Sie sind hier:

Henriette Charlotte von Nassau-Idstein-Wiesbaden

Durch ihre Affäre mit dem Oberhofmarschall Friedrich Carl von Pöllnitz, einschließlich einer unehelichen Geburt, sorgte Henriette Charlotte von Nassau-Idstein-Wiesbaden als junge Herzogin von Sachsen-Merseburg um 1720 für einen Skandal in der alteuropäischen Fürstengesellschaft. Mit Rücksicht auf das Ansehen der albertinischen Wettiner blieben die Untersuchungsakten des kursächsischen Hof- und Justizrats Ludwig Adolph von Zech zu dieser Affäre bis nach 1945 in Dresden unter Verschluss. – Ihre Jugend verbrachte Henriette Charlotte im Kreis ihrer zahlreichen Geschwister am väterlichen Hof im südhessischen Idstein im Taunus. 1711 erfolgte dort ihre heimliche Eheschließung mit Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg, der zu diesem Zeitpunkt nominell noch unter der Obervormundschaft des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. (August II. des Starken) stand. August der Starke wiederum verfolgte hinsichtlich der vom Aussterben bedrohten Merseburger Dynastie seine eigenen Interessen. Im Ehevertrag erhielt Henriette Charlotte 20.000 Reichstaler an Heiratsgeld. Darüber hinaus wurden ihr Schloss und Amt Delitzsch als Witwensitz verschrieben. Kurz darauf nahm das frischvermählte Paar an der Kaiserkrönung in Frankfurt/Main teil und erhielt eine Audienz bei Karl VI. Erst 1712 traf Henriette Charlotte mit ihrem freilich kaum regierungsfähigen Ehemann, der nun zumindest nominell die Herrschaft antreten konnte, in [Merseburg #ognd 4038749-5] ein. Aufgrund der Modernisierung des Merseburger Residenzschlosses residierte das Herzogspaar bis zum Frühjahr 1714 meist in Delitzsch und Dobrilugk (heute Doberlug). Während die junge Henriette Charlotte Hof und Verwaltung beaufsichtigte, bemühte sich der Merseburger Domdechant Balthasar Wilhelm von Gaffron unter dem Hinweis, man habe „biß dato nur eine Bischöffin“ (Säckl 2016, S. 45), um eine Absetzung des Administrators Moritz Wilhelm. – Die junge, gebildete und lebenslustige Herzogin Henriette Charlotte hatte schnell die Defizite des zumindest „verhaltensauffälligen“ Moritz Wilhelm bemerkt und begann eine Affäre mit dem neun Jahre älteren, weltgewandten Friedrich Carl von Pöllnitz, der 1713 als Hofmarschall in die Dienste des Herzogspaars getreten war. In den folgenden Jahren wurden Hof und Sekundogeniturfürstentum von einem verwandtschaftlich eng verknüpften Netzwerk hoher Hof- und Staatsbeamter, zu denen auch der Liebhaber Henriette Charlottes gehörte, beherrscht und ausgeplündert. Die Affäre der Herzogin und die Zustände in Merseburg wurden 1719 in den diplomatischen Korrespondenzen zwischen Wien, Dresden- Warschau und London thematisiert. Als Treffpunkt außerhalb der Residenzen nutzte das Liebespaar offenbar auch das Rittergut Ermlitz bei Schkeuditz, dem Besitz eines Verwandten des Oberhofmarschalls von Pöllnitz. Die Affäre belastete auch das Verhältnis der jungen Herzogin zu ihren Eltern in Idstein schwer und führte angesichts ihrer Schwangerschaft, der Offenbarung des Skandals, 1720 zur Intervention Kursachsens. „Daß die Herzogin intrigals amoureuses hätte, würde man ihr nicht nehmen, aber es müste nicht so grob gemacht werden, daß Kinder daher erfolgten“ (Wilde 2010, S. 275), ließ Kurfürst-König August II. Henriette Charlotte mitteilen. Moritz Wilhelm, ihr Ehemann, soll gegenüber seiner Mutter, der Herzoginwitwe Erdmuthe Dorothea, geäußert haben: „Ich habe es nicht gemacht, der Teufel muß es gemacht haben.“ (Wilde 2010, S. 275) Notgedrungen akzeptierte Henriette Charlotte 1720, dass das Kind unter falschem Namen und unter Vortäuschung einer Totgeburt unmittelbar nach ihrer Niederkunft weggegeben werden sollte. August der Starke versprach im Gegenzug, dass sie bei Ehren erhalten und ihr Liebhaber unter Behalt seiner Güter aus der Haft entlassen wird. Das am 23.6.1720 geborene Mädchen Friederike Ulrike verstarb jedoch noch am selben Tag. Nach diesen Ereignissen lebte das Herzogspaar weitestgehend isoliert in der Residenz Merseburg, während der nunmehr als Geheimer Rat in merseburgische Dienste getretene von Zech die Regierungsgeschäfte im Sinne Kursachsens leitete. Ein Testamentsentwurf Herzog Moritz Wilhelms 1725 sah vor, dass Henriette Charlotte neben ihrem festgeschriebenen Wittum das ihr bereits 1714 durch Schenkung zugeeignete Gut in Roitzsch behalten sollte. – Nach dem Tod ihres Ehemanns 1731 wurde das Schloss in Delitzsch für Henriette Charlotte als Witwensitz wieder eingerichtet und umgestaltet. In dem vor den Toren Leipzigs gelegenen Delitzsch führte sie ein wenig abwechslungsreiches Leben. Sie verstarb bereits 1734 und wurde auf eigenen Wunsch in der Stadtkirche beigesetzt. Für die dortige Kirchengemeinde stiftete sie testamentarisch eine Katechismuspredigerstelle.

Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett; J. Vötsch (Hg.), Sächsische Fürstentestamente 1652-1831. Edition der letztwilligen Verfügungen der regierenden albertinischen Wettiner mit ergänzenden Quellen, Leipzig 2019.

Literatur Barocke Fürstenresidenzen an Saale, Unstrut und Elster, hrsg. vom Museumsverbund „Die Fünf Ungleichen e.V.“ und dem Museum Schloss Moritzburg Zeitz, Petersberg 2007 (P); Manfred Wilde, Zwischen Ehebruch und Staatsräson. Das außereheliche Verhältnis von Herzogin Henriette Charlotte von Sachsen-Merseburg als diplomatisches Ränkespiel, in: ders./Martina Schattkowsky (Hg.), Sachsen und seine Sekundogenituren. Die Nebenlinien Weißenfels, Merseburg und Zeitz (1657-1746), Leipzig 2010, S. 257-287 (P); Joachim Säckl, Erdmuth Dorothea von Sachsen-Merseburg - eine Regentin in Krisenzeiten (Teil 2), in: Unsere Neuenburg 17/2016, S. 7-74.

Porträt Doppelbildnis des Mauritius Guilielmus der und Henrietta Charlotta zu Sachs.-Mörsebg., Christian Vogelgesang, 1713, Radierung, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Inventar-Nr. 35/15 (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz]; Bildnisse des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg und seiner Frau Henriette Charlotte von Sachsen-Merseburg, geb. Prinzessin von Nassau-Idstein, Martin Bernigeroth, 1716, Kupferstich, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Kupferstichkabinett, Inventar-Nr. A 25527.

Jochen Vötsch
10.9.2024


Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Henriette Charlotte von Nassau-Idstein-Wiesbaden,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24355 [Zugriff 6.9.2025].

Henriette Charlotte von Nassau-Idstein-Wiesbaden



Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10026 Geheimes Kabinett; J. Vötsch (Hg.), Sächsische Fürstentestamente 1652-1831. Edition der letztwilligen Verfügungen der regierenden albertinischen Wettiner mit ergänzenden Quellen, Leipzig 2019.

Literatur Barocke Fürstenresidenzen an Saale, Unstrut und Elster, hrsg. vom Museumsverbund „Die Fünf Ungleichen e.V.“ und dem Museum Schloss Moritzburg Zeitz, Petersberg 2007 (P); Manfred Wilde, Zwischen Ehebruch und Staatsräson. Das außereheliche Verhältnis von Herzogin Henriette Charlotte von Sachsen-Merseburg als diplomatisches Ränkespiel, in: ders./Martina Schattkowsky (Hg.), Sachsen und seine Sekundogenituren. Die Nebenlinien Weißenfels, Merseburg und Zeitz (1657-1746), Leipzig 2010, S. 257-287 (P); Joachim Säckl, Erdmuth Dorothea von Sachsen-Merseburg - eine Regentin in Krisenzeiten (Teil 2), in: Unsere Neuenburg 17/2016, S. 7-74.

Porträt Doppelbildnis des Mauritius Guilielmus der und Henrietta Charlotta zu Sachs.-Mörsebg., Christian Vogelgesang, 1713, Radierung, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Inventar-Nr. 35/15 (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz]; Bildnisse des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg und seiner Frau Henriette Charlotte von Sachsen-Merseburg, geb. Prinzessin von Nassau-Idstein, Martin Bernigeroth, 1716, Kupferstich, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Kupferstichkabinett, Inventar-Nr. A 25527.

Jochen Vötsch
10.9.2024


Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Henriette Charlotte von Nassau-Idstein-Wiesbaden,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24355 [Zugriff 6.9.2025].