Karl Plesse

P. wurde in der Weimarer Republik politisch radikalisiert, engagierte sich während des Dritten Reichs im kommunistischen Widerstand und übernahm dann in der DDR leitende Funktionen. Zugleich ist er ein Beispiel dafür, welch tragische Folgen taktische Alleingänge für kommunistische Funktionäre haben konnten. – Aufgewachsen in einer Leipziger Arbeiterfamilie, war P. ab 1920 als ungelernter Arbeiter tätig. Er schloss sich dem Transportarbeiterverband und der KPD an und beteiligte sich als 15-Jähriger im März 1921 am Mitteldeutschen Aufstand in Leuna. Seit 1927 KPD-Funktionär in Leipzig, gehörte er seit 1929 der Bezirksleitung Sachsen an und arbeitete im KPD-Nachrichtendienst (Anti-Militaristischer Apparat, kurz: AM-Apparat). Von November 1932 bis Juli 1933 absolvierte er einen Kurs an der militärpolitischen Schule der Komintern in Moskau. Danach versuchte er, den AM-Apparat in Essen neu aufzubauen. Im Februar 1934 kehrte er nach Leipzig zurück und war hier bis zu seiner Verhaftung am 9.3.1935 illegal tätig. – Am 21.1.1937 verurteilte der Volksgerichtshof P. wegen Hochverrats zu drei Jahren Zuchthaus. Die Strafe verbüßte P. in Zwickau und Essen, danach kam er ins Konzentrationslager Buchenwald. Im August 1939 wurde er in das Berliner Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße überstellt und von dort im April 1940 anlässlich des „Führergeburtstags“ entlassen. Im September 1940 willigte er in eine Verpflichtungserklärung als V-Mann bei der Gestapo Leipzig ein. Die wenigen Berichte, die er daraufhin verfasste, dürften belanglos gewesen sein, zumal P. zu dieser Zeit in Kontakt mit illegal tätigen Kommunisten wie Kurt Kresse und Georg Schwarz stand, ohne dass der Gestapo etwas von deren Aktivitäten bekannt wurde. P.s im November 1940 eingereichtes und kurz danach bewilligtes Gesuch zur Wiedererlangung der bürgerlichen Ehrenrechte sowie der Wehrwürdigkeit war ein taktischer Schachzug, um in den Besitz des Führerscheins zu kommen. Diesen benötigte er für seine Tätigkeit in der Desinfektionsfirma von Rudolf Hardtmann, die oft zur Bekämpfung von Ungeziefer in Zwangsarbeitslagern eingesetzt war. Um Hardtmann bildete sich eine bedeutende Widerstandszelle in Leipzig. – Im Februar 1942 wurde P. zur Wehrmacht eingezogen und war insgesamt sechs Monate an der Ostfront. Verwundet kehrte er nach Leipzig zurück und wurde als Wachsoldat eingesetzt. Bis zu seiner Verhaftung im August 1944 engagierte er sich im Leipziger „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD). Im Gefängnis ging er auf ein Angebot der Gestapo ein und ließ sich zum Schein als V-Mann reaktivieren. Ab 9.3.1945 auf freiem Fuß, warnte er gefährdete Kommunisten und täuschte zugleich gegenüber der Gestapo Auftragserfüllung vor. Zu Kriegsende wirkte P. maßgeblich in der antifaschistischen Gruppe mit, die Leipzig während des Einmarschs der US-Truppen kurzzeitig unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Von Juni bis September war P. organisatorischer Leiter der KPD der Stadt Leipzig, dann wurde er abgesetzt und eine Parteiuntersuchung gegen ihn und Kurt Roßberg eingeleitet. Mehrere Monate verbrachte er auf dem Parteigut Seiffersdorf unter Hausarrest. Nach seiner im Mai 1946 erfolgten Rehabilitierung leitete er das Braunkohlenkraftwerk Hirschfelde und war ab 1948 für das Braunkohlenrevier Welzow zuständig. Er gehörte 1949 zu den ersten Abgeordneten der DDR-Volkskammer und war zu dieser Zeit sogar als Wirtschaftsminister Thüringens im Gespräch. Vorwürfe, er sei an Schiebereien beteiligt, betreibe eine fragwürdige Personalpolitik und behindere die Parteiarbeit im Betrieb, führten dann jedoch zu Parteiausschluss und Strafverfolgung. – 1951 wurde P. zunächst wegen angeblicher Wirtschaftsverbrechen verhaftet, später konzentrierte sich das Strafverfahren auf seine Tätigkeit als V-Mann der Gestapo. Am 5.12.1952 verurteilte ihn das Bezirksgericht Cottbus wegen „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ zu zehn Jahren Zuchthaus. Jedoch wurde er 1956 vorzeitig entlassen und seine Strafe wenig später getilgt. Auch wurde er wieder in die SED aufgenommen, wenngleich man seine Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei erst ab 1945 anerkannte. In der Folgezeit arbeitete P. im VEB Kombinat „Schwarze Pumpe“ bzw. VEB Kraftwerke Lübbenau/Vetschau. Er bemühte sich um volle Rehabilitierung, die er jedoch nicht mehr erlebte. Erst 1992 hob das Bezirksgericht Frankfurt/Oder das Urteil der DDR-Justiz auf.

Quellen Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Kaderakte, Zentrale Parteikontrollkommission, Zeitzeugenberichte Gustav Hieck, Alfred Hertling, Karl Krauße; Bundesarchiv Berlin, NS-Justizakten; BStU, BV Cottbus, MfS-Strafverfahren; BStU, MfS-Nachforschungen zu P.s Widerstandstätigkeit; BStU, IM-Akte; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, SED, Sammlung Erinnerungen, Gerhard Zipperer; DEFA Augenzeuge 1948/113, 16.7.1948; Strafverfahren Cottbus 1952 und Frankfurt/Oder 1992, in: C. F. Rüter (Hg.), DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Bd. 4, Amsterdam/München 2004, Nr. 1152a, b.

Literatur C. Voigt, Kommunistischer Widerstand in Leipzig 1943/44, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK) 38/2002, H. 2, S. 141-181; W. Mensing, Gestapo V-Leute kommunistischer Herkunft - auch ein Strukturproblem der KPD?, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 34/2005, S. 77-105; U. Grashoff, Der Kommunist Karl P. - Taktik oder Verrat?, in: D. Brunner/A. Kenkmann (Hg.), Leipzig im Nationalsozialismus, Leipzig 2016, S. 27-46; H. Weber/A. Herbst, Deutsche Kommunisten. Biografisches Handbuch, Berlin 22008.

Porträt Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR.

Udo Grashoff
14.12.2017


Empfohlene Zitierweise:
Udo Grashoff, Artikel: Karl Plesse,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24055 [Zugriff 26.11.2024].

Karl Plesse



Quellen Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Kaderakte, Zentrale Parteikontrollkommission, Zeitzeugenberichte Gustav Hieck, Alfred Hertling, Karl Krauße; Bundesarchiv Berlin, NS-Justizakten; BStU, BV Cottbus, MfS-Strafverfahren; BStU, MfS-Nachforschungen zu P.s Widerstandstätigkeit; BStU, IM-Akte; Sächsisches Staatsarchiv - Staatsarchiv Leipzig, SED, Sammlung Erinnerungen, Gerhard Zipperer; DEFA Augenzeuge 1948/113, 16.7.1948; Strafverfahren Cottbus 1952 und Frankfurt/Oder 1992, in: C. F. Rüter (Hg.), DDR-Justiz und NS-Verbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Bd. 4, Amsterdam/München 2004, Nr. 1152a, b.

Literatur C. Voigt, Kommunistischer Widerstand in Leipzig 1943/44, in: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (IWK) 38/2002, H. 2, S. 141-181; W. Mensing, Gestapo V-Leute kommunistischer Herkunft - auch ein Strukturproblem der KPD?, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 34/2005, S. 77-105; U. Grashoff, Der Kommunist Karl P. - Taktik oder Verrat?, in: D. Brunner/A. Kenkmann (Hg.), Leipzig im Nationalsozialismus, Leipzig 2016, S. 27-46; H. Weber/A. Herbst, Deutsche Kommunisten. Biografisches Handbuch, Berlin 22008.

Porträt Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR.

Udo Grashoff
14.12.2017


Empfohlene Zitierweise:
Udo Grashoff, Artikel: Karl Plesse,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24055 [Zugriff 26.11.2024].