Mily Bültmann

Wie nur wenige andere Parlamentarierinnen Sachsens aus der Zeit der Weimarer Republik verkörperte B. den Typus der „Grande Dame“, die für die Deutschnationalen fast zehn Jahre lang im Landtag aktiv war und dort - zumeist aus der Opposition heraus - die tagespolitischen Debatten mitprägte. Innerhalb der DNVP gehörte sie dem moderaten, christlich-konservativen Flügel an. – Über den Bildungsweg von B. ist wenig bekannt, in öffentlichen Dokumenten verzichtete sie meist darauf, einen Beruf anzugeben. Möglicherweise absolvierte sie jedoch eine hauswirtschaftliche Ausbildung. Vermutlich 1879 zog sie mit ihren Eltern nach Hameln, wo sie am 29.9.1884 den Fabrikantensohn und promovierten Arzt Wilhelm Bültmann heiratete. Ein Jahr nach der Trauung zog das junge Paar ins niedersächsische Fallingbostel in der Nähe von Bremen. 1897 siedelten sie nach Dresden über, wo B.s Ehemann eine Praxis in der Antonstraße betrieb. Nachdem Wilhelm 1900 verstorben war, wohnte B. zunächst weiter in der Antonstraße, später auch am Kaiser-Wilhelm-Platz, dem heutigen Palaisplatz. Zwischen 1906 und 1909 war sie in Langebrück gemeldet, bevor sie 1910 in die Marie-Simon-Straße 4 in Loschwitz zog, wo sie bis 1932 lebte. – Mit dem 1901 im Sächsischen Volksschriftenverlag erschienenen Kurzroman „Gerettet“, der sich an junge Mädchen wandte und sich mit moralischer Erziehung beschäftigte, wurde B. erstmalig publizistisch tätig. Zugleich war es das erste Mal, dass sie nachweislich unter dem Namen Mily B. auftrat, den sie auch in der Politik verwendete. Auf dem Internationalen Frauenkongress in Berlin hielt sie im Juni 1904 einen Vortrag über die Beratung von Volksschülerinnen bei der Berufswahl. Dort sprach sie sich für die Einführung von Elternabenden aus, um Mädchen eine bessere Vorbildung zu ermöglichen und sie für hauswirtschaftliche Tätigkeiten zu interessieren. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und mit der Einführung des Wahlrechts für Frauen in Deutschland begann B.s politische Karriere. 1919 wurde sie Vorsitzende der deutschnationalen Frauenortsgruppe in Dresden. Nachdem sie im Juni 1920 im ostsächsischen Wahlkreis noch vergeblich für den Reichstag kandidiert hatte, zog sie nach der Landtagswahl in Sachsen vom 14.11.1920 als Abgeordnete der DNVP erstmals in das sächsische Landesparlament ein. Nur ein Jahr später gehörte B. dem Landesvorstand ihrer Partei an und sprach auf dem sächsischen Parteitag in Chemnitz sowohl über die Arbeit der weiblichen Abgeordneten im Landtag als auch - mit deutlich rassistischen Zwischentönen - über die Besetzung des Rheinlands. Mit einer Ausnahme - als Magdalene Focke von März bis November 1922 für den verstorbenen Abgeordneten Adolf Sander aus Leipzig in den Landtag nachrückte - war B. die einzige weibliche Abgeordnete innerhalb der deutschnationalen Fraktion. Nach Focke war sie zudem die älteste Parlamentarierin des Sächsischen Landtags während der Weimarer Zeit. Ihre erste Rede vor dem Plenum hielt B. am 20.1.1921. Darin argumentierte sie mit Verweis auf das kommunale Selbstbestimmungsrecht gegen eine zwangsweise Eingemeindung von Blasewitz, Weißer Hirsch und ihrer Wahlheimat Loschwitz nach Dresden und zog Parallelen zum Verhältnis zwischen Deutschland und der Entente auf internationaler Ebene. – Insgesamt meldete sich B. in fast zehn Jahren Abgeordnetentätigkeit 52 Mal zu Wort. Damit zählt sie zu den aktivsten, aber auch streitbarsten Parlamentarierinnen. Energisch plädierte sie für eine Beibehaltung des Religionsunterrichts als Stütze der moralischen Erziehung im Geist des Christentums. Sie äußerte sich zur wirtschaftlichen Situation von Hebammen und zum Kampf gegen Mädchenhandel ebenso wie zur Eindämmung von Geschlechtskrankheiten, trug aber auch einen umstrittenen Antrag ihrer Fraktion mit, um das Schauspiel „Hinkemann“ (1923) von Ernst Toller von den sächsischen Bühnen zu verbannen. Besondere Bedeutung wird in der Forschung B.s frühem Einsatz zum Erhalt von städtischen Grünflächen beigemessen. Als die Landesregierung plante, einen Teil der Dresdner Heide zur Anlegung eines Waldfriedhofs umzuwidmen, brachte B. im Mai 1925 einen Antrag ein, der auf die Einführung eines gesetzlichen Schutzes von Waldflächen im Acht-Kilometer-Umkreis von Großstädten nach preußischem Vorbild abzielte. Darüber hinaus beteiligte sich B. regelmäßig an den Debatten um den Landeshaushalt, überwiegend zu Fragen der Bildung, Gesundheit und der kulturellen Förderung. In der Legislaturperiode 1920/22 gehörte sie erst dem Prüfungs-, dann dem Haushaltsausschuss A an, ab 1926 schließlich dem Untersuchungsausschuss für Gefangenenanstalten. Dort sowie im Aufsichtsrat der Landessiedlungsgesellschaft „Sächsisches Heim“ und im Landeswohlfahrts- und Jugendamt kam es des Öfteren zu Kontroversen mit Eva Büttner (SPD). – Im Dresdner Frauenvereinswesen nahm B. - im Gegensatz zu anderen Parlamentarierinnen wie etwa Else Ulich-Beil (DDP) - keine führende Rolle ein. 1909 bis 1911 und 1913 war sie jedoch nachweislich Mitglied im Deutsch-Evangelischen Frauenbund. Bedingt durch die oppositionelle Rolle der DNVP musste B. mit ihrer Partei zahlreiche Abstimmungsniederlagen hinnehmen. Sie erlebte, wie die Deutschnationalen im Landtag innerhalb von zehn Jahren von der nach den Sozialdemokraten zweitstärksten politischen Kraft bis 1930 zur Kleinpartei schrumpften. Eine Kandidatur B.s zur Stadtverordnetenwahl 1924 in Dresden scheiterte. Nachdem B. bei den Wahlen 1929 ihr Mandat nur erhalten hatte, weil der Spitzenkandidat der DNVP August Eckardt ihr sein eigenes Mandat übertrug, kandidierte sie zu den vorgezogenen Landtagswahlen im folgenden Jahr nicht erneut. – Nur einen Monat später, im Juli 1930, trat B. gemeinsam mit dem übrigen Vorstand der Ortsgruppe Dresden aus der DNVP aus und schloss sich der gerade erst gegründeten Konservativen Volkspartei um Reichsminister Gottfried Treviranus und dem früheren DNVP-Vorsitzenden Kuno von Westarp an. Auf der Gründungsversammlung Anfang August bezeichnete sie diesen Schritt als notwendig, um den ursprünglichen Idealen der DNVP nicht untreu zu werden. Zugleich betonte sie, dass sie den politischen Feind auch weiterhin in den linken Parteien sehe. Im anschließenden Wahlkampf zur Reichstagswahl im September 1930 trat die mittlerweile 67-jährige dann allerdings nicht mehr aktiv auf. Während der Zeit des Nationalsozialismus und in den frühen Jahren der DDR scheint sich die ehemalige Landtagsabgeordnete gänzlich ins Private zurückgezogen zu haben. Am 21.5.1952 verstirbt B., die zuletzt im Hainweg 7 wohnhaft war, ein halbes Jahr vor ihrem 90. Geburtstag und wird auf dem nahe gelegenen Waldfriedhof Weißer Hirsch in Dresden beigesetzt.

Quellen Stadtarchiv Hameln, Bestand 211.3 Nr. 9, Heiratsbuch 1884, Standesamt Hameln, Nr. 46 vom 29.9.1884, Bestand 159 Nr. 4, Abmelderegister Hameln, Nr. 965; Frauenstadtarchiv Dresden, Bestand zur Ausstellung „Frauen in der Politik“, Ausstellungstafel Mily B.; Stadtarchiv Dresden, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, Sterbebuch 1952, Standesamt 5 Dresden, Nr. 1200 vom 23.5.1952.

Werke Gerettet, Leipzig 1901; Zum Heimgang unserer Kaiserin, in: Sächsischer Volksbote 1/1921, Nr. 9, S. 67; Zum Wahltag in der Baumblüte, in: ebd. 9/1929, Nr. 19, S. 88f.; Der Versailler Vertrag und die Kriegsschuldlüge, in: ebd., Nr. 25, S. 118; Margarete Behm †, in: ebd., Nr. 32, S. 188; Die Deutschnationalen Frauen und der Landtag, in: ebd. 10/1930, Nr. 25, S. 97.

Literatur M. Stritt, Der Internationale Frauen-Kongress in Berlin 1904, Berlin 1905, S. 312; Jahresberichte des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, Ortsgruppe Dresden (e.V.) 1908/09-1910/11, 1912/13; Rückschau auf den Parteitag, in: Sächsischer Volksbote 1/1921, Nr. 6, S. 41f.; Für und Wider Hugenberg. Die Auseinandersetzung in Sachsen, in: Dresdner Anzeiger 29.7.1930, S. 3; Meinungsfreiheit oder Spießbürgerei, in: Sächsischer Volksbote 10/1930, Nr. 31, S. 123; Vom Wahlkampf in Dresden, in: Dresdner Anzeiger 6.8.1930, S. 4; Der Streit um die Parteikasse, in: Neue Leipziger Zeitung 17.8.1930, S. 2; Todesanzeige Mily B., in: Die Union 29.5.1952, S. 4; E. Jonas, Die Volkskonservativen 1928-1933, Düsseldorf 1965; L. Vogel, Leben und Wirken der ersten Parlamentarierinnen im Sächsischen Landtag der Weimarer Republik (1919-1933), Magisterarbeit TU Dresden 2006 [Ms.]. – O.-R. Wenzel, B., Mily, in: Loschwitz. Illustrierte Ortsgeschichte 1315-2015, hrsg. vom Ortsverein Loschwitz-Wachwitz e.V., Dresden 22016, S. 330.

Porträt Mily B., Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, X 742, Bl. 14/15 1926-33.

Lennart Kranz
2.8.2017


Empfohlene Zitierweise:
Lennart Kranz, Artikel: Mily Bültmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28145 [Zugriff 26.11.2024].

Mily Bültmann



Quellen Stadtarchiv Hameln, Bestand 211.3 Nr. 9, Heiratsbuch 1884, Standesamt Hameln, Nr. 46 vom 29.9.1884, Bestand 159 Nr. 4, Abmelderegister Hameln, Nr. 965; Frauenstadtarchiv Dresden, Bestand zur Ausstellung „Frauen in der Politik“, Ausstellungstafel Mily B.; Stadtarchiv Dresden, 6.4.25 Standesamt/Urkundenstelle, Sterbebuch 1952, Standesamt 5 Dresden, Nr. 1200 vom 23.5.1952.

Werke Gerettet, Leipzig 1901; Zum Heimgang unserer Kaiserin, in: Sächsischer Volksbote 1/1921, Nr. 9, S. 67; Zum Wahltag in der Baumblüte, in: ebd. 9/1929, Nr. 19, S. 88f.; Der Versailler Vertrag und die Kriegsschuldlüge, in: ebd., Nr. 25, S. 118; Margarete Behm †, in: ebd., Nr. 32, S. 188; Die Deutschnationalen Frauen und der Landtag, in: ebd. 10/1930, Nr. 25, S. 97.

Literatur M. Stritt, Der Internationale Frauen-Kongress in Berlin 1904, Berlin 1905, S. 312; Jahresberichte des Deutsch-Evangelischen Frauenbundes, Ortsgruppe Dresden (e.V.) 1908/09-1910/11, 1912/13; Rückschau auf den Parteitag, in: Sächsischer Volksbote 1/1921, Nr. 6, S. 41f.; Für und Wider Hugenberg. Die Auseinandersetzung in Sachsen, in: Dresdner Anzeiger 29.7.1930, S. 3; Meinungsfreiheit oder Spießbürgerei, in: Sächsischer Volksbote 10/1930, Nr. 31, S. 123; Vom Wahlkampf in Dresden, in: Dresdner Anzeiger 6.8.1930, S. 4; Der Streit um die Parteikasse, in: Neue Leipziger Zeitung 17.8.1930, S. 2; Todesanzeige Mily B., in: Die Union 29.5.1952, S. 4; E. Jonas, Die Volkskonservativen 1928-1933, Düsseldorf 1965; L. Vogel, Leben und Wirken der ersten Parlamentarierinnen im Sächsischen Landtag der Weimarer Republik (1919-1933), Magisterarbeit TU Dresden 2006 [Ms.]. – O.-R. Wenzel, B., Mily, in: Loschwitz. Illustrierte Ortsgeschichte 1315-2015, hrsg. vom Ortsverein Loschwitz-Wachwitz e.V., Dresden 22016, S. 330.

Porträt Mily B., Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, X 742, Bl. 14/15 1926-33.

Lennart Kranz
2.8.2017


Empfohlene Zitierweise:
Lennart Kranz, Artikel: Mily Bültmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28145 [Zugriff 26.11.2024].