9/2012, S. 32-39. – DBA II.
Porträt Porträt von Oberstabsarzt Dr. Georg W., 1910, Fotografie, Kreismuseum Grimma, Inventar-Nr. C 509 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 Unported License].
Michael Strobel
4.1.2023
Empfohlene Zitierweise:
Michael Strobel, Artikel: Georg Wilke,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29271 [Zugriff 26.11.2024].