Joseph Joachim
Joseph Joachim gilt als einer der bedeutendsten Violinisten, Musikpädagogen und Musikerpersönlichkeiten seiner Zeit, dessen Name in der Musikwelt bis heute eine prägende Wirkung erfährt und dem ganze Konzerte gewidmet sind. In Leipzig, wo er seine Ausbildung abschloss, ebnete Felix Mendelssohn-Bartholdy ihm den Weg in die großen europäischen Konzertsäle. – Geboren wurde Joachim als siebentes Kind eines jüdischen Ehepaars im heute zum österreichischen Burgenland zählenden
Kittsee (Österreich), damals Teil der Siebengemeinden. Bereits 1833 siedelten die Joachims in der Hoffnung auf bessere Bildungs- und Geschäftsoptionen nach
Pest (heute Budapest) über, wo bereits ein Verwandter lebte. Hier wuchs er im geordneten Umfeld einer Familie aus dem gehobenen Mittelstand heran. Bald trat ein erstaunliches Talent des Knaben auf der Violine hervor. Auf Rat eines Bekannten ließen die Eltern Joachim, obwohl das Musizieren in der Familie bislang keine größere Rolle gespielt hatte, ab 1836 fachkundigen Unterricht durch den Kapellmeister und Orchesterleiter Stanisław Serwaczyński angedeihen. Infolgedessen debütierte der junge Joseph Joachim bereits mit acht Jahren im Pester „Adelscasino“ an der Geige, was seinen Ruf als talentiertes „Wunderkind“ begründen sollte. Ende der 1830er-Jahre ging Joachim nach
Wien, wo er seine Ausbildung beim Violinisten Joseph Böhm fortsetzte. 1843 wurde Leipzig zur nächsten Station Joachims, wo er am im selben Jahr gegründeten „Conservatorium der Musik“ Felix Mendelssohn Bartholdys seine Fertigkeiten auch im Komponieren weiter vertiefte. Sein Lehrer in Leipzig war u.a. der auch mit Ignaz Moscheles befreundete Ferdinand David. Joachims erster öffentlicher Auftritt in Leipzig fand im August 1843 statt. Konzerteinladungen führten den jungen Musiker auf Empfehlung Bartholdys u.a. zur renommierten Philharmonic Society nach England, wo er das Violinkonzert op. 61 Ludwig van Beethovens zur Aufführung brachte. Nach einer Konzertmeisterstelle in Leipzig wechselte Joachim 1850 auf eine solche in Weimar, wo er den Musiker Franz Liszt kennenlernte. In
Hannover hatte er ab 1853 bereits mit Anfang Zwanzig einen Posten als Königlicher Konzertdirektor inne. Zu Beginn seiner Hannoveraner Zeit lernte er Clara Schumann, deren Ehemann Robert sowie später Johannes Brahms kennen, zu dem sich eine lebenslange Freundschaft entwickeln sollte. Clara Schumann stand er nach dem Suizidversuch ihres Gatten zur Seite. 1868 wurde Joseph Joachim durch König Wilhelm I. von Preußen zum Gründungsrektor der Königlich Akademischen Hochschule für ausübende Tonkunst berufen, ein Vorläufer der Musikhochschule Berlin. Im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich galt Joachim als einer der einflussreichsten und namhaftesten Virtuosen der Musikwelt. Zugleich hatte er in seiner Funktion als Rektor ein großes Arbeitspensum zu bewältigen. Wiederholt stand er in dieser Zeit mit dem berühmten Leipziger Musikverlag C. F. Peters in Kontakt, den er beispielsweise um die Leihgabe eines Gemäldes zur Berliner Bach-Ausstellung bat. – Joachim blieb bis kurz vor seinem Tod aktiv und unternahm noch im Frühjahr 1907 eine Gastspielreise mit Kollegen seines Streichquartetts („Joachim-Quartett“). Dabei zog er sich eine Infektion zu, an deren Folgen er mit 76 Jahren in seiner Wohnung am Kurfürstendamm in
Berlin-Charlottenburg starb. Seine letzte Ruhestätte auf dem Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Friedhof wurde später zum Ehrengrab erklärt. – Die Laufbahn Joachims ist überaus beeindruckend. Verantwortlich dafür war, dass sein Talent frühzeitig erkannt und gefördert worden war. Während seines Lebens gab Joachim unzählige Konzerte im In- und Ausland. Sein umfangreicher Schülerkreis bevorzugte wie auch er selbst möglichst komponistennahe Interpretationen der Werke. Als eines von Joachims Verdiensten gilt zudem der Umstand, dass er die Violinwerke Johann Sebastian Bachs, die bis dahin als nicht geeignet für den Konzertsaal galten, erstmalig ohne zusätzliche Klavierbegleitung aufführte. Auf Vermittlung des Musikalienverlegers Bartholf Senff wurde Joachim während seiner Weimarer Zeit 1851 mit der Nummer 201 Mitglied der im Vorjahr gegründeten Leipziger Bach-Gesellschaft, in Hannover gehörte er zum dortigen Künstlerverein. Als Ehrenpräsident der Gedenkstätte für Beethoven in dessen Bonner Geburtshaus initiierte Joachim Ende des 19. Jahrhunderts ein Kammermusikfest, das auch Teile der Elite des Deutschen Kaiserreichs nach [Bonn #ognd 4007666-0] zog. – Mit seiner Ehefrau Amalie, die er 1863 ehelichte, hatte Joachim insgesamt sechs Kinder. Häufig trat das Paar auch gemeinsam zu Konzerten auf. Die Ehe wurde jedoch 1884 geschieden, weil Joachim eifersüchtig gewesen sein und seiner Gattin eine Affäre unterstellt haben soll. – Hinsichtlich seiner jüdischen Herkunft scheint Joachim zeitlebens eine innere Zerrissenheit gefühlt zu haben. Trotz seiner Reputation, seiner bereits 1855 erfolgten Taufe und der Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft erlebte er antisemitische Ressentiments gegen sich und andere, unter denen er litt. Im Zusammenhang damit äußerte er mehrfach seine fortbestehende Verbundenheit mit dem jüdischen Teil der deutschen Gesellschaft, seinen „Stammesgenossen“, wie er sie nannte, die sich im Kaiserreich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt sahen. – Joachims Bedeutung zeigt sich in einer ganzen Reihe bereits zu Lebzeiten erhaltener Auszeichnungen, so der Goldenen Ehrenmedaille für Kunst und Wissenschaft (1866), dem Bayerischen Maximiliansorden für Kunst (1897) und dem Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste (1899) sowie mehreren Ehrendoktorwürden. Nach seinem Tod wurden Straßen nach ihm benannt, Gedenkplaketten installiert und Büsten geschaffen. Auch für Fachtagungen, Wettbewerbe und Konzerte wird sein Name bis heute verwendet, so etwa für den Internationalen Joseph-Joachim-Kammermusikwettbewerb.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 21070 C. F. Peters, Leipzig, Nr. 1460, 21081 Breitkopf & Härtel, Leipzig, Nr. 2469, 5116/01, 7398; Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz VI. HA Nl Bosse, R., Nr. 21, Nl Keudell, R.v., Nr. 48a, I. HA Rep. 151, IC Nr. 7145, Nr. 1583 – Schumann Briefedition, Serie 2: Briefwechsel mit Freunden und Künstlerkollegen, Bd. 2: Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie, hrsg. von Klaus Martin Kopitz, 2 Bde., Köln 2019.
Werke Andantino und Allegro scherzoso für Violine und Orchester B-Dur, 1849, op. 1; Drei Stücke für Violine und Klavier (Romanze, Fantasiestück, Eine Frühlingsfantasie), 1852, op. 2; Violinkonzert Nr. 1 g-Moll, 1853, op. 3; Ouvertüre zu William Shakespeares Hamlet, 1854, op. 4; Drei Stücke für Violine und Klavier, 1854, op. 5; Ouvertüre zu Hermann Grimms Demetrius, 1855, op. 6; Ouvertüre zu William Shakespeares Heinrich IV., 1855, op. 7; Ouvertüre zu einer Komödie von Carlo Gozzi, op. 8; Hebräische Melodien für Viola und Klavier, op. 9; Variationen über ein eigenes Thema für Viola und Klavier, 1855, op. 10; Violinkonzert Nr. 2 d-Moll „in ungarischer Weise“, 1860, op. 11; Notturno für Violine und Orchester (oder Klavier), op. 12; Ouvertüre „In Memoriam Heinrich von Kleist“, 1857, op. 13; Szene der Marfa aus Friedrich Schillers unvollendetem Drama Demetrius für Mezzosopran und Orchester, 1878, op. 14; Romanze für Violine mit Pianoforte, ca. 1855. – (Hg. mit Andreas Moser), Violinschule, 3 Bde., Berlin 1905.
Literatur Heinrich Sievers, Joseph Joachim, in: Leben und Schicksal. Zur Einweihung der Synagoge in Hannover, hrsg. von der Landeshauptstadt Hannover (Presseamt) in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde Hannover e.V., Hannover 1963, S. 79-88; Brigitte Massin, Les Joachim. Une famille de musiciens, Paris 1999; Ute Bär, Sie wissen ja, wie gerne ich, selbst öffentlich, mit Ihnen musicire! Clara Schumann und Joseph Joachim, in: Die Tonkunst. Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft 1/2007, Nr. 3, S. 247-257; Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim - Frau und Mann. Biographie und Interpretationsgeschichte, Wien 22007; Beatrix Borchard, Storytelling oder ‚Lücken markieren‘? Joseph und Amalie Joachim - Nachdenken über den Umgang mit biographischem Material, in: Grazyna Jurewicz/Marie Schröder (Hg.), Jüdische Leben erzählen, Berlin 2023, S. 25-54. – DBE II 5, S. 348; NDB 10, S. 440f.
Porträt Joachim, Joseph, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Aufnahme-Nr. df_hauptkatalog_0268014 (Bildquelle).
Lucas Böhme
22.7.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Joseph Joachim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24653 [Zugriff 10.8.2025].
Joseph Joachim
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, 21070 C. F. Peters, Leipzig, Nr. 1460, 21081 Breitkopf & Härtel, Leipzig, Nr. 2469, 5116/01, 7398; Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz VI. HA Nl Bosse, R., Nr. 21, Nl Keudell, R.v., Nr. 48a, I. HA Rep. 151, IC Nr. 7145, Nr. 1583 – Schumann Briefedition, Serie 2: Briefwechsel mit Freunden und Künstlerkollegen, Bd. 2: Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Joseph Joachim und seiner Familie, hrsg. von Klaus Martin Kopitz, 2 Bde., Köln 2019.
Werke Andantino und Allegro scherzoso für Violine und Orchester B-Dur, 1849, op. 1; Drei Stücke für Violine und Klavier (Romanze, Fantasiestück, Eine Frühlingsfantasie), 1852, op. 2; Violinkonzert Nr. 1 g-Moll, 1853, op. 3; Ouvertüre zu William Shakespeares Hamlet, 1854, op. 4; Drei Stücke für Violine und Klavier, 1854, op. 5; Ouvertüre zu Hermann Grimms Demetrius, 1855, op. 6; Ouvertüre zu William Shakespeares Heinrich IV., 1855, op. 7; Ouvertüre zu einer Komödie von Carlo Gozzi, op. 8; Hebräische Melodien für Viola und Klavier, op. 9; Variationen über ein eigenes Thema für Viola und Klavier, 1855, op. 10; Violinkonzert Nr. 2 d-Moll „in ungarischer Weise“, 1860, op. 11; Notturno für Violine und Orchester (oder Klavier), op. 12; Ouvertüre „In Memoriam Heinrich von Kleist“, 1857, op. 13; Szene der Marfa aus Friedrich Schillers unvollendetem Drama Demetrius für Mezzosopran und Orchester, 1878, op. 14; Romanze für Violine mit Pianoforte, ca. 1855. – (Hg. mit Andreas Moser), Violinschule, 3 Bde., Berlin 1905.
Literatur Heinrich Sievers, Joseph Joachim, in: Leben und Schicksal. Zur Einweihung der Synagoge in Hannover, hrsg. von der Landeshauptstadt Hannover (Presseamt) in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Gemeinde Hannover e.V., Hannover 1963, S. 79-88; Brigitte Massin, Les Joachim. Une famille de musiciens, Paris 1999; Ute Bär, Sie wissen ja, wie gerne ich, selbst öffentlich, mit Ihnen musicire! Clara Schumann und Joseph Joachim, in: Die Tonkunst. Magazin für klassische Musik und Musikwissenschaft 1/2007, Nr. 3, S. 247-257; Beatrix Borchard, Stimme und Geige. Amalie und Joseph Joachim - Frau und Mann. Biographie und Interpretationsgeschichte, Wien 22007; Beatrix Borchard, Storytelling oder ‚Lücken markieren‘? Joseph und Amalie Joachim - Nachdenken über den Umgang mit biographischem Material, in: Grazyna Jurewicz/Marie Schröder (Hg.), Jüdische Leben erzählen, Berlin 2023, S. 25-54. – DBE II 5, S. 348; NDB 10, S. 440f.
Porträt Joachim, Joseph, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek, Aufnahme-Nr. df_hauptkatalog_0268014 (Bildquelle).
Lucas Böhme
22.7.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Joseph Joachim,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24653 [Zugriff 10.8.2025].