Max Abraham
Die Edition Peters, die 2023 durch die Wise Music Group in
London übernommen wurde, gilt als einer der erfolgreichsten Musikalienverlage und war schon im 19. Jahrhundert der Inbegriff gedruckter Notenwerke mit erschwinglichem Preisniveau. Entscheidenden Anteil am Aufstieg des Verlags hatte Max Abraham, dessen Unternehmenseinstieg 1863 sich als richtungsweisend herausstellen sollte. – Abraham entstammte einer Kaufmannsfamilie aus
Danzig (poln. Gdańsk), besuchte das dortige Gymnasium und nahm ab 1850 ein Studium der Jurisprudenz auf, das ihn nach
Bonn und
Heidelberg führte und das er mit der Promotion abschloss. Danach ließ er sich in
Paris sowie London im Bankwesen ausbilden und nahm um 1860 eine Stellung als Gerichtsreferendar in
Berlin an. Hier schloss er 1862 Bekanntschaft mit dem Buch- und Musikalienhändler Julius Carl Friedländer, der 1860 den sechs Jahrzehnte zuvor von Franz Anton Hoffmeister und Ambrosius Kühnel gegründeten Leipziger Verlag Bureau de Musique (seit 1814 C. F. Peters) gekauft hatte. Per Vertrag nahm Friedländer den jüngeren Abraham, dessen Beziehung zur Musik bis dato wohl eher lose war, ab April 1863 als Teilhaber des Leipziger Unternehmens auf. Am 30.4.1869 erhielt er innerhalb weniger Tage problemlos das Leipziger Bürgerrecht. – Mit Abrahams Eintritt in den Verlag wurde intern eine Arbeitsteilung etabliert, wobei sich Abraham u.a. der Kontaktsuche und -pflege zu namhaften Komponisten sowie Musikern verschrieb. Dies gelang mit unterschiedlichem Erfolg. Besonders hervorzuheben ist die enge Freundschaft zu dem Norweger Edvard Grieg, der sich mehrfach in Leipzig aufhielt und von der eine rege Briefkorrespondenz Zeugnis ablegt. Aber auch Kontakte zu Clara Schumann, Johannes Brahms, Franz Liszt, Hans von Bülow und vielen weiteren sind belegt. – 1867 konnte Abraham gemeinsam mit dem Drucker und Notenstecher Carl Gottlieb Röder das bei Büchern übliche, lithografische Verfahren auf den Notendruck übertragen, was eine Produktionssteigerung um etwa 800 Prozent ermöglichte. Im gleichen Jahr organisierte er den Verlagsumzug in die Leipziger Königstraße 12 (heute: Goldschmidtstraße) und am 9.11.1867 wurde die Edition Peters als „musikalische Universalbibliothek“ ins Leben gerufen. Vom wirtschaftlichen Aufschwung - besonders nach Gründung des Kaiserreichs 1871 - konnte der Verlag stark profitieren, da die erschwinglichen Notenwerke einerseits in der Klavierindustrie, andererseits aber auch in großen Teilen der Gesellschaft von Adel und Bürgertum bis hin zu Arbeitern, Vereinen, Kirchen und Laienmusikern nachgefragt waren. Zusätzlich begünstigten die verschärften Regelungen des Urheberrechts die Unternehmensplanung. So strengte er für den Verlag 1869/1870 ein Verfahren gegen den Braunschweiger Konkurrenten Theodor Litolff aufgrund des vermeintlich illegalen Nachdrucks eines Werks von Franz Schubert an. Die Klage blieb für die Edition Peters jedoch offenbar erfolglos. Steigende Verlagseinnahmen ermöglichten eine Expansion, die sich darin zeigte, dass im Juli 1873 ein Grundstück an der Talstraße 10 durch das Unternehmen gekauft wurde. Bereits knapp ein Jahr später konnte dort ein größeres Verlagshaus bezogen werden. Im Mai 1876 erwarb die Edition Peters den Verlag Gustav Heinze und war zugleich bei der Weltausstellung in
Philadelphia (USA) vertreten, weitere Beteiligungen folgten. – Während der Verlag national und international immer mehr an Bedeutung gewann und zuverlässig gedrucktes Notenschriftgut etwa von Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven oder Franz Schubert auch für den Schulunterricht lieferte, hatte sich Teilhaber Friedländer zunehmend aus dem Betrieb zurückgezogen. Ende März 1880 endete das Geschäftsverhältnis mit Abraham einvernehmlich, indem Friedländer, bisher v.a. für die Finanzen verantwortlich, das Unternehmen gegen eine vertraglich zugesicherte Abfindung von 600.000 Mark verließ. Als nunmehriger Alleininhaber des Verlags hatte Abraham ein noch größeres Arbeitspensum zu bewältigen. Während dieser Zeit gelang dem Verlag auf dem internationalen Markt eine weitere Expansion durch den sprunghaft steigenden Export. Den Grundstein für ein Familienunternehmen legte Abraham am 15.5.1891, indem er seinen damals 23-jährigen Neffen Henri Hinrichsen, den Sohn seiner Schwester
Betty, zunächst als Prokuristen des Hauses anstellte. Am 1.1.1894 stieg Hinrichsen nach seiner Einarbeitungs- und Lernphase zum Teilhaber des Verlags auf. Zu diesem Zeitpunkt konnte Abraham durch eine Stiftung von 400.000 Mark auch die Eröffnung einer entgeltfreien Musikbibliothek in der Goldschmidtstraße realisieren, die als erste Einrichtung ihrer Art in Leipzig gilt. – Abrahams Privatleben stand gegenüber seinem zeitintensiven Engagement für den Musikalienverlag an zweiter Stelle. Zeitlebens blieb er ledig und kinderlos. Bekannt ist, dass Abraham eine Passion für den Reitsport pflegte, seine Freizeit nutzte er für Reisen etwa in die Alpen oder nach Italien. Darüber hinaus galt sein persönliches Interesse der Geschichte, Musik, Plastik, klassischen Literatur und griechischen Kunst. Politisch soll er als Jugendlicher und junger Mann den Idealen der gescheiterten Revolution von 1848/1849 zugetan gewesen sein, später zeigte er eine Begeisterung für Otto von Bismarck. Zudem soll er in Leipzig auch Veranstaltungen der Freimaurerloge „Apollo“ besucht haben, wo er u.a. den Architekten und Initiator des Leipziger Völkerschlachtdenkmals Clemens Thieme kennenlernte, der Abraham sogar zur Mitarbeit im 1894 gegründeten „Deutschen Patriotenbund zur Errichtung eines Völkerschlachtdenkmals bei Leipzig“ bewegen konnte. – Erinnerungen an Abraham nach dessen Tod heben übereinstimmend seine persönliche Bescheidenheit hervor, die sich gerade in der Blütezeit des geschäftlichen Aufschwungs gezeigt haben soll. Besonders engagiert zeigte sich Abraham als Förderer des Geistes- und Kulturlebens, indem er z.B. unbegüterte Musikschüler oder Musikerwitwen durch Stipendien und Spenden unterstützte. Seit 1873 finanzierte der Verlag eine Freistelle an der Leipziger Lehranstalt für Buchhandlungsgehilfen und noch kurz vor seinem Ableben stellte Abraham 15.000 Mark für ein Musikerheim in
Jena bereit. Die festen Verlagsmitarbeiter, 1900 waren es 17, mussten auf ein Konto einzahlen, das Abraham bezuschusste. Dazu gab es weitere Beihilfen, Gratifikationen und drei Tage Jahresurlaub. Generell wussten viele Geschäftspartner, Weggefährten und auch Angestellte den sehr respektvollen und korrekten Umgang Abrahams mit seinen Mitmenschen zu schätzen. Den Festakt anlässlich der 100-Jahrfeier des Verlags am 1.12.1900 erlebte er noch gemeinsam mit zahlreichen Wegbegleitern des Hauses. Unter den Beteiligten waren Vertreter des Gewandhausorchesters und des Konservatoriums, hinzu kamen Kollegen, Freunde, Musiker und Lieferanten, während es der Stadtrat bei einem Glückwunschschreiben beließ. Eine Woche darauf verstarb der psychisch bereits stark angeschlagene Abraham, der schon länger mit Schmerzen, asthmatischen Anfällen und „nervösen“ Leiden kämpfte, am frühen Morgen in seiner Leipziger Wohnung. Ein Suizid gilt als wahrscheinlich, mit dem Abrahams Neffe Hinrichsen und dessen Familie mit Rücksicht auf das jüdische Bekenntnis möglicherweise bewusst diskret umgingen. Der Tod des prominenten Verlegers rief in seinem Umfeld sowie in der Fachwelt und Lokalpresse große Bestürzung hervor. Abrahams Leichnam wurde zur Verbrennung in das Krematorium
Gotha überführt und auch die Urne wurde zunächst in Gotha belassen. Als sein Neffe im Juli 1909 eine Familiengrabstätte auf dem Südfriedhof in Leipzig erworben hatte, ließ er die Überreste Abrahams wenige Tage später dort beisetzen. Nach der Einebnung der Grabstelle zu DDR-Zeiten wegen der Anlage eines sozialistischen Ehrenhains markiert seit 1992 wieder ein Gedenkstein den Beerdigungsort. – Abraham gilt aus heutiger Perspektive v.a. als umsichtiger Geschäftsmann sowie bedeutender Förderer von Kunst und Kultur auch weit über Leipzig hinaus. In seiner Person vereinten sich ein unbändiger Leistungswille, ein gelebtes Bildungsideal in Recht, Wirtschaft, Kunst und Humanismus sowie sorgfältiges Handeln. Beispielhaft illustriert die Biografie Abrahams die gesellschaftliche Integration von Menschen jüdischer Herkunft in städtisch-bürgerliche Eliten, während Kontakte zum religiösen Leben im engeren Sinne dabei kaum nachweisbar sind. Hinrichsen, der die Leitung des weltweit renommierten Musikverlags nach Abrahams Tod übernahm und bis zur Enteignung des Verlags im Zuge der „Arisierung“ 1938 leitete, sollte das Lebenswerk seines kinderlos verstorbenen Onkels lange Zeit erfolgreich fortführen. Er wurde 1942 durch das NS-Regime im
Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet, wohingegen mehrere seiner Nachkommen die Shoah überlebten.
Quellen Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, II. Sektion L 2200, 0045 Abteilung für Standesamtssachen/Standesamt, Standesamt Leipzig I, Sterbebücher 1900, Nr. 3634; 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten, Nr. 22662.
Literatur Irene Lawford-Hinrichsen/Norbert Molkenbur, C. F. Peters. Ein deutscher Musikverlag im Leipziger Kulturleben. Zum Wirken von Max Abraham und Henri Hinrichsen, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 1994, S. 92-109; Erika Bucholtz, Henri Hinrichsen und der Musikverlag C. F. Peters. Deutsch-jüdisches Bürgertum in Leipzig von 1891 bis 1938, Tübingen 2001; Norbert Molkenbur, C. F. Peters 1800-2000. Ausgewählte Stationen einer Verlagsgeschichte, Leipzig 2001; Katrin Löffler, „Germanisierte“ contra „polnische“ Juden. Jüdisches Leben in Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Enno Bünz/Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013, S. 289-306; dies., Israelitische Religionsgemeinde, in: Susanne Schötz (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg, Leipzig 2018, S. 723-727; Erika Bucholtz, Der Leipziger Musikverlag C. F. Peters in der Ära Henri Hinrichsen (1891-1938), in: Andrea Lorz/Anselm Hartinger/Johanna Sänger (Hg.), Uns eint die Liebe zum Buch. Jüdische Verleger in Leipzig 1815-1938, Leipzig 2021, S. 65-76; Henner Kotte, Jüdisches Sachsen. 99 besondere Geschichten, Halle/Saale 2021. – DBA I, II, III; NDB 1, S. 22f.; DBE II 1, S. 17.
Porträt Dr. jur. Max Abraham, Fotografie (Reproduktion), Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventar-Nr. F/2011/391 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International License].
Lucas Böhme
12.8.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Max Abraham,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17 [Zugriff 23.8.2025].
Max Abraham
Quellen Stadtarchiv Leipzig, 0008 Ratsstube, II. Sektion L 2200, 0045 Abteilung für Standesamtssachen/Standesamt, Standesamt Leipzig I, Sterbebücher 1900, Nr. 3634; 0056 Wahl- und Listenamt, Fallakten/Aufnahme- und Bürgerakten, Nr. 22662.
Literatur Irene Lawford-Hinrichsen/Norbert Molkenbur, C. F. Peters. Ein deutscher Musikverlag im Leipziger Kulturleben. Zum Wirken von Max Abraham und Henri Hinrichsen, in: Judaica Lipsiensia. Zur Geschichte der Juden in Leipzig, hrsg. von der Ephraim Carlebach Stiftung, Leipzig 1994, S. 92-109; Erika Bucholtz, Henri Hinrichsen und der Musikverlag C. F. Peters. Deutsch-jüdisches Bürgertum in Leipzig von 1891 bis 1938, Tübingen 2001; Norbert Molkenbur, C. F. Peters 1800-2000. Ausgewählte Stationen einer Verlagsgeschichte, Leipzig 2001; Katrin Löffler, „Germanisierte“ contra „polnische“ Juden. Jüdisches Leben in Leipzig im 19. Jahrhundert, in: Enno Bünz/Armin Kohnle (Hg.), Das religiöse Leipzig. Stadt und Glauben vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Leipzig 2013, S. 289-306; dies., Israelitische Religionsgemeinde, in: Susanne Schötz (Hg.), Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. 3: Vom Wiener Kongress bis zum Ersten Weltkrieg, Leipzig 2018, S. 723-727; Erika Bucholtz, Der Leipziger Musikverlag C. F. Peters in der Ära Henri Hinrichsen (1891-1938), in: Andrea Lorz/Anselm Hartinger/Johanna Sänger (Hg.), Uns eint die Liebe zum Buch. Jüdische Verleger in Leipzig 1815-1938, Leipzig 2021, S. 65-76; Henner Kotte, Jüdisches Sachsen. 99 besondere Geschichten, Halle/Saale 2021. – DBA I, II, III; NDB 1, S. 22f.; DBE II 1, S. 17.
Porträt Dr. jur. Max Abraham, Fotografie (Reproduktion), Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inventar-Nr. F/2011/391 (Bildquelle) [CC BY-NC-SA 4.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International License].
Lucas Böhme
12.8.2025
Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Max Abraham,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17 [Zugriff 23.8.2025].