Joachim Ringelnatz
„Dreht sich in der weiten Welt ein Rad um eine Achse, so dreht’s bestimmt ein Sachse“ – dieser Reim stammt von R., der unter diesem Pseudonym (Seemannsausdruck für Seepferdchen) seit 1919 bekannt ist. R., dessen Werk auch als „antibürgerlich“ bezeichnet wird, war nicht nur Schriftsteller und Lyriker von mal eher tief-, mal mehr unsinnigen Texten, sondern machte sich auch als Kabarettist im deutschsprachigen Raum sowie als Maler einen Namen. Berühmt wurde er durch seine stark autobiografisch geprägten Geschichten rund um den Seemann „Kuttel Daddeldu“. – R. war der Sohn des sächsischen Mundartdichters und Musterzeichners Georg Bötticher. Er verbrachte die ersten Jahre seines Lebens in Wurzen, wo seiner Person heute im kulturgeschichtlichen Museum gedacht wird. 1888 zog die Familie nach Leipzig. Hier besuchte R. nach der Bürgerschule das Gymnasium, das er allerdings aus disziplinarischen Gründen vorzeitig verlassen musste. Anschließend ging er auf eine Privatschule, die er nach der Mittleren Reife bzw. nach der Berechtigung zum einjährigen freiwilligen Militärdienst beendete. R. veröffentlichte bereits in jungen Jahren unter seinem eigentlichen Namen erste Gedichte, so unter dem Titel „An den Sonnenstrahl“ in der Zeitschrift „Jugend-Gartenlaube“ (Bd. 11, 1897) oder im Jahrbuch „Kinderlust“ (Bd. 3, 1897) „Die Landpartie der Tiere“. Die Bilder zu letzterem Gedicht stammen von Fedor Flinzer, ein Leipziger Illustrator und Freund der Familie. Regelmäßig traf man sich im Freundeskreis zum sog. „Kränzchen“ oder im größeren Rahmen der Leipziger Künstler- und Gelehrtenvereinigung „Stalaktiten“, der auch der Kaufmann
August Wolffram und der Verleger Anton Kippenberg angehörten. So kam schon der junge R. mit vielen bekannten Persönlichkeiten in Kontakt, die ihre Spuren hinterließen, wie seine Autobiografie „Mein Leben bis zum Kriege“ belegt. Darin schildert er Begegnungen nicht nur mit Flinzer, sondern auch mit dem Mediziner
Wilhelm Roux sowie den Schriftstellern Edwin Bormann und
Julius Lohmeyer. Ab 1901 führte R. ein unstetes und abwechslungsreiches Leben, zunächst als Schiffsjunge und Matrose. Seine Erlebnisse fanden 1911 Eingang in das Buch „Was ein Schiffsjungen-Tagebuch erzählt“. Es folgte eine kaufmännische Ausbildung in Hamburg, allerdings mit längerer Unterbrechung. R. ging zahlreichen weiteren Beschäftigungen nach und arbeitete z.B. noch als Bibliothekar und Fremdenführer. 1909 wurde er „Hausdichter“ in der Münchner Künstlerkneipe „Simplicissimus“, wo er im Moritaten- und Bänkelsangton rezitierte und u.a. die Schriftsteller
Frank Wedekind und
Erich Mühsam kennenlernte. Im Ersten Weltkrieg diente R. bei der Kriegsmarine als Leutnant und Kommandant eines Minensuchboots. Dieser Zeit widmete er später die autobiografische Schrift „Als Mariner im Krieg“. 1920 heiratete er und zog mit seiner von ihm „Muschelkalk“ genannten Frau nach München. Im gleichen Jahr entdeckte ihn
Walter Mehring für die Berliner Kleinkunstbühne „Schall und Rauch“. Die politischen Verhältnisse trieben R. 1930 schließlich von München nach Berlin, wo er nur noch kurze Zeit tätig sein durfte. Nach der „Machtergreifung“ Hitlers erhielt er Auftrittsverbot; kurze Zeit später fielen seine Werke der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer. B starb 1934 verarmt in Berlin. – Als Schriftsteller schuf R. Werke für Erwachsene wie auch für Kinder und Jugendliche, die u.a. bei
Kurt Wolff und Ernst Rowohlt erschienen. Absurdes, Derbes, Groteskes, Satirisches und Frivoles ist gleichermaßen enthalten. Oftmals wurde er mit dem Schriftsteller
Christian Morgenstern in Verbindung gebracht. Sein Schaffen fand nicht nur die Anerkennung des Kritikers
Alfred Polgar, sondern auch der Schauspielerin
Asta Nielsen sowie der Schriftsteller
Hermann Hesse, Erich Kästner und
Franz Blei. Seit Anfang der 1920er-Jahre betätigte sich R. zudem als Kunstmaler. Er war Mitglied der Künstlervereinigungen „Das Junge Rheinland“ (1928) und der Berliner „Novembergruppe“ (1929). Von der Kunstgeschichte den sog. Sonntagsmalern zugerechnet, ist sein künstlerisches Wirken erstmals umfangreich in dem Begleitbuch „Ringelnatz!“ zu den Ausstellungen in Göttingen, Cuxhaven und Wurzen dokumentiert.
Quellen Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung; Staats- und Universitätsbibliothek „Carl von Ossietzky“, Hamburg; Badische Landesbibliothek, Karlsruhe; Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv, Marbach/Neckar, Handschriftenabteilung; Bayerische Staatsbibliothek, München; Stadtbibliothek/Monacensia, München; Universitätsbibliothek, München; Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart; Ringelnatz-Haus, Wurzen; Kulturgeschichtliches Museum, Wurzen.
Werke Was ein Schiffsjungen-Tagebuch erzählt, München 1911; Die Schnupftabakdose, München 1912; Ein jeder lebt’s, München 1913; Turngedichte, Berlin 1920; Kuttel Daddeldu, Berlin 1920; Die Woge, München 1922; Geheimes Kinder-Spiel-Buch, Potsdam 1924; Reisebriefe eines Artisten, Berlin 1927; Allerdings, Berlin 1928; Als Mariner im Krieg, Berlin 1928; Flugzeuggedanken, Berlin 1929; Mein Leben bis zum Kriege, Berlin 1931; Kinder-Verwirr-Buch, Berlin 1931.
Literatur H. Günther, Künstlerische Doppelbegabungen, München 21960; W. Pape, Joachim R., Berlin u.a. 1974 (WV); ders., Joachim R., Briefe, Berlin 1988; H. Günther, Joachim R., Reinbek 61992 (P, WV); ders. (Hg.), Das Gesamtwerk in sieben Bänden, Zürich 1994; H. Bemmann, Joachim R., Berlin u.a. 1996; H. L. Arnold (Hg.), Joachim R., München 2000; F. Möbus u.a. (Hg.), R.! Ein Dichter malt seine Welt, Göttingen 2000 (P, WV); F. Möbus u.a., Joachim R., reisender Artist, Hannover 2001. – DBA II, III; DBE 8, S. 316; NDB 6, S. 338; NDB 21, S. 631-633; K. Doderer (Hg.), Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 3, Weinheim/Basel 1984, S. 182f.; W. Killy, Literaturlexikon, Bd. 9, Gütersloh u.a. 1991, S. 475f. (WV); W. Fellmann, Sachsen Lexikon, München u.a. 2000, S. 337; Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 8, München 2000, S. 403; Kindler neues Literaturlexikon 2000 [CD-ROM]; K. Franz u.a. (Hg.), Kinder- und Jugendliteratur, 12. Ergänzungslieferung, Meitingen 2001 (P, WV); H. Schmidt, Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 26, Duisburg 2001, S. 206-210; M. Altner, Sächsische Lebensbilder, Radebeul 2001, S. 128f. (P).
Porträt F. Eschen, um 1930, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Fedor Bochow
7.6.2004
Empfohlene Zitierweise:
Fedor Bochow, Artikel: Joachim Ringelnatz,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10341 [Zugriff 20.12.2024].
Joachim Ringelnatz
Quellen Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung; Staats- und Universitätsbibliothek „Carl von Ossietzky“, Hamburg; Badische Landesbibliothek, Karlsruhe; Schiller-Nationalmuseum und Deutsches Literaturarchiv, Marbach/Neckar, Handschriftenabteilung; Bayerische Staatsbibliothek, München; Stadtbibliothek/Monacensia, München; Universitätsbibliothek, München; Württembergische Landesbibliothek, Stuttgart; Ringelnatz-Haus, Wurzen; Kulturgeschichtliches Museum, Wurzen.
Werke Was ein Schiffsjungen-Tagebuch erzählt, München 1911; Die Schnupftabakdose, München 1912; Ein jeder lebt’s, München 1913; Turngedichte, Berlin 1920; Kuttel Daddeldu, Berlin 1920; Die Woge, München 1922; Geheimes Kinder-Spiel-Buch, Potsdam 1924; Reisebriefe eines Artisten, Berlin 1927; Allerdings, Berlin 1928; Als Mariner im Krieg, Berlin 1928; Flugzeuggedanken, Berlin 1929; Mein Leben bis zum Kriege, Berlin 1931; Kinder-Verwirr-Buch, Berlin 1931.
Literatur H. Günther, Künstlerische Doppelbegabungen, München 21960; W. Pape, Joachim R., Berlin u.a. 1974 (WV); ders., Joachim R., Briefe, Berlin 1988; H. Günther, Joachim R., Reinbek 61992 (P, WV); ders. (Hg.), Das Gesamtwerk in sieben Bänden, Zürich 1994; H. Bemmann, Joachim R., Berlin u.a. 1996; H. L. Arnold (Hg.), Joachim R., München 2000; F. Möbus u.a. (Hg.), R.! Ein Dichter malt seine Welt, Göttingen 2000 (P, WV); F. Möbus u.a., Joachim R., reisender Artist, Hannover 2001. – DBA II, III; DBE 8, S. 316; NDB 6, S. 338; NDB 21, S. 631-633; K. Doderer (Hg.), Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur, Bd. 3, Weinheim/Basel 1984, S. 182f.; W. Killy, Literaturlexikon, Bd. 9, Gütersloh u.a. 1991, S. 475f. (WV); W. Fellmann, Sachsen Lexikon, München u.a. 2000, S. 337; Saur Allgemeines Künstlerlexikon, Bd. 8, München 2000, S. 403; Kindler neues Literaturlexikon 2000 [CD-ROM]; K. Franz u.a. (Hg.), Kinder- und Jugendliteratur, 12. Ergänzungslieferung, Meitingen 2001 (P, WV); H. Schmidt, Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte, Bd. 26, Duisburg 2001, S. 206-210; M. Altner, Sächsische Lebensbilder, Radebeul 2001, S. 128f. (P).
Porträt F. Eschen, um 1930, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).
Fedor Bochow
7.6.2004
Empfohlene Zitierweise:
Fedor Bochow, Artikel: Joachim Ringelnatz,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10341 [Zugriff 20.12.2024].