Rudolph Strauß

S. besuchte 1918 bis 1925 das Frankenberger Lehrerseminar. Anschließend war er bis 1947 als Lehrer an Volks- und Hilfsschulen vorwiegend in Chemnitz tätig. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich als Schulleiter und Vorsitzender des Antifaschistischen Lehrerausschusses, Berater sowie Dozent für Neulehrerausbildung vehement für die Lehrerfortbildung ein. Sein Spezialgebiet war die Geschichte. – Wegen eines Gehörleidens musste S. seinen Beruf aufgeben, bewarb sich als Stadtarchivar in Chemnitz und wurde am 1.3.1947 angestellt. Sofort begannen unter seiner Leitung die wenigen Archivmitarbeiter mit einer Revision des gesamten Bestands sowie mit der Sicherung und Rückführung des ausgelagerten Archivguts. Außerdem gelang es ihm, weitere wertvolle Bestände aus verschiedenen Provenienzen vor der Vernichtung zu retten, so v.a. die seit den 1820er-Jahren geführten polizeilichen Meldeunterlagen und die Archivalien des Vereins für Chemnitzer Geschichte und verschiedener Schulbehörden. Um 1950 wurde ein zentrales Bildarchiv der Stadt im Stadtarchiv eingerichtet und mit der zielgerichteten Sammlung von Karten und Plänen begonnen. Noch 1948 konnte S. die bisherige Verwaltungsbibliothek der Stadt mit dem Stadtarchiv vereinigen. Mit der Konzentration dieser Einrichtungen verband er die Absicht, im Stadtarchiv eine Zentralstelle für Heimatforschung zu etablieren. Auf Grund seines Engagements erhielt das Stadtarchiv bereits 1953 mit dem ehemaligen städtischen Leihhaus ein geeignetes Gebäude. Dort konnte neben dem Historischen Archiv auch das seit 1951 eingerichtete Verwaltungsarchiv untergebracht werden. – Schon ab 1947 publizierte S. auf der Basis des vorhandenen Archivmaterials. Seine Arbeiten zeichnen sich durch Faktenreichtum und Nachprüfbarkeit aus, lassen aber auch erkennen, dass er zu verallgemeinern verstand. Von der Gültigkeit historischer Prozesse überzeugt, stellte er aber nie gesellschaftsperspektivische Überlegungen in den Vordergrund, sondern sah die Beziehungen von Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Darüber hinaus beweist S.s Lebenswerk auf beeindruckende Weise, dass er die gesamte Geschichte der Stadt Chemnitz im Blick hatte. Mit den „Beiträgen zur Heimatgeschichte von Chemnitz“ (ab 1953 „Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt“) gelang es ihm, 1952 eine Veröffentlichungsreihe zu begründen, die damals für Stadtarchive der DDR einmalig war. Bis zu seinem Ausscheiden aus dem städtischen Archivdienst 1971 leitete S. die Redaktion von insgesamt 18 Heften und verfasste dafür selbst 16 Aufsätze. Durch diese Veröffentlichungen wurde das Stadtarchiv international bekannt und stand bald mit zahlreichen Partnern im Schriftentausch. Das Spektrum der behandelten Themen reicht von der Frühgeschichte bis in das 20. Jahrhundert, sie befassen sich mit Wirtschafts-, Sozial-, Alltags- und politischer Geschichte. Die Hefte vier bis sechs erschienen beispielsweise anlässlich des 400. Todestags von Georgius Agricola. Als Autoren gewann der Stadtarchivar neben berufserfahrenen Historikern zunehmend junge Forscher, welche die Ergebnisse ihrer Qualifikationsarbeiten in der Reihe veröffentlichten. – Das wissenschaftliche Hauptwerk von S., „Die Lage und Bewegung der Chemnitzer Arbeiter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, erschien 1960 im Akademie-Verlag und zeichnet sich v.a. durch Quellennähe aus. Er schuf damit bereits 1960 eine Maßstäbe setzende Konstituierungsgeschichte des Proletariats. Auf der Grundlage des Werks von Walter Schlesinger regte S. 1961 die Ausgestaltung einer 800-Jahrfeier für Chemnitz an, die für einige Jahre zu einem Schwerpunkt der archivarischen Arbeit und der historischen Forschung wurde. Das aus diesem Anlass erschienene Heft zwölf der „Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt“ widmete sich der Chemnitzer Frühgeschichte. – S. war in verschiedenen Gremien ehrenamtlich tätig, u.a. im Redaktionsbeirat der Zeitschriften „Natur und Heimat“ und „Sächsische Heimatblätter“, im Arbeitsausschuss der Bezirkskommission Natur und Heimat des Kulturbunds und in der Bezirkssektion Geschichte der Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse. Er war Mitglied mehrerer Kommissionen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. S. publizierte in regionalgeschichtlichen Blättern, in Schriften des Akademie Verlags, dem Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, im Brockhaus Verlag, in den „Archivmitteilungen“ und in der lokalen Tagespresse. Mit der ihm eigenen Gründlichkeit verfasste er Gutachten und Rezensionen. Stets betreute er Studenten und andere historisch interessierte Bürger uneigennützig und mit Fachkenntnis. Engagiert beriet S. die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung bei stadtgeschichtlichen Fragen. Dabei war er streitbar und scheute sich nicht vor Auseinandersetzungen. – S.s wissenschaftliche Leistungen wurden mehrfach gewürdigt. 1960 zeichnete ihn die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin mit der Leibnitz-Medaille aus, 1962 erhielt er die Johannes-R.-Becher-Medaille und 1968 die Ernst-Moritz-Arndt-Medaille. V.a. wegen seiner Veröffentlichungen zur Geschichte der Chemnitzer Arbeiter wurde ihm 1970 die Ehrendoktorwürde der Karl-Marx-Universität Leipzig verliehen.

Quellen Stadtarchiv Chemnitz, Personalakte Rudolph S.

Werke (Hg.), Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt 1/1952-18/1971; Die Lage und Bewegung der Chemnitzer Arbeiter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1960.

Literatur H. Bräuer/E. Hofmann, Rudolph S. und Ernst Barth, in: Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt 23/1979, S. 41-56; G. Viertel, Zum Wirken von Dr. h. c. Rudolph S. als Stadtarchivar (1947-1971), in: ebd. 27/1984, S. 87-94; H. Bräuer, „Sozialgeschichte war ja tabuisiert.“, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 14/2004, H. 4, S. 105-117; ders./G. Viertel, Zum 100. Geburtstag des Stadtarchivdirektors Rudolph S., in: Sächsische Heimatblätter 51/2005, S. 42-48.

Porträt Stadtarchiv Chemnitz, Foto: May Voigt (Bildquelle).

Gabriele Viertel
29.4.2011


Empfohlene Zitierweise:
Gabriele Viertel, Artikel: Rudolph Strauß,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18032 [Zugriff 29.3.2024].

Rudolph Strauß



Quellen Stadtarchiv Chemnitz, Personalakte Rudolph S.

Werke (Hg.), Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt 1/1952-18/1971; Die Lage und Bewegung der Chemnitzer Arbeiter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1960.

Literatur H. Bräuer/E. Hofmann, Rudolph S. und Ernst Barth, in: Beiträge zur Heimatgeschichte von Karl-Marx-Stadt 23/1979, S. 41-56; G. Viertel, Zum Wirken von Dr. h. c. Rudolph S. als Stadtarchivar (1947-1971), in: ebd. 27/1984, S. 87-94; H. Bräuer, „Sozialgeschichte war ja tabuisiert.“, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 14/2004, H. 4, S. 105-117; ders./G. Viertel, Zum 100. Geburtstag des Stadtarchivdirektors Rudolph S., in: Sächsische Heimatblätter 51/2005, S. 42-48.

Porträt Stadtarchiv Chemnitz, Foto: May Voigt (Bildquelle).

Gabriele Viertel
29.4.2011


Empfohlene Zitierweise:
Gabriele Viertel, Artikel: Rudolph Strauß,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18032 [Zugriff 29.3.2024].