Hieronymus Lotter der Ältere

L. war in der Mitte des 16. Jahrhunderts ein in Leipzig angesehener Kaufmann, Ratsherr und Bürgermeister. Die sächsischen Landesherren, die seine organisatorischen Fähigkeiten schätzten, zogen ihn zu großen Bauvorhaben heran. L. nahm den Rang eines Baumeisters ein, war aber nicht entwerfend tätig, sondern hatte den Baubetrieb zu überwachen und für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. Als Bürgermeister war er in Leipzig Bauherr großer städtischer Bauten. U.a. wurde in seiner Amtszeit das Alte Rathaus am Markt errichtet. In einer von ihm am 14.9.1573 verfassten Urkunde, hinterlegt im Turmknopf des Rathauses, nannte er sich „Architectus“. Dieser Begriff ist missverstanden worden und hat zu einer Legendenbildung um L. geführt. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde er als Baumeister des Leipziger Rathauses gerühmt und als großer Architekt der deutschen Renaissance heroisiert. Dieses Urteil, das auf einer unkritischen, teilweise falschen Auswertung der zeitgenössischen Quellen beruht, ist zu korrigieren. – L. stammte aus einer reichen Nürnberger Kaufmannsfamilie, die sich 1509 in Annaberg ansiedelte. 1520 wurde er nach Leipzig geschickt, um dort die Handelsgeschäfte des Vaters zu übernehmen. Als Kaufmann und Handelsherr war er v.a. im Metallhandel tätig. Bis 1536 war L. Anteilseigner der Leutenberger und anschließend der Luderstädter Saigerhandelsgesellschaft. Letztere verließ er 1541, ohne aber den Metallhandel aufzugeben. In Leipzig erlangte L. hohes Ansehen, er erhielt das Bürgerrecht (1533) und wurde in den Rat aufgenommen (1549). Kurfürst August schlug dem Rat 1555 vor, L. zum Bürgermeister zu wählen. Dieses Amt führte er bis 1573 achtmal aus (1555, 1556, 1558, 1561, 1564, 1567, 1570, 1573). Seine drei Söhne wurden aufgrund der privilegierten Stellung der Familie ebenfalls in den Leipziger Rat gewählt. L., der zeitweise vermögend war, verlieh 1543 Geld an Herzog Moritz und tätigte umfangreiche Geschäfte mit dem sächsisch-albertinischen und hessischen Hof. In Leipzig gehörten ihm mehrere Häuser. Sein 1550 erbautes Wohnhaus in der Katharinenstraße 26 wurde 1943 zerstört. – Nach dem Schmalkaldischen Krieg wurden die Leipziger Befestigungsanlagen erneuert. Die Pläne erstellte der Festungsbauexperte Caspar Vogt von Wierandt, die Oberaufsicht hatte der kurfürstliche Baumeister Hans von Dieskau inne. 1548 wurde L. zum kurfürstlichen Baumeister in Leipzig berufen. In diesem Amt war er für bauorganisatorische Fragen und Materialbeschaffung zuständig, nicht aber für Planung oder Bauausführung, da er keine Ausbildung als Bauhandwerker erhalten hatte. Er war daher nicht als Architekt tätig. Die Aufsicht über den Bau der Pleißenburg wurde ihm 1549 übertragen. Dieser Festungsbau, eingebunden in das Befestigungssystem Leipzigs, geht auf von Wierandt zurück. L. organisierte den Baubetrieb und legte Geld aus, wenn die finanziellen Zuweisungen aus Dresden ausblieben. 1568 war der Rohbau größtenteils vollendet. Der Innenausbau der Pleißenburg wurde von den Söhnen L.s betreut, denn dieser hielt sich seit 1568 überwiegend in Geyer und Augustusburg auf. – L.s Name ist v.a. mit dem Umbau des Leipziger Rathauses verbunden, das während seiner Amtszeit als Bürgermeister im Renaissancestil (1556/57) umgestaltet wurde. Die Entwürfe hierfür hatte der Steinmetz und Baumeister Paul Speck erstellt, der die Bauausführung bis zu seinem Tod 1556 leitete. Ihm folgte der Baumeister Paul Wiedemann. L. hatte auch hier nur die Oberaufsicht inne. – Kurfürst August, überzeugt von den organisatorischen Fähigkeiten L.s, beauftragte ihn 1568 mit dem Bau der Augustusburg. Wer die Zeichnungen für diesen Schlossbau erstellte, ist nicht bekannt. Entlohnt wurde L. für seine Arbeiten nicht, allerdings wurden ihm im Handel mit dem sächsischen Hof wirtschaftliche Vergünstigungen zugesichert. Ende 1571 überwarf er sich mit dem Kurfürsten, der seinen Baumeister in Augustusburg des Amts enthob und Rochus Graf von Lynar mit dem Bauvorhaben betraute. Im Februar 1572 wurde L. der Zutritt zur Baustelle verwehrt. – Der Kaufmann erwarb 1563 ein Zinnbergwerk in Geyer im Erzgebirge, das sich als Fehlspekulation erwies und viel Geld verschlang. L. geriet dadurch in erhebliche finanzielle Schwierigkeiten, weshalb er 1574 seine Grundstücke in Leipzig verpfänden musste und sich 1579 gezwungen sah, das Bergwerk zu verkaufen.

Literatur G. Wustmann, Der Leipziger Baumeister Hieronymus L., Leipzig 1875; A. Schröder, Der Leipziger „Baumeister“ Hieronymus L. und seine Baumeister, in: Leipziger Kalender 1938, S. 85-94; L. Unbehaun, Hieronymus L., Leipzig 1989; Hieronymus L., in: K. Kühling/D. Mundus, Leipzigs regierende Bürgermeister vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Beucha 2000, S. 21 (P); W. Günther, Hieronymus L., in: A. Bartetzky (Hg.), Die Baumeister der „Deutschen Renaissance“. Ein Mythos der Kunstgeschichte?, Beucha 2004, S. 73-110. – DBA II, III; DBE 6, S. 483; NDB 15, S. 245f.; Thieme/Becker, Bd. 23, Leipzig 1929, S. 408f.

Porträt 1569, Ölgemälde, Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Matthias Donath
4.6.2009


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Hieronymus Lotter der Ältere,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2730 [Zugriff 21.12.2024].

Hieronymus Lotter der Ältere



Literatur G. Wustmann, Der Leipziger Baumeister Hieronymus L., Leipzig 1875; A. Schröder, Der Leipziger „Baumeister“ Hieronymus L. und seine Baumeister, in: Leipziger Kalender 1938, S. 85-94; L. Unbehaun, Hieronymus L., Leipzig 1989; Hieronymus L., in: K. Kühling/D. Mundus, Leipzigs regierende Bürgermeister vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Beucha 2000, S. 21 (P); W. Günther, Hieronymus L., in: A. Bartetzky (Hg.), Die Baumeister der „Deutschen Renaissance“. Ein Mythos der Kunstgeschichte?, Beucha 2004, S. 73-110. – DBA II, III; DBE 6, S. 483; NDB 15, S. 245f.; Thieme/Becker, Bd. 23, Leipzig 1929, S. 408f.

Porträt 1569, Ölgemälde, Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Matthias Donath
4.6.2009


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Hieronymus Lotter der Ältere,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2730 [Zugriff 21.12.2024].