Joseph Meyer

Bildungshunger sowie unternehmerische Energie und Weitsicht waren die entscheidenden Faktoren für den Aufstieg Joseph Meyers zu einem der angesehensten und vermögendsten Vertreter der Dresdner Stadtgesellschaft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Lebensweg des langjährigen, dem liberalen Flügel zuzuordnenden Gemeindevorstehers spiegelt zugleich exemplarisch die mühsame und nur schrittweise erfolgende Emanzipation der Juden in Sachsen wider. Passend dazu gehörte Meyer 1870 zu den Initiatoren und ersten Spendern einer programmatisch religionsübergreifenden Studienstiftung zum Gedenken an Wilhelm Traugott Krug, der als Ständevertreter der Leipziger Universität einen wichtigen politischen Beitrag zu diesem Emanzipationsprozess geleistet hatte. – Über die frühe Jugend und Erziehung Meyers, Sohn des Dresdner „Schutzjuden“ Löw (Löb) Meyer, ist wenig bekannt. Sein Vater besaß ein Porzellangeschäft, wodurch er auf familiäre Ressourcen zurückgreifen konnte. Aus einer Anzeige wegen verbotenen Immobilienerwerbs beim Dresdner Stadtgericht 1812 geht zudem hervor, dass der Vater über einen christlichen Strohmann das Eckhaus Große Frauengasse/Kleine Frauengasse (Nr. 405) mit mehreren Schusterläden im Parterre gekauft haben soll. Da Meyer kein Gewerbe erlernen konnte, hat er sich nach eigener Aussage (1841) selbst in Buchhaltung sowie kaufmännisch wichtigen Fremdsprachen (Englisch, Französisch, Italienisch) ausgebildet. 1830 beantragte Meyer die erforderliche behördliche Genehmigung zur Heirat mit der jüdischen Bankierstochter Henriette Schie, wollte aber zunächst bei seinem Vater wohnen bleiben und dessen Handelsgeschäft gemeinsam weiterbetreiben. Beide künftigen Eheleute entstammten recht wohlhabenden Familien und erhielten jeweils 500 Taler als elterliche Ausstattung. Nach Einziehung von Erkundigungen wurde die Eheerlaubnis im Januar 1831 erteilt. – In den folgenden Jahren betrieb Meyer, der 1839 das Dresdner Bürgerrecht erworben hatte, einen eigenen Antiquitäten- und Porzellanhandel und knüpfte dabei Kontakte zu angesehenen ausländischen Handelshäusern. Aufgrund der neuen Gesetzeslage beantragte er 1841 beim Ministerium des Inneren eine Konzession für den Speditions-, Kommissions- und Großhandel. Ziel war die Übernahme des Speditions- und Kommissionsgeschäfts für Deutschland und das angrenzende Ausland im Auftrag auswärtiger Handelshäuser. Die in einer Mischung aus Konkurrenzangst und antisemitischen Klischees heftig opponierende Dresdner Handelsinnung bestätigte zwar widerwillig den bisherigen unternehmerischen Erfolg Meyers, vermutete aber als dessen Haupteinnahmequelle die von einem ungenannten Strohmann geführte „Detail-Modewarenhandlung“. Ungeachtet weiterer Proteste musste Meyer auf ministerielle Anordnung Mitte 1842 von der Handelsinnung als Grossist aufgenommen werden. Seine Handelsberechtigungen übertrug er anschließend auf die Dresdner Firma Noske, die erfolgreich heimische Luxuswaren und sächsische Textilerzeugnisse in ganz Europa vertrieb. Trotz der erneuten Proteste seiner Innungskollegen erhielt Meyer 1850 auch noch die erbetene Genehmigung für den sogenannten Ausschnitthandel, den Handel mit einzelnen Textilwaren, sowie die Genehmigung zur Firmenumbenennung von „Meyer“ in „Noske-Meyer“. 1860 errichtete er laut Dresdner Handelsregister eine neue Firma, die bis 1904 bestehen sollte. – 1850/1851 ließ Meyer das erste Dresdner Kaufhaus (Neumarkt 13/Eingang Frauenstraße) durch den Architekten Heinrich Herrmann Bothen errichten. In dem fünfgeschossigen Gebäude mit moderner Ladenfront befanden sich im Parterre und im ersten Obergeschoss sein großes Damenkonfektionsgeschäft für die Hautevolee der Residenzstadt, in den oberen Etagen seine Wohnung sowie weitere (Miet-)Wohnungen. Wie die Einstellung einer aus Böhmen stammenden jüdischen Köchin 1853 belegt, lebte die Familie Meyer dort in großbürgerlichen Verhältnissen mit entsprechendem Dienstpersonal. Im Zentrum des Kaufhauses befand sich ein von einer Glaskuppel abgeschlossener Lichthof, der sich in Parterre und erstem Obergeschoss mit Rundbogenarkaden in die galerieartig angeordneten Verkaufsräume öffnete. Der Hof diente zur Erschließung und als Hauptausstellungsraum und ist architektonisch als bedeutsamer Vorläufer der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehenden modernen Warenhaushallen in europäischen Metropolen wie London oder Paris einzuordnen. – 1837 oder 1839 in den Gemeinderat gewählt, wirkte Meyer ab 1858 bis zu seinem Tod als Mitglied des dreiköpfigen Gemeindevorstands und bekleidete seit 1865/1866 auch das Ehrenamt des Synagogenvorstehers. Mit seinen Spenden trug der sehr vermögende Geschäftsmann zum baulichen Unterhalt der Synagoge bei. In seine Amtszeit fallen einige wichtige Reformmaßnahmen, die Kultur und Ritus der jüdischen Gemeinde Dresdens dauerhaft verändern sollten. Als Vorsteher gehörte er 1872 zu den Unterzeichnern einer patriotischen Grußadresse der Dresdner Gemeinde anlässlich der Goldenen Hochzeit des sächsischen Königspaars. – Bereits im Berichtsjahr 1832/1833 erscheint Meyer als Mitglied des fortschrittlichen, auf Bildungsförderung angelegten Mendelssohn-Vereins, seit 1841/1842 gehörte er dessen fünfköpfigem Verwaltungsrat an (1863 Kassierer). Außerhalb der jüdischen Gemeinde engagierte sich Meyer insbesondere in der bereits 1803 gegründeten „Gesellschaft zu Rath und That“, einem wohltätigen Verein, der Almosen ablehnte und stattdessen Bedürftigen Unterstützung zur Selbsthilfe gewährte. Da dem aus eigener Tatkraft außerordentlich erfolgreichen Unternehmer Meyer der Wert einer guten kaufmännischen Ausbildung wohl bewusst war, unterstützte er regelmäßig die Handelslehranstalt in Dresden. Für das Jahr 1860 ist er im Kaufmännischen Verein als eines von nur vier jüdischen Mitgliedern registriert.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10079 Landesregierung, Loc. 31019/1; 10711 Ministerium des Königlichen Hauses, Loc. 32, Nr. 10, 10747 Kreishauptmannschaft Dresden, Nr. 346, 11045 Amtsgericht Dresden, Nr. 1246; Stadtarchiv Dresden, 1.5 Urkundenabschriften, 08110-08111, 2.1.3 Ratsarchiv, C.XLII.155, C.XLII.224, C.XLII.240a, 6.4.25-1.4.2-4 Standesamt/Urkundenstelle, Standesamt I, Personenstandsbuch, Sterberegister 1878, Nr. 1195, 6.4.25-1.4.2-33 Sterberegister 1894, Nr. 828 6.4.25-1.4.2-73 Sterberegister 1914, Nr. 42; Landesarchiv Berlin, P Rep. 800 Standesamt Berlin I, Heiratsregister 1882, Nr. 223 (ancestry.de).

Literatur Emil Lehmann, Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, Dresden 1886; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden, Dresden 1890; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Dresden. Von den ersten Juden bis zur Blüte der Gemeinde und deren Ausrottung, Darmstadt 1973; Marius Winzeler, Heinrich Herrmann Bothen. Architekt in Dresden und Zürich 1814 bis 1878, Lizentiatsarbeit Zürich 1995; Ingrid Kirsch, Das Ringen um die rechtliche Gleichstellung der Dresdner Juden und ihrer Religionsgemeinde von 1830 bis 1871, in: Dresdner Hefte 45/1996, S. 19-26; Einst & jetzt: zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Landeshauptstadt Dresden, Dresden 2001; Kerstin Hagemeyer, Jüdisches Leben in Dresden, Dresden 2002; Cornelia Wustmann, „Das Ideal will nicht gelobt, es will gelebt werden“. Jüdische Wohlfahrt am Beispiel der wohltätigen jüdischen Stiftungen in Dresden und Leipzig, St. Katharinen 2002; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen – Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Digitale Edition - Jüdischer Friedhof Dresden, neuer Friedhof, Fiedlerstraße 3; Konstantin Hermann, Vereine in Dresden 1831 bis 1871, in: Dresdner Geschichtsbuch, Bd. 13, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 2008, S. 76-96; Daniel Ristau, Zwischen Einheit und Vielfalt: Die Israelitische Religionsgemeinde Dresden im Kaiserreich (1871-1918), in: NASG 79/2008, S. 161-187; Gunda Ulbricht/Olaf Klöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013.

Porträt Joseph Meyer, Kommerzienrat, Gemeindevorsteher von 1858 bis 1878, in: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden 2/1927, Nr. 10, S. 14, Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, Digitale Sammlungen, Judaica (Bildquelle).

Jochen Vötsch
21.7.2025


Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Joseph Meyer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27136 [Zugriff 10.8.2025].

Joseph Meyer



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10079 Landesregierung, Loc. 31019/1; 10711 Ministerium des Königlichen Hauses, Loc. 32, Nr. 10, 10747 Kreishauptmannschaft Dresden, Nr. 346, 11045 Amtsgericht Dresden, Nr. 1246; Stadtarchiv Dresden, 1.5 Urkundenabschriften, 08110-08111, 2.1.3 Ratsarchiv, C.XLII.155, C.XLII.224, C.XLII.240a, 6.4.25-1.4.2-4 Standesamt/Urkundenstelle, Standesamt I, Personenstandsbuch, Sterberegister 1878, Nr. 1195, 6.4.25-1.4.2-33 Sterberegister 1894, Nr. 828 6.4.25-1.4.2-73 Sterberegister 1914, Nr. 42; Landesarchiv Berlin, P Rep. 800 Standesamt Berlin I, Heiratsregister 1882, Nr. 223 (ancestry.de).

Literatur Emil Lehmann, Aus alten Acten. Bilder aus der Entstehungsgeschichte der Israelitischen Religionsgemeinde zu Dresden, Dresden 1886; ders., Ein Halbjahrhundert in der israelitischen Religionsgemeinschaft zu Dresden, Dresden 1890; Adolf Diamant, Chronik der Juden in Dresden. Von den ersten Juden bis zur Blüte der Gemeinde und deren Ausrottung, Darmstadt 1973; Marius Winzeler, Heinrich Herrmann Bothen. Architekt in Dresden und Zürich 1814 bis 1878, Lizentiatsarbeit Zürich 1995; Ingrid Kirsch, Das Ringen um die rechtliche Gleichstellung der Dresdner Juden und ihrer Religionsgemeinde von 1830 bis 1871, in: Dresdner Hefte 45/1996, S. 19-26; Einst & jetzt: zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und der Landeshauptstadt Dresden, Dresden 2001; Kerstin Hagemeyer, Jüdisches Leben in Dresden, Dresden 2002; Cornelia Wustmann, „Das Ideal will nicht gelobt, es will gelebt werden“. Jüdische Wohlfahrt am Beispiel der wohltätigen jüdischen Stiftungen in Dresden und Leipzig, St. Katharinen 2002; Simone Lässig, Jüdische Wege ins Bürgertum. Kulturelles Kapital und sozialer Aufstieg im 19. Jahrhundert, Göttingen 2004; Michael Schäbitz, Juden in Sachsen – Jüdische Sachsen? Emanzipation, Akkulturation und Integration 1700-1914, Hannover 2006; Digitale Edition - Jüdischer Friedhof Dresden, neuer Friedhof, Fiedlerstraße 3; Konstantin Hermann, Vereine in Dresden 1831 bis 1871, in: Dresdner Geschichtsbuch, Bd. 13, hrsg. vom Stadtmuseum Dresden, Altenburg 2008, S. 76-96; Daniel Ristau, Zwischen Einheit und Vielfalt: Die Israelitische Religionsgemeinde Dresden im Kaiserreich (1871-1918), in: NASG 79/2008, S. 161-187; Gunda Ulbricht/Olaf Klöckner (Hg.), Juden in Sachsen, Leipzig 2013.

Porträt Joseph Meyer, Kommerzienrat, Gemeindevorsteher von 1858 bis 1878, in: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden 2/1927, Nr. 10, S. 14, Universitätsbibliothek Frankfurt/Main, Digitale Sammlungen, Judaica (Bildquelle).

Jochen Vötsch
21.7.2025


Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Joseph Meyer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27136 [Zugriff 10.8.2025].