Ambrosius Lobwasser

L.s Übersetzungen des „Genfer Psalters“ und verschiedener altkirchlicher Hymnen sowie eigene Dichtungen prägten den Charakter des reformierten Gottesdiensts bis ins 18. Jahrhundert und gaben der Gesangbuch-Entwicklung im deutschen Protestantismus wichtige Impulse. – L. entstammte einer angesehenen Schneeberger Familie, die sich um den dortigen Silberbergbau große Verdienste erworben hatte. Seit 1528 war Leipzig sein Lebensmittelpunkt, wo er zunächst die Lateinschule und später die Universität besuchte. Das 1531 begonnene Studium an der Philosophischen Fakultät schloss er 1535 mit dem Magistergrad ab. 1538 wurde L. in das „Consilium“ der Universität aufgenommen und hielt bis 1549 Lehrveranstaltungen in den Fachgebieten Grammatik, Ethik und Rhetorik ab. Mit der Einführung der Reformation an der Universität Leipzig im Jahr 1539 nahm auch L. das lutherische Bekenntnis an. – Dem Ideal des humanistischen Wanderlehrers folgend, trat L. 1550 eine mehrjährige Reise durch Westeuropa an. Als Mentor und Hofmeister zweier adliger Schüler begleitete er diese nach Löwen (niederländ. Leuven, Belgien) und nahm dort selbst Unterricht bei dem namhaften Juristen Gabriel Mudäus. Anschließend studierte er fünf Jahre in Paris bei Petrus Ramus sowie in Bourges (Frankreich) bei Franciscus Duarenus und Hugo Donellus. Diese mehr oder weniger nach einer Symbiose von Calvinismus und Humanismus strebenden Gelehrten hinterließen bei L. einen ebenso nachhaltigen Eindruck wie die hugenottischen Psalmengesänge, die er im Herzogtum Berry (Frankreich) kennenlernte. 1555 kehrte L. über Anjou (Frankreich) nach Kursachsen zurück und fungierte bis 1561 als Ratgeber sowie Kanzler der Titularburggrafen von Meißen, Heinrich V. und Heinrich VI. von Plauen. 1562 promovierte L. in Bologna (Italien) zum Doktor beider Rechte. Ein Jahr später wurde er auf Vermittlung von Joachim Camerarius d.Ä. zum Professor der Rechte und Hofgerichtsassessor in Königsberg berufen. Bereits einige Jahre vor L.s Übersiedlung nach Preußen hatte der Königsberger Theologe Andreas Osiander einen erbitterten Streit über die Rechtfertigungslehre ausgelöst, der bei L.s Dienstantritt weiter schwelte und 1567 zur Einführung einer streng lutherischen Kirchenordnung führte. Zur allgemeinen Überraschung überstand L., dessen Berührungen mit dem Calvinismus bekannt waren, die konfessionspolitischen Spannungen in Königsberg unbeschadet wohl auch deshalb, weil er anders als die meisten seiner Kollegen in den Pestjahren 1564/65 nicht aus der Stadt geflohen war und sich dadurch ein hohes Ansehen erworben hatte. Ausdruck dessen ist auch die fünfmalige Wahl L.s zum Rektor der Universität (1566, 1568, 1570, 1574, 1576). – Neben seiner juristischen Lehrtätigkeit widmete sich L. in Königsberg seinen Übersetzungen und Kirchenlieddichtungen. Mit Ausnahme eines akademischen Festgedichts von 1549 sind alle anderen bekannten Werke L.s dort entstanden. Die lange gehegte Absicht einer Übersetzung des „Genfer Psalters“ (Psautier de Genève, auch Hugenottenpsalter) von Clément Marot und Theodor Beza ins Deutsche verwirklichte er, als die Pest den Lehrbetrieb in Königsberg zum Erliegen brachte. Die später als „Lobwasser-Psalter“ äußerst populär gewordene Arbeit war 1565 vollendet, gelangte aber erst 1573 in Leipzig zum Druck. Obwohl L. sehr formgetreu übersetzte und das französische Versmaß beibehielt, erwiesen sich seine deutschen Texte als verständlich, leicht singbar und damit sehr volkstümlich. In gelehrten Kreisen führte das Erscheinen des Lobwasser-Psalters allerdings rasch zu kontroversen Debatten, indem das orthodoxe Luthertum die christozentrische Auslegungsperspektive vermisste und stattdessen von „calvinistischer Schriftverfälschung“ sprach. Entgegen der Absicht L.s, der sich zeitlebens dem Luthertum verpflichtet sah und der als Jurist kaum die Abweichungen zwischen lutherischer und calvinistischer Bibelauslegung überblickt haben dürfte, geriet die Psalmen-Übersetzung ins Fahrwasser der reformierten Konfessionalisierung. Mit mehr als 100 Auflagen diente der Lobwasser-Psalter den deutschen Reformierten über zwei Jahrhunderte als Gesangbuch. In Kursachsen fand der Text Widerhall durch seine Aufnahme in das Dresdner Gesangbuch von 1589, das die Bemühungen Kurfürst Christians I. und seines Kanzlers Nikolaus Krell um eine „zweite Reformation“ illustrierte. Nach dem Scheitern dieser Bewegung wurde es jedoch eingezogen und durch ein lutherisch akzentuiertes Gesangbuch ersetzt. Außerdem lassen sich Liedschöpfungen orthodoxer Lutheraner, wie Nikolaus Selneckers Psalmenlieder, als Gegendichtungen zum Lobwasser-Psalter interpretieren. Gleichwohl wurde L.s lutherische Gesinnung zu Lebzeiten in Kursachsen nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen, weshalb auch weitere Werke von ihm in Leipzig gedruckt wurden und Verbreitung fanden. 1584 erschienen L.s Bibelsummarien, die er als lehrhaftes Erbauungsbuch konzipiert hatte. 1587 veröffentlichte er seine „Hymni Patrum“, eine Übersetzung altkirchlicher Hymnen, ergänzt um Dichtungen von Philipp Melanchthon, Paul Eber, Georg Fabricius, Joachim Camerarius u.a. sowie 39 eigene Lieder. Die zugeordneten Melodien entstammten wiederum sowohl der lutherischen als auch der hugenottischen Tradition. Einem ganz anderen Genre gehörte dagegen die Übersetzung eines Schauspiels des schottischen Dichters George Buchanan an, das unter dem Titel „Tragoedia von der Entheuptung S. Johannis des Teuffers“ erschien und das L. um 1576 in Königsberg auch aufführen ließ. L.s „Deutsche Epigrammata“, eine Art Gesellschaftsbeschreibung nach Berufsständen und christlichen Tugenden, wurde 1611 posthum herausgegeben. – Durch Krankheit gezeichnet und unter einer Gehbehinderung leidend, gab L. 1580 sein Lehramt auf. Der lebenslangen Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Schneeberg verlieh er kurz vor seinem Tod Ausdruck, indem er in seinem Testament von 1584 dem Sohn seines Bruders Michael ein Stiftungskapital auftrug, das als Lobwasser-Legat später zahlreichen Schneeberger Bürgersöhnen ein Universitätsstudium ermöglichte. – Einzelne Stücke L.s sind noch heute Bestandteil des Evangelischen Gesangbuchs und des katholischen Gotteslobs.

Werke Clément Marot/Theodor Beza, Der Psalter deß königlichen Propheten Davids, Leipzig 1573 (Übersetzung aus dem Französischen), ND Hildesheim 2003; Bewerte Hymni Patrum und anderer Gottseligen Menner, Königsberg 1578, ND Leipzig 1579; Biblia Darinnen die Summarien aller Capittel der gantzen heiligen Schrifft, Leipzig 1584; George Buchanan, Tragoedia von der Entheuptung S. Johannis des Teuffers [1585] (Übersetzung aus dem Lateinischen); Zierliche, nützliche und artige Deutsche Epigrammata, Leipzig 1611; P. Wackernagel (Hg.), Das deutsche Kirchenlied, Bd. IV, Leipzig 1874, S. 844-877; J. Stalmann (Hg.), Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien, Abt. III: Die Melodien aus gedruckten Quellen bis 1680, Bd. 2: Die Melodien 1571-1580, Kassel 2003.

Literatur Acta Borussica ecclesiastica, civilia, literaria, Bd. 2, Königsberg/Leipzig 1731, S. 698-712; E. Trunz, Die deutsche Übersetzung des Hugenottenpsalters, in: Euphorion 29/1928, S. 578-617; ders., Studien zur Geschichte der deutschen gelehrten Dichtung des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, Bd. 1: Ambrosius L., Berlin 1932; F. Blume, Geschichte der evangelischen Kirchenmusik, Kassel 1965; L. Kessner, Ambrosius L., in: E. Grunewald/H. P. Jürgens/J. R. Luth (Hg.), Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. 16.-18. Jahrhundert, Tübingen 2004, S. 217-228; H. Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005. – ADB 19, S. 56-58; DBA I, II, III; DBE 6, S. 433; NDB 14, S. 740f.

Porträt Ambrosius L., Conrad Meyer, 1675, Radierung, Staatliche Graphische Sammlung München; Ambrosius L., Tobias Gabriel Beck, Kupferstich, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inventar-Nr. A 26901 (Bildquelle) [CC BY SA 3.0 DE; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons 3.0 Deutschland Lizenz].

Michael Wetzel
29.8.2019


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Ambrosius Lobwasser,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2703 [Zugriff 30.6.2024].

Ambrosius Lobwasser



Werke Clément Marot/Theodor Beza, Der Psalter deß königlichen Propheten Davids, Leipzig 1573 (Übersetzung aus dem Französischen), ND Hildesheim 2003; Bewerte Hymni Patrum und anderer Gottseligen Menner, Königsberg 1578, ND Leipzig 1579; Biblia Darinnen die Summarien aller Capittel der gantzen heiligen Schrifft, Leipzig 1584; George Buchanan, Tragoedia von der Entheuptung S. Johannis des Teuffers [1585] (Übersetzung aus dem Lateinischen); Zierliche, nützliche und artige Deutsche Epigrammata, Leipzig 1611; P. Wackernagel (Hg.), Das deutsche Kirchenlied, Bd. IV, Leipzig 1874, S. 844-877; J. Stalmann (Hg.), Das deutsche Kirchenlied. Kritische Gesamtausgabe der Melodien, Abt. III: Die Melodien aus gedruckten Quellen bis 1680, Bd. 2: Die Melodien 1571-1580, Kassel 2003.

Literatur Acta Borussica ecclesiastica, civilia, literaria, Bd. 2, Königsberg/Leipzig 1731, S. 698-712; E. Trunz, Die deutsche Übersetzung des Hugenottenpsalters, in: Euphorion 29/1928, S. 578-617; ders., Studien zur Geschichte der deutschen gelehrten Dichtung des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts, Bd. 1: Ambrosius L., Berlin 1932; F. Blume, Geschichte der evangelischen Kirchenmusik, Kassel 1965; L. Kessner, Ambrosius L., in: E. Grunewald/H. P. Jürgens/J. R. Luth (Hg.), Der Genfer Psalter und seine Rezeption in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. 16.-18. Jahrhundert, Tübingen 2004, S. 217-228; H. Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005. – ADB 19, S. 56-58; DBA I, II, III; DBE 6, S. 433; NDB 14, S. 740f.

Porträt Ambrosius L., Conrad Meyer, 1675, Radierung, Staatliche Graphische Sammlung München; Ambrosius L., Tobias Gabriel Beck, Kupferstich, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Inventar-Nr. A 26901 (Bildquelle) [CC BY SA 3.0 DE; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons 3.0 Deutschland Lizenz].

Michael Wetzel
29.8.2019


Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Ambrosius Lobwasser,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2703 [Zugriff 30.6.2024].