Elise Hofmann-Bosse
Durch ihr sozialistisches Elternhaus geprägt - ihr Vater galt als „Altmeister der Leipziger Arbeiterbildung“ - zeigte H. bereits in ihrer Jugend ein starkes Interesse an den Ideen der Arbeiterbildungsbewegung. Nach dem Besuch der Bürgerschule, der Freireligiösen Gemeinde (1889-1894) und einer zweijährigen Ausbildung am Kindergärtnerinnenseminar des Vereins für Familien- und Volkserziehung in Leipzig trat sie 1896 ihre erste Stelle als Erzieherin der Kinder eines märkischen Gutsbesitzers an. Beeinflusst von der Pädagogik
Friedrich Fröbels und
Johann Heinrich Pestalozzis leitete sie dann einen Dorfkindergarten in der Nähe von Berlin und seit 1899 den Betriebskindergarten der Leipziger Baumwollspinnerei. Ihre Erfahrungen und die Konfrontation mit den bedrückenden Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter erschütterten sie zutiefst und begründeten ihr lebenslanges Engagement für die Arbeiterbildung. Beispielsweise setzte sie sich mit den Reformbestrebungen des sozialdemokratisch beeinflussten Arbeiterbibliothekswesens, dabei wohl auch mit der richtungweisenden Bibliotheksarbeit ihres späteren Schwagers
Gustav Hennig, auseinander. Dieser hatte um 1900 - zur Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus der kulturell weniger privilegierten Bevölkerungsschichten - bibliothekstechnische Methoden wie individuelle Leserbetreuung und Lektürelenkung entwickelt und praktizierte diese in der Arbeitervereinsbibliothek Leipzig-Plagwitz/Lindenau. Am 1.7.1906 trat H. als Volontärin in die von Walter Hofmann geleitete Freie öffentliche Bibliothek Dresden-Plauen (FÖB) ein, avancierte rasch zur Ersten Assistentin sowie am 1.4.1913 zur Bibliotheksleiterin. Sie beteiligte sich an den monatlichen Sitzungen des Arbeiter-Leser-Beirats (1909-1914), veranstaltete Leseabende insbesondere für junge Mädchen und widmete sich v.a. der Kinder- und Jugendschriften-Abteilung. Durch ihre vorherige Tätigkeit als Kindergärtnerin brachte H. ein starkes sozialpädagogisches Element in die Bibliotheksarbeit ein. Sie gab Hofmann wichtige Impulse bei der Entwicklung seines Reformwerks des Volksbüchereiwesens und bewog ihn, die bibliothekarische Arbeit zu seinem Lebensinhalt zu machen. Nach ihrer Heirat mit Hofmann wechselte H. als Zweite Bibliothekarin der Städtischen Bücherhallen nach Leipzig. Gemeinsam mit ihrem Mann errichtete sie die Fachschule für Bibliothekstechnik und Verwaltung, die spätere Deutsche Volksbüchereischule (1921). Sie übernahm die Betriebs- und Studienleitung dieser ersten, vorbildlichen Ausbildungsstätte für Bibliothekare in Deutschland. Im Sinne einer starken Benutzerorientierung lehrte sie u.a. Methoden der Literaturvermittlung und integrierte das Fach Bevölkerungs- und Leserkunde in den Lehrplan. Letzteres beschäftigte sich auf der Basis soziologischer und demografischer Forschung mit dem Leseverhalten der Bibliotheksnutzer. Parallel dazu überwachte sie als Kuratoriumsmitglied zusammen mit Ida Bienert bis 1919 die Arbeit der FÖB und stand ihren Nachfolgern Hermann Herrigel und Dora Bosse beratend zur Seite. Mit publizistischen Arbeiten setzte sich H. für die Gleichberechtigung der Frau im bibliothekarischen Beruf ein und propagierte die Büchereiarbeit der „Leipziger Richtung“. Im Mai 1933 musste sie aufgrund des sog. Doppelverdienererlasses ihr Amt als Studiendirektorin zwangsweise aufgeben. Dies hinderte sie allerdings nicht, ihre Lehrtätigkeit in einigen Fächern fortzusetzen. 1946 bis 1949 kehrte H. auf ihren alten Posten zurück und leistete wertvolle Arbeit beim Wiederaufbau der Bibliothekarsschule. 1951 wurde sie für ihre Verdienste zum Ehrenmitglied des Vereins Deutscher Volksbibliothekare ernannt. Bis ins hohe Alter beschäftigte sie sich mit Fragen zum Verhältnis von wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliothek und setzte ihre ganze Kraft für die Belange der Fachschule ein. Nach dem Tod ihres Manns 1952 lebte sie zurückgezogen in Leipzig, sichtete und ordnete seinen Nachlass. – Als Lebens- und Werkgefährtin Hofmanns trug H. in hohem Maße zum Aufbau und Erfolg der FÖB bei und hatte einen entscheidenden Anteil an der Entwicklung der Leipziger Fachschule für Volksbibliothekare. Bis heute hat ihr Wirken in den Fachhochschulen für Bibliothekswesen in Köln und Stuttgart sowie im Fachbereich Buch und Museum der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig deutliche Spuren hinterlassen.
Quellen Stadt Leipzig, Standesamt I.
Werke Erinnerungen als Beitrag zur Geschichte Leipzigs in der Zeit von 1880 bis 1950, in: Buch und Bibliothek 31/1979, S. 759-764.
Literatur C. Jansen/M. Steinhoff, Elise H., in: Bücherei und Bildung 7/1955, S. 1-4; Frau H. zum Gedächtnis, in: Der Bibliothekar 9/1955, S. 84-86 (Bildquelle); W. Hofmann, Der Wille zum Werk, Villingen 1967; F. Knilli/U. Münchow (Hg.), Frühes deutsches Arbeitertheater 1847-1918, München 1970; H. E. Hofmann, Walter Hofmann 1879-1952, Berlin 1976 (WV); F. Marwinski, Die freie öffentliche Bibliothek Dresden-Plauen und Walter Hofmann, Leipzig 1983; dies., Sozialdemokratie und Volksbildung, München u.a. 1994; E. Plassmann/D. Kummer (Hg.), Bibliothekarisches Studium in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt/Main 1995; Stadttore zur Medienwelt, hrsg. von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Altenburg 2006. – DBA III; DBE 5, S. 132; W. Killy (Hg.), Literaturlexikon, Bd. 2, Gütersloh 21989, S. 125.
Christiane Schastok
22.10.2009
Empfohlene Zitierweise:
Christiane Schastok, Artikel: Elise Hofmann-Bosse,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2205 [Zugriff 22.12.2024].
Elise Hofmann-Bosse
Quellen Stadt Leipzig, Standesamt I.
Werke Erinnerungen als Beitrag zur Geschichte Leipzigs in der Zeit von 1880 bis 1950, in: Buch und Bibliothek 31/1979, S. 759-764.
Literatur C. Jansen/M. Steinhoff, Elise H., in: Bücherei und Bildung 7/1955, S. 1-4; Frau H. zum Gedächtnis, in: Der Bibliothekar 9/1955, S. 84-86 (Bildquelle); W. Hofmann, Der Wille zum Werk, Villingen 1967; F. Knilli/U. Münchow (Hg.), Frühes deutsches Arbeitertheater 1847-1918, München 1970; H. E. Hofmann, Walter Hofmann 1879-1952, Berlin 1976 (WV); F. Marwinski, Die freie öffentliche Bibliothek Dresden-Plauen und Walter Hofmann, Leipzig 1983; dies., Sozialdemokratie und Volksbildung, München u.a. 1994; E. Plassmann/D. Kummer (Hg.), Bibliothekarisches Studium in Vergangenheit und Gegenwart, Frankfurt/Main 1995; Stadttore zur Medienwelt, hrsg. von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Altenburg 2006. – DBA III; DBE 5, S. 132; W. Killy (Hg.), Literaturlexikon, Bd. 2, Gütersloh 21989, S. 125.
Christiane Schastok
22.10.2009
Empfohlene Zitierweise:
Christiane Schastok, Artikel: Elise Hofmann-Bosse,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/2205 [Zugriff 22.12.2024].