Gerhart Wiesenhütter
Bereits in jungen Jahren zeigte sich W.s große musikalische Begabung. Als Schüler spielte er vertretungsweise Orgel zu Gottesdiensten und war Mitglied des Kirchenchors der St.-Johannes-Kirche in Dresden. Nach dem Erwerb der mittleren Reife erhielt er 1928 ein Stipendium für das Studium der Fächer Orgel und Dirigieren an der Staatlichen Orchesterschule der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter
Alfred Kutschbach. Noch vor Abschluss des Studiums 1934 trat W. mit Orgelkonzerten in Erscheinung. Mit nur 21 Jahren übernahm er 1934 die Stelle des Stadtkapellmeisters in Glauchau und hatte diese bis 1936 inne. Bereits in dieser Zeit erhielt er zahlreiche Gastverpflichtungen im In- und Ausland. 1937 missachtete er jedoch den Aufführungskodex der Nationalsozialisten und führte Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy auf, woraus sich Benachteiligungen hinsichtlich weiterer Dirigentenstellen ergaben. 1941 wurde W. Erster Kapellmeister am Stadttheater Saarbrücken, ein Jahr später am Landessinfonieorchester Westmark Ludwigshafen und kam 1943 zur Staatskapelle Karlsruhe, bis das Kriegsgeschehen jegliches kulturelles Schaffen beendete. Nach wenigen Tagen Dienst in der Wehrmacht folgte 1944 eine Dienstverpflichtung als Bürobote in Niederau bei Weinböhla, dem Wohnort seiner Schwiegereltern. Hier trug W. später mit dazu bei, dass der Ort kampflos der Roten Armee übergeben wurde. Danach war W. kurzzeitig stellvertretender Bürgermeister in Weinböhla, bevor er ab dem 1.6.1945 als erster Dirigent der Dresdner Philharmonie nach dem Krieg maßgeblich zum Wiederaufbau dieses Orchesters beitrug. W. leitete am 8.6.1945 das erste öffentliche Konzert nach Kriegsende in Dresden und erhielt im November 1945 den Titel des Generalmusikdirektors. Am 1.6.1946 wechselte W. als musikalischer Oberleiter zum MDR Leipzig, was auch die Leitung des dortigen Sinfonieorchesters einschloss. Hier feierte er große Erfolge als Dirigent und zeigte sich als außerordentlich fähiger Orchesterleiter, dem es gelang, binnen kürzester Zeit ein erstklassiges Ensemble zu formen. Am 27.9.1948 wurde er jedoch wegen „parteifeindlichen und antisowjetischen Verhaltens“ des Amts enthoben und aus der SED ausgeschlossen, wobei vermutlich persönliche Ressentiments und Intrigen mit im Spiel waren. W. blieb der entscheidenden Sitzung des Verfahrens wegen einer Verpflichtung beim RIAS-Sinfonie Orchester West-Berlin fern. In der Spielzeit 1948/49 wirkte W. als Generalmusikdirektor am Landestheater Halle/Saale und nahm auch weiterhin Gastdirigate im In- und Ausland wahr. Zwischen 1955 und 1957 war W. musikalischer Oberleiter am Volkstheater Rostock, woran sich eine kurze Tätigkeit am Metropol-Theater Berlin anschloss. Erst zwischen 1958 und 1970 folgte wieder eine fruchtbare Dirigententätigkeit beim Loh-Orchester in Sondershausen, zunächst als Gastdirigent, ab Januar 1959 als künstlerischer Oberleiter. Auch hier war W. sehr erfolgreich, was sich in Konzerttourneen und Schallplattenaufnahmen widerspiegelte. Zwischendurch wirkte W. für eine Saison (1967/68) als Leiter des ägyptischen Sinfonieorchesters in Kairo. Seinen letzten Posten als Chefdirigent hatte W. 1970 bis 1975 am Staatlichen Sinfonieorchester Gotha inne. Danach blieb er bis zu seinem Tod freischaffend. – W., dem bereits im Abschlusszeugnis des Studiums eine ausgesprochene Dirigentenbegabung attestiert wurde, war sein gesamtes Leben ein leidenschaftlicher und unermüdlicher Orchesterleiter, der allenthalben mit herausragenden Kritiken und anerkennenden Würdigungen bedacht wurde. Zeitzeugen berichten von einer großen Stilähnlichkeit zwischen W. und Wilhelm Furtwängler, welcher sich ebenfalls sehr anerkennend über W. äußerte. Unbestritten ist W.s außerordentlicher Beitrag zum Wiederaufbau der Orchester in Dresden und Leipzig nach dem Zweiten Weltkrieg. Dass W. keine Karriere in der Manier eines Stardirigenten machte, liegt vermutlich zum einen an äußeren historischen und politischen Umständen, die jeweils einen Sprung nach ganz oben verhinderten, zum anderen wohl auch daran, dass der willensstarke W. keine blinde Systemkonformität akzeptierte. W.s Wirken als Dirigent ist in ca. 220 Tonaufnahmen und diversen Schallplattenprägungen dokumentiert. Über den Verbleib einiger weniger hinterlassener Kompositionen aus seiner Jugendzeit ist aktuell keine sichere Aussage zu treffen.
Literatur D. Härtwig, 125 Jahre Dresdner Philharmonie, Dresden 1995 (P); J. Clemen, Mitteldeutscher Rundfunk. Die Geschichte eines Sinfonieorchesters, Altenburg 1999 (P); ders., 75 Jahre MDR Sinfonieorchester, in: Programmjournal Triangel 4/1999, H. 5, S. 90-94 (P); H. Köhler, Persönlichkeiten in Sondershausen. Gerhart W., Sondershausen 2004 (P).
Nils Burchartz
8.8.2006
Empfohlene Zitierweise:
Nils Burchartz, Artikel: Gerhart Wiesenhütter,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23743 [Zugriff 26.11.2024].
Gerhart Wiesenhütter
Literatur D. Härtwig, 125 Jahre Dresdner Philharmonie, Dresden 1995 (P); J. Clemen, Mitteldeutscher Rundfunk. Die Geschichte eines Sinfonieorchesters, Altenburg 1999 (P); ders., 75 Jahre MDR Sinfonieorchester, in: Programmjournal Triangel 4/1999, H. 5, S. 90-94 (P); H. Köhler, Persönlichkeiten in Sondershausen. Gerhart W., Sondershausen 2004 (P).
Nils Burchartz
8.8.2006
Empfohlene Zitierweise:
Nils Burchartz, Artikel: Gerhart Wiesenhütter,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/23743 [Zugriff 26.11.2024].