Moritz Drobisch

Der Universalgelehrte D. gehörte zu den angesehensten und einflussreichsten Wissenschaftlern der Universität Leipzig im 19. Jahrhundert. Er hat die universitären Reformen der 1830er-Jahre begleitet und außeruniversitäre sächsische Forschungseinrichtungen, wie die Naturforschende oder die Jablonowskische Gesellschaft, gefördert. Dazu nutzte er seine exzellenten Beziehungen zum Prinzen und späteren König Johann von Sachsen und zu Kultusminister Johann Paul Freiherr von Falkenstein. Die Begründung der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften (ab 1919 Sächsische Akademie der Wissenschaften) war hauptsächlich sein Werk. – D. war noch keine zwei Jahre alt, als er am 30.4.1804 unter dem Rektorat des Historikers Friedrich August Wilhelm Wenck auf Wunsch seiner Eltern als unmündiger „Deposit“ in die Reihen der akademischen Bürger an der Universität Leipzig aufgenommen wurde. Nach dem Besuch der Nikolai-Schule in Leipzig und der Fürstenschule St. Augustin in Grimma erfolgte dann am 28.3.1820 die „richtige“ Einschreibung, sodass D. zweimal in der Leipziger Matrikel geführt wird. Er studierte Mathematik und Philosophie und habilitierte sich 1824 mit der Arbeit „Theoria analyseos geometrica prolusio“. Bereits 1826 wurde D. zum außerordentlichen Professor und am 8.12. des gleichen Jahres zum ordentlichen Professor für Mathematik (bis 1864) in Nachfolge seines verstorbenen Lehrers Karl Brandan Mollweide berufen. 1842 erhielt D. auf Initiative der sächsischen Staatsverwaltung als Nachfolger seines Lehrers Wilhelm Traugott Krug zusätzlich den Lehrstuhl für Philosophie. – Auf seine eigene, vorbildhafte Lehrtätigkeit legte D. stets großen Wert. Seine Vorlesungen zeichneten sich durch bemerkenswerte Klarheit und präzise Darlegung der wissenschaftlichen Probleme aus. Sie waren lebendig und führten den Anfänger in die Fragen der Philosophie ein. Die Lehrveranstaltungen zur Logik zogen Studenten aller Fachrichtungen an. Über einen Zeitraum von fast 60 Jahren hielt D. wöchentlich bis zu 16 Stunden Vorlesungen und Übungen. – Mehrfach war D. Dekan der Philosophischen Fakultät und 1840/41 stand er als Rektor an der Spitze der Universität. In dieser Zeit stellte er heimlich, aber mit Wissen der Dresdner Regierung den Juristen Wilhelm Eduard Albrecht an, einen der „Göttinger Sieben“, die 1837 wegen des Protests gegen den Verfassungsbruch ihres Hannover’schen Landesherrn ihre Anstellungen verloren hatten und das Land verlassen mussten. 1850 gehörte D. zu den 21 „renitenten“ Professoren im Senat, die sich gegen die Einberufung der alten Stände zum Sächsischen Landtag wandten und aus Protest keinen Universitätsvertreter für die Erste Kammer nach Dresden wählten. Selbst durch den persönlichen Besuch des Ministers Friedrich Ferdinand Freiherr von Beust ließ sich der Dekan D. nicht umstimmen. – Als D. 1834 zum Mitglied der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig gewählt wurde, versuchte er als Sekretär dieser 1774 begründeten Einrichtung schon bald das Preisinstitut in eine wissenschaftliche Gesellschaft umzuwandeln. Als er scheiterte, weil die fürstlichen Statuten entgegenstanden, bereitete er auf der Basis der Jablonoviana ab 1844 die Gründung der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig vor. Der erste Statutenentwurf geht auf ihn zurück. Zur Eröffnung am 1.7.1846, dem 200. Geburtstag von Gottfried Wilhelm Leibniz, in der Aula der Universität hielt er die Festrede. Als langjähriger Präsident (Präses) der Jablonowskischen Gesellschaft sorgte er dafür, dass die Abhandlungen der Neugründung durch fortwährende finanzielle Zuschüsse der Jablonoviana gedruckt werden konnten. – D. erwarb sich nicht nur als Wissenschaftsorganisator bleibende Verdienste, sondern auch als Förderer der empirischen Forschung in den Naturwissenschaften, als Mathematiker auf den Gebieten der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Versicherungsmathematik. Außerdem befruchtete er mit seinen Arbeiten die moderne Psychologie, Physiologie und Psychophysik. Auch trat er mit zwei grundlegenden Beiträgen zur Universitätsgeschichte hervor und förderte die Herausbildung der Pädagogik als eigenständiges universitäres Fach. Hier stand D. in der Tradition des Philosophen Johann Friedrich Herbart, dessen Werke er in Sachsen bekannt machte. D.s Hauptleistung liegt auf dem Gebiet der Logik. Seine „Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen“ erschien in erster Auflage 1836; 1851 dann in stark überarbeiteter Fassung. Darin wird die Logik als eine der Mathematik vergleichbare Wissenschaft aus den philosophischen Fächern ausgegliedert und verselbstständigt. Das war neu und zugleich modern, zumal Logik für D. nicht mehr nur Propädeutik war, sondern immanenter Bestandteil des wissenschaftlichen Denkens. – Anlässlich seines 50-jährigen Professorenjubiläums 1876 riefen Schüler und Freunde eine nach ihm benannte Stiftung für Studierende der Universität Leipzig ins Leben, die Stipendien für „gründliche philosophische Studien“ nach dem Kriterium der Bedürftigkeit der Bewerber gewährte. Seit 1971 vergibt die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig für besondere Verdienste um die gelehrte Gesellschaft die Moritz-Wilhelm-Drobisch-Medaille.

Quellen Deutsches Museum München, Archiv, Gedenkblätter Moritz Wilhelm D., HS 1977-33/C 1-35; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung, Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig I 1845-1859; Universitätsbibliothek Leipzig, Sondersammlungen, Fürstlich Jablonowskische Gesellschaft der Wissenschaften; Universitätsarchiv Leipzig, Personalakte Moritz Wilhelm D., Fotoalbum zum 50-jährigen Professorenjubiläum (P), Ehrenbürgerurkunde der Stadt Leipzig, Universitäts-Rentamt, Sammlungsgut.

Werke Theoria analyseos geometrica prolusio, Habil. Leipzig 1824; Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen, Leipzig 1836, 51887; Neue Beiträge zur Statistik der Universität Leipzig innerhalb der ersten 140 Jahre ihres Bestehens, in: Berichte über die Verhandlungen der Königl.-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 1/1849, S. 69-114; Über die Frequenz der Universität Leipzig in ihrer ältesten und jüngsten Zeit, in: ebd. 21/1869, S. 119-146; Über die nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erwartende Dauer der Ehen, in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Mathematisch-Physische Klasse 32/1880, S. 1-21.

Literatur Zur fünfzigjährigen Jubelfeier der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig am 1. Juli 1896, Leipzig 1896, S. 7, 11f. (WV); L. Credaro, Nachruf, Rom 1897; W. Neubert-Drobisch, Moritz Wilhelm D., Leipzig 1902; Jahrbuch Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1960-1962, Berlin 1964, S. 57 (WV); H. Zwahr, Junge Gelehrte und ihre Sorgen, in: K. Czok (Hg.), Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1987, S. 207-225; D. Döring, Die Leipziger Universität in der Zeit des Vormärz im Spiegel der Akten des Rektorats von Moritz Wilhelm D., in: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte 2/1988, S. 27-36; M. Heinze, Nachruf auf Moritz Wilhelm D., in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Philologisch-Historische Klasse 48/1996, S. 695-719; K. Krause/G. Wiemers, Moritz Wilhelm D. „der verkörperte kategorische Imperativ“, in: Leipziger Universitätsjournal 1996, H. 6, S. 27-29; M. Hübner (Hg.), Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Die Publikationen 1846 bis 2000, Stuttgart/Leipzig 2000, S. 30f., 126f. (WV); U.-F. Haustein/G. Wiemers/L. Kreiser, Moritz Wilhelm D. anlässlich seines 200. Geburtstages, Stuttgart/Leipzig 2003; J. Blecher/G. Wiemers, Die Universität Leipzig 1409-1943, Bd. 1, Erfurt 2004, S. 23; H. Zwahr/J. Blecher, Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009, Bd. 2, Leipzig 2010 (im Druck). – ADB 48, S. 80-82; DBA I, II, III; DBE 2, S. 622; NDB 4, S. 127; J. C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. 1, Leipzig 1863, Sp. 603 (WV), Bd. 3, Leipzig 1898, Sp. 381 (WV), Bd. 4, Leipzig 1904, Sp. 348 (WV); M. Brasch, Leipziger Philosophen, Leipzig 1894, S. 14-50; Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog 1/1896, S. 133-135.

Porträt Moritz Wilhelm D., J. Schilling, ca. 1878, Büste, Kustodie der Universität Leipzig; Moritz Wilhelm D., Fotografien, Universität Leipzig, Universitätsarchiv; Zeichnung, Leipziger Gerichtszeitung und Reichsgerichts-Correspondenz X/1892, Nr. 67, 20.8.1892, S. 1, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Gerald Wiemers
21.10.2010


Empfohlene Zitierweise:
Gerald Wiemers, Artikel: Moritz Drobisch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1238 [Zugriff 29.3.2024].

Moritz Drobisch



Quellen Deutsches Museum München, Archiv, Gedenkblätter Moritz Wilhelm D., HS 1977-33/C 1-35; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Ministerium für Volksbildung, Königliche Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig I 1845-1859; Universitätsbibliothek Leipzig, Sondersammlungen, Fürstlich Jablonowskische Gesellschaft der Wissenschaften; Universitätsarchiv Leipzig, Personalakte Moritz Wilhelm D., Fotoalbum zum 50-jährigen Professorenjubiläum (P), Ehrenbürgerurkunde der Stadt Leipzig, Universitäts-Rentamt, Sammlungsgut.

Werke Theoria analyseos geometrica prolusio, Habil. Leipzig 1824; Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen, Leipzig 1836, 51887; Neue Beiträge zur Statistik der Universität Leipzig innerhalb der ersten 140 Jahre ihres Bestehens, in: Berichte über die Verhandlungen der Königl.-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 1/1849, S. 69-114; Über die Frequenz der Universität Leipzig in ihrer ältesten und jüngsten Zeit, in: ebd. 21/1869, S. 119-146; Über die nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erwartende Dauer der Ehen, in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig, Mathematisch-Physische Klasse 32/1880, S. 1-21.

Literatur Zur fünfzigjährigen Jubelfeier der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig am 1. Juli 1896, Leipzig 1896, S. 7, 11f. (WV); L. Credaro, Nachruf, Rom 1897; W. Neubert-Drobisch, Moritz Wilhelm D., Leipzig 1902; Jahrbuch Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1960-1962, Berlin 1964, S. 57 (WV); H. Zwahr, Junge Gelehrte und ihre Sorgen, in: K. Czok (Hg.), Wissenschafts- und Universitätsgeschichte in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1987, S. 207-225; D. Döring, Die Leipziger Universität in der Zeit des Vormärz im Spiegel der Akten des Rektorats von Moritz Wilhelm D., in: Leipziger Beiträge zur Universitätsgeschichte 2/1988, S. 27-36; M. Heinze, Nachruf auf Moritz Wilhelm D., in: Berichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, Philologisch-Historische Klasse 48/1996, S. 695-719; K. Krause/G. Wiemers, Moritz Wilhelm D. „der verkörperte kategorische Imperativ“, in: Leipziger Universitätsjournal 1996, H. 6, S. 27-29; M. Hübner (Hg.), Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Die Publikationen 1846 bis 2000, Stuttgart/Leipzig 2000, S. 30f., 126f. (WV); U.-F. Haustein/G. Wiemers/L. Kreiser, Moritz Wilhelm D. anlässlich seines 200. Geburtstages, Stuttgart/Leipzig 2003; J. Blecher/G. Wiemers, Die Universität Leipzig 1409-1943, Bd. 1, Erfurt 2004, S. 23; H. Zwahr/J. Blecher, Geschichte der Universität Leipzig 1409-2009, Bd. 2, Leipzig 2010 (im Druck). – ADB 48, S. 80-82; DBA I, II, III; DBE 2, S. 622; NDB 4, S. 127; J. C. Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch, Bd. 1, Leipzig 1863, Sp. 603 (WV), Bd. 3, Leipzig 1898, Sp. 381 (WV), Bd. 4, Leipzig 1904, Sp. 348 (WV); M. Brasch, Leipziger Philosophen, Leipzig 1894, S. 14-50; Biographisches Jahrbuch und deutscher Nekrolog 1/1896, S. 133-135.

Porträt Moritz Wilhelm D., J. Schilling, ca. 1878, Büste, Kustodie der Universität Leipzig; Moritz Wilhelm D., Fotografien, Universität Leipzig, Universitätsarchiv; Zeichnung, Leipziger Gerichtszeitung und Reichsgerichts-Correspondenz X/1892, Nr. 67, 20.8.1892, S. 1, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Gerald Wiemers
21.10.2010


Empfohlene Zitierweise:
Gerald Wiemers, Artikel: Moritz Drobisch,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1238 [Zugriff 29.3.2024].