Jeremias David Alexander Fiorino

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gehörte Jeremias David Alexander Fiorino zu den bedeutendsten Miniaturmalern Europas. Seine Arbeiten fielen durch die erstaunliche Porträtgenauigkeit und Farbintensität auf. Er legte ebenfalls großen Wert auf die detailreiche Wiedergabe von Kleidung und Schmuck. Zumeist malte er auf Porzellan und Elfenbein in Broschengröße. Für die sächsische Königsfamilie fertigte er auf einem Meißner Porzellanservice einen Zyklus mit den Bildnissen sämtlicher sächsischer Fürsten. Das Service gilt heute als verschollen. – Fiorino entstammte einer Kaufmannsfamilie aus Kassel. Sein Vater David Alexander Jeremias Fiorino war eines von 23 Kindern des Großkaufmanns Alexander Jeremias Göttingen. Die Mutter Hanna kam aus der Familie des Abraham Marburg. Den Namen Fiorino führte die Familie ab 1808. Fiorino hatte fünf Geschwister. Zwei seiner Brüder waren als Feinmechaniker bzw. Optiker tätig. Fiorino selbst war Porzellanmaler. Diese Berufe sind bemerkenswert, weil zu dieser Zeit in Sachsen das Erlernen und Ausüben eines Handwerks für Juden noch undenkbar gewesen ist. Kassel hingegen gehörte ab 1807 zum neu gegründeten Königreich Westfalen, das von Jérôme Bonaparte, dem jüngeren Bruder Napoleons, regiert wurde. Dieser wurde von den Juden als „Befreier von den Ketten“ begrüßt. Per Dekret hatte Jérôme den Juden dieselben Rechte und Freiheiten wie den übrigen Untertanen gewährt. Die Aufhebung der Zünfte eröffnete den Juden zudem die Gewerbefreiheit und damit Fiorino die Möglichkeit, den Beruf des Porzellanmalers zu erlernen. – Fiorinos zeichnerisches Talent hatte sich bereits in der Schulzeit gezeigt. Nach seiner Lehre begann er ein Studium an der Kasseler Kunstakademie. Als 18-Jähriger erhielt er 1815 die große Preismedaille dieser Akademie. Die „Casselsche Allgemeine Zeitung“ lobte 1816 Fiorino für eine perspektivische Sepiazeichnung, die er im Rahmen einer Akademieausstellung präsentiert hatte. 1818 kam Fiorino als vermutlich erster ausgebildeter Maler jüdischer Religion nach Dresden. Hier vervollkommnete er seine künstlerischen Kenntnisse an der Kunstakademie. 1821 ermöglichte ihm ein Stipendium des hessischen Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen-Kassel zu Studienzwecken nach Rom zu gehen. In der dortigen Künstlerkolonie war er bekannt und sehr beliebt. In seinem römischen Stammbuch versammelte er etwa 100 Porträts von deutschen Künstlern. Diese Sammlung wurde von Händlern allerdings später auseinandergenommen und die Bildnisse einzeln verkauft. – Im Lauf seines Schaffens spezialisierte sich Fiorino auf die damals sehr gefragte Miniaturmalerei. 1830 bemühte er sich um eine entsprechende Professur an der Kasseler Kunstakademie. Der hessische Machtwechsel 1831 und der Übergang der Regierungsgeschäfte von Kurfürst Wilhelm II. an Kurprinz Friedrich Wilhelm verhinderten allerdings dieses Vorhaben. Fiorino kehrte daher nach Dresden zurück. Hier hatte er bei seinem ersten Aufenthalt die Tochter von Nathan Levy Elb kennengelernt. 1830 stellte Fiorino den Antrag, sich mit der 18-jährigen Johanna Elb verehelichen zu dürfen. Als Jude musste er die „Begründung einer eigenen Ökonomie“ - also den Aufbau eines eigenen Hausstands, z.B. durch Zuzug oder Heirat - anmelden und genehmigen lassen. Sein Antrag wurde durch die Dresdner Behörden jedoch mehrfach abgelehnt. Auswärtigen Juden wurde das Recht zur Heirat mit einer Bürgerin der Stadt meistens untersagt, um eine Zunahme der jüdischen Händler oder armer Juden auf diesem Weg zu verhindern. Die Akten zu diesem amtlichen Vorgang geben Auskunft über das Wirken von Fiorino in Dresden. Immer wieder wurde Fiorino vorstellig, um darzulegen, dass er weder arm noch als Händler tätig sei. Seine besondere Verbundenheit mit Sachsen betonte er mit der Schilderung einer Begebenheit bei einem seiner Aufenthalte in Kassel. Damals habe er bei einem Volksauflauf die Wohnung des sächsischen Gesandten beschützt, weil er sich als sächsischer Untertan fühlte. Außerdem sei er zum Zugführer bei der 29. Kompanie der Dresdner Kommunalgarde gewählt worden, sei also sogar von Nichtjuden anerkannt. Fiorino erklärte, dass er bereits seit 1825 in Dresden einen jährlichen Personensteuerbeitrag von drei Talern als Künstler entrichtet habe und auch weiterhin beabsichtige, sich lediglich seiner Kunst widmen und keine Handelsgeschäfte treiben zu wollen. Er übergab diverse Nachweise seiner Tätigkeit. Ferdinand Hartmann, der Direktor der Dresdner Kunstakademie, bescheinigte Fiorino Talent und Erfolg, seine Beteiligung an jährlichen Ausstellungen und Aufträge des sächsischen Hofs für Porträts auf Porzellan. Heinrich Carl Wilhelm Vitzthum von Eckstädt, der Marquis Piatti und der Geheime Rat Karl Leopold Christoph von Reitzenstein bestätigten dies. Fiorino hatte mehrmals König Friedrich August I., den Prinzen Maximilian und dessen Ehefrau Maria Luise von Bourbon-Parma und später auch König Anton gemalt, sodass die königliche Familie durchaus gewogen war, ihn auch ferner zu beschäftigen. Obwohl Fiorino sogar bei Anton vorstellig wurde und viele Fürsprecher für ihn eintraten, wurde ihm die Genehmigung für die angestrebte Heirat verwehrt. Am 12.10.1831 schlossen Fiorino und seine Frau schließlich im böhmischen Teplitz (tschech. Teplice) den Bund der Ehe, da dies dort keine Vorschrift verhinderte. Nur wenig später erkrankte Hanna Fiorino an den Masern und starb am 19.1.1832. Im Juli 1832 bewilligten die Dresdner Behörden den Antrag Fiorinos auf Heirat, den er zwei Jahre zuvor gestellt hatte. Obwohl durch den Tod der Frau unnötig geworden, musste Fiorino die Gebühr für diese Konzession in Höhe von 16 Talern und acht Groschen im März 1833 entrichten. Dennoch blieb Fiorino weiterhin in Dresden und arbeitete als Maler. 1839 gab es im Dresdner Kunstverein insgesamt elf Juden, darunter zwei Angehörige der Familie Bondi, vier der Familie Kaskel sowie den Maler Carl Elb und den Maler Fiorino. Zu Beginn der 1840er-Jahre war Fiorino wieder in seiner Heimatstadt Kassel. 1842 kehrte er abermals nach Dresden zurück, wo er schließlich auch im Alter von 50 Jahren verstarb. – Fiorino fertigte in seiner Dresdner Zeit zahlreiche Bildnisse der sächsischen Königsfamilie und von zeitgenössischen Persönlichkeiten. Zumeist wird es sich um Auftragswerke gehandelt haben. Privat verkehrte Fiorino im Haus der Bankiers Michael und Carl Kaskel, die er ebenfalls mehrfach porträtierte. Hier wich er vom Miniaturformat ab. Das verschollene Aquarell „Der Grönländer“ beispielsweise zeigte den Dresdner Bankier Michael Kaskel zu Pferd mit hohem Hut vor dem Palais im Großen Garten. Es wurde 1838 in zahlreichen Dresdner Zeitungen besprochen. Bereits 1822 fertigte Fiorino eine Bleistiftzeichnung „Kaskel, an einem Gartentisch schreibend“, die sich heute gemeinsam mit anderen Zeichnungen von Fiorino im Dresdner Kupferstichkabinett befindet. In der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister werden von Fiorino verschiedene Miniaturen auf Elfenbein gezeigt. – Zahlreiche Werke Fiorinos hatte sein Neffe Alexander Fiorino für seine private Kunstsammlung erworben. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde Alexander Fiorino enteignet. Seine Tochter Johanna Wohlgenannt bemühte sich von der Schweiz aus, einige der Kunstwerke aus der Sammlung ihres Vaters zu retten und beauftragte damit den Kasseler Rechtsanwalt Alfred Dellevie. Diesem gelang es, einige der Stücke für die Familie mit dem Hinweis zu sichern, dass es sich v.a. um Arbeiten oder Darstellungen von „nichtarischen“ Künstlern und Personen handele. Ein Großteil der Werke Fiorinos, die zwischen 1939 und 1941 in Kassel und Leipzig versteigert wurden, gelten heute als verschollen. Die geretteten Arbeiten sowie das Porträt seiner Frau von der Hand Christian Gottlob Naumanns übergaben die Nachfahren 50 Jahre später großzügig dem Kasseler Stadtmuseum. 1994 wurden sie gemeinsam mit anderen Kunstgegenständen der Sammlung Fiorinos in einer bemerkenswerten Sonderausstellung der Staatlichen Museen Kassels der Öffentlichkeit präsentiert. Eine entsprechende Würdigung in Dresden ist bisher nicht erfolgt. Werke von ihm tauchen immer wieder auf diversen Auktionen auf. Neben den genannten Sammlungen in Kassel und Dresden sind sie u.a. auch im Schwedischen Nationalmuseum in Stockholm zu finden.

Quellen Auskunft des Direktors des Stadtmuseums Kassel Karl-Hermann Wegner an HATiKVA. Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V. vom 13.11.2001; Stadtarchiv Dresden, 2.1.3.-C.XLII.153 Acta des israelitischen Glaubensgenoßen Jeremias David Alexander Fiorino aus Cassel Gesuch um Concession zu Anstellung eigener Oeconomie und Verehelichung mit Johanna Levy Elb, Tochter des hiesigen Schutzjuden Nathan Levy Elb Getr., Bl. 4-6, 13-20, Judenkapsel, unpaginiert.

Werke Oberhofagent S. Rosengarten, 1815, Bleistift, Pinsel in Braun, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett; Der Viehmaler Lingelbach aus Kassel, 1819, Bleistift, ebd.; Der Landschaftsmaler Traugott Faber, 1821, Bleistift, ebd.; Bildnis Harro Paul Harring, Publizist, 1821, Bleistift, ebd.; Frau Julia Goldschmidt, geb. Feitel, Bleistift, ebd.; Frau Goldschmidt, geb. Herr, auf dem Totenbett, Bleistiftzeichnung, ebd.; König Anton von Sachsen in roter Uniform, um 1827, Aquarell auf Elfenbein, ebd., Gemäldegalerie Alte Meister; König Anton von Sachsen in weißer Uniform, um 1827, Aquarell auf Elfenbein, ebd.; Der Sänger Filippo Sassaroli, vor 1830, Aquarell auf Elfenbein, ebd.; Bildnis Albert von Sachsen, 1845, Lithografie auf Chine collé, ebd., Kupferstich-Kabinett.

Literatur H. Blumenthal, Der Miniaturmaler Jeremias David Alexander Fiorino, in: Hessenland 26/1912, Nr. 3, S. 39f.; Ernst Lemberger, Jüdische Portraitminiaturisten, in: Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum 14/1914, H. 3, Sp. 195-208; Alexander Fiorino, Der Miniaturmaler Jeremias David Alexander Fiorino und seine Familie, Kassel 1926; Kurt Luhmer, Alexander Fiorino als Kunstfreund und Sammler, in: Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck 27.5.1932, S. 1; Ulrich Schmidt (Hg.), Die Kasseler Sammlung Alexander Fiorino. Katalog zur Ausstellung in der Neuen Galerie, Kassel 1994; Otmar Plaßmann, Alexander Fiorino und seine Sammlung, in: ebd., S. 25-38; Dietrich Krause-Vilmar, Streiflichter zur neueren Geschichte der Jüdischen Gemeinde Kassel, in: Synagogen in Kassel. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Kassel, hrsg. vom Stadtmuseum Kassel, Marburg 2000, S. 13-24; Heike Liebsch, Der Miniaturenmaler Jeremias David Alexander Fiorino, in: Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden. „… daß wir uns unterwinden, um eine Grabe-Stätte fußfälligst anzuflehen…“, hrsg. von HATiKVA. Bildungs- und Begegnungsstätte und Kultur Sachsen e.V., Teetz 2002, S. 188-195. – DBA I, II, III; DBE II 3, S. 328.

Porträt Jeremias David Alexander Fiorino, Siegwald Dahl, 1846, Zeichnung, in: Alexander Fiorino, Der Miniaturmaler Jeremias David Alexander Fiorino und seine Familie, Kassel 1926, S. 3.

Heike Liebsch
13.5.2025


Empfohlene Zitierweise:
Heike Liebsch, Artikel: Jeremias David Alexander Fiorino,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1424 [Zugriff 13.6.2025].

Jeremias David Alexander Fiorino



Quellen Auskunft des Direktors des Stadtmuseums Kassel Karl-Hermann Wegner an HATiKVA. Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen e.V. vom 13.11.2001; Stadtarchiv Dresden, 2.1.3.-C.XLII.153 Acta des israelitischen Glaubensgenoßen Jeremias David Alexander Fiorino aus Cassel Gesuch um Concession zu Anstellung eigener Oeconomie und Verehelichung mit Johanna Levy Elb, Tochter des hiesigen Schutzjuden Nathan Levy Elb Getr., Bl. 4-6, 13-20, Judenkapsel, unpaginiert.

Werke Oberhofagent S. Rosengarten, 1815, Bleistift, Pinsel in Braun, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett; Der Viehmaler Lingelbach aus Kassel, 1819, Bleistift, ebd.; Der Landschaftsmaler Traugott Faber, 1821, Bleistift, ebd.; Bildnis Harro Paul Harring, Publizist, 1821, Bleistift, ebd.; Frau Julia Goldschmidt, geb. Feitel, Bleistift, ebd.; Frau Goldschmidt, geb. Herr, auf dem Totenbett, Bleistiftzeichnung, ebd.; König Anton von Sachsen in roter Uniform, um 1827, Aquarell auf Elfenbein, ebd., Gemäldegalerie Alte Meister; König Anton von Sachsen in weißer Uniform, um 1827, Aquarell auf Elfenbein, ebd.; Der Sänger Filippo Sassaroli, vor 1830, Aquarell auf Elfenbein, ebd.; Bildnis Albert von Sachsen, 1845, Lithografie auf Chine collé, ebd., Kupferstich-Kabinett.

Literatur H. Blumenthal, Der Miniaturmaler Jeremias David Alexander Fiorino, in: Hessenland 26/1912, Nr. 3, S. 39f.; Ernst Lemberger, Jüdische Portraitminiaturisten, in: Ost und West. Illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum 14/1914, H. 3, Sp. 195-208; Alexander Fiorino, Der Miniaturmaler Jeremias David Alexander Fiorino und seine Familie, Kassel 1926; Kurt Luhmer, Alexander Fiorino als Kunstfreund und Sammler, in: Jüdische Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck 27.5.1932, S. 1; Ulrich Schmidt (Hg.), Die Kasseler Sammlung Alexander Fiorino. Katalog zur Ausstellung in der Neuen Galerie, Kassel 1994; Otmar Plaßmann, Alexander Fiorino und seine Sammlung, in: ebd., S. 25-38; Dietrich Krause-Vilmar, Streiflichter zur neueren Geschichte der Jüdischen Gemeinde Kassel, in: Synagogen in Kassel. Katalog zur Ausstellung im Stadtmuseum Kassel, hrsg. vom Stadtmuseum Kassel, Marburg 2000, S. 13-24; Heike Liebsch, Der Miniaturenmaler Jeremias David Alexander Fiorino, in: Der Alte Jüdische Friedhof in Dresden. „… daß wir uns unterwinden, um eine Grabe-Stätte fußfälligst anzuflehen…“, hrsg. von HATiKVA. Bildungs- und Begegnungsstätte und Kultur Sachsen e.V., Teetz 2002, S. 188-195. – DBA I, II, III; DBE II 3, S. 328.

Porträt Jeremias David Alexander Fiorino, Siegwald Dahl, 1846, Zeichnung, in: Alexander Fiorino, Der Miniaturmaler Jeremias David Alexander Fiorino und seine Familie, Kassel 1926, S. 3.

Heike Liebsch
13.5.2025


Empfohlene Zitierweise:
Heike Liebsch, Artikel: Jeremias David Alexander Fiorino,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1424 [Zugriff 13.6.2025].