Edgar Lehmann
L. gehörte zu der Wissenschaftlergeneration, die ihre akademische Ausbildung noch vor 1933 erhielt, nach Nationalsozialismus und Krieg am Wiederaufbau im Osten Deutschlands beteiligt war und die Wissenschaftsentwicklung in der DDR entscheidend mitgeprägt hat. –
1925 bis 1930 studierte L. in Berlin Geografie, Geologie, Geschichte und Philosophie und legte somit das Fundament für seine spätere, breit gefächerte wissenschaftliche Tätigkeit. Seine Lehrer
Albrecht Penck und
Norbert Krebs prägten ihn nachhaltig, worauf L. im Verlauf seines Lebens zu verschiedenen Anlässen immer wieder verwiesen hat. Er promovierte 1933 in Berlin mit einem landeskundlich-ethnologischen Thema über die deutsche Sprachinsel des Gottscheer Hochlands in Slowenien. Bereits zuvor war er 1930 in das Bibliographische Institut in Leipzig eingetreten und wurde 1932 Leiter der kartografischen Abteilung. Dort entstanden unter der Leitung des jungen Wissenschaftlers u.a. die für die damalige Zeit bemerkenswerten Atlanten „Der Große Weltatlas“ (1933), „Meyers Handatlas“ (1933, 1935) und „Meyers großer Hausatlas“ (1938). – Im Zweiten Weltkrieg war die kartografische Abteilung des Bibliographischen Instituts 1943 weitgehend zerstört worden. L. erwarb sich in den Nachkriegsjahren Verdienste beim Wiederaufbau der Abteilung, die seit 1950 ein Betriebsteil des VEB Deutsche Buch- und Landkartendruckerei war. 1950 erfolgte die Berufung zum Direktor des Deutschen Instituts für Länderkunde in Leipzig, das 1961 von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW) übernommen und 1968 als Institut für Geographie und Geoökologie mit L. als Direktor weitergeführt wurde. Gleichfalls 1950 erhielt er einen Lehrauftrag an der Leipziger Karl-Marx-Universität und reichte im selben Jahr seine Habilitationsschrift zum Thema „Der soziogeographische Faktor in der landeskundlichen Darstellung Sachsens“ ein. 1951 erfolgte die Habilitation und 1952 die Ernennung zum Professor. – L. hielt Vorlesungen zu verschiedenen Teilgebieten der Geografie. Lehrveranstaltungen zur Kartografie hat L. erst seit 1955 verschiedentlich durchgeführt. 1958 war er einer der Kandidaten für den neu errichteten Lehrstuhl für Kartographie an der Technischen Hochschule Dresden, lehnte jedoch die Übernahme der Professur in Dresden wegen des stark technisch geprägten Lehr- und Forschungsprofils ab. 1960 auf den Lehrstuhl für Geographie der Universität Leipzig berufen, leitete er deren Geographisches Institut bis zur Auflösung 1968. Bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand 1970 war er Direktor des Akademieinstituts für Geographie und Geoökologie. – Der parteilose L. genoss in der DDR hohes Ansehen. Neben seiner leitenden Tätigkeit am Deutschen Institut für Länderkunde in Leipzig bzw. nach der Namensänderung desselben am geografischen Akademieinstitut sowie an der Karl-Marx-Universität Leipzig wirkte er in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien mit, u.a. seit 1950 in der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften (SAW) und seit 1954 im Beirat für Geodäsie und Kartographie beim Innenministerium der DDR. In der SAW und DAW bekleidete er weit über sein Emeritierungsjahr hinaus verantwortliche Positionen. Der SAW gehörte L. seit 1959 als ordentliches Mitglied an, 1971 bis 1984 als deren Vizepräsident. Ordentliches Mitglied der DAW - seit 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) - wurde L. 1959. Hier war er zunächst Sekretär der Klasse Chemie, Biologie und Geologie (1963-1968), später Vorsitzender der Klasse für Umweltschutz und Umweltgestaltung (1971-1984), einem in der damaligen DDR brisanten und nicht leicht zu vertretenden Sachgebiet. Bedeutenden Anteil hatte er an der Gründung der Sektion Geographie der AdW, die er zeitweilig leitete. 1989 erhielt er die Ehrenspange der AdW. Zu den zahlreichen Ehrenämtern L.s in der DDR und in seinem Leipziger Umfeld gehörte auch die Mitgliedschaft in der Kommission für Heimatforschung bei der DAW bzw. AdW. Seit 1964 stellvertretender Vorsitzender und seit 1968 bis zu seinem Tod Beiratsvorsitzender der Kommission war seine wesentlichste Aufgabe hier die Herausgabe der Buchreihe „Werte der deutschen Heimat“, die auch zahlreiche Bände zu sächsischen Landschaften umfasste. Die Ortssektion Leipzig der Geographischen Gesellschaft, deren Gründungsmitglied er war, hat L. über Jahrzehnte geleitet. – Auch international war L. im Dienst von Geografie und Kartografie tätig. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich ehrte ihn 1955 mit der Ernennung zum Dr.-Ing. ehrenhalber. 1960 erreichte L. auf dem 19. Geographenkongress in Stockholm die Aufnahme der DDR in die Internationale Geographische Union. Seine Erfahrungen und sein Engagement im Bereich Nationalatlanten führten noch im selben Jahr zur Berufung in deren Kommission für National- und Regionalatlanten, deren Vorsitzender er 1972 bis 1976 war. Zudem war L. Ehrenmitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Geographischen Gesellschaften Polens, der UdSSR und Ungarns. – L., dessen kontinuierliches Schaffen und dessen wissenschaftlich-fachliche Breite beeindrucken, hat Bleibendes für Geografie und Kartografie, deren immaterielle Werte er immer wieder hervorgehoben hat, geschaffen. Er war ein begnadeter Vordenker, Anreger, Wissenschaftsorganisator und -förderer. Aus seiner Feder stammen 168 Textveröffentlichungen zur Regionalen Geografie, zur Heimat- und Umweltforschung, zu Grundfragen der Kartografie, zur thematischen und zur Atlaskartografie, aber auch eine Reihe biografischer Beiträge. Er hat elf Welt- und thematische Atlanten herausgegeben bzw. konzeptionell und redaktionell betreut. Dazu war L. Mitherausgeber von acht Zeitschriften und Jahrbüchern. Als Hauptwerke müssen der 1952 bis 1969 in neun Auflagen und insgesamt 490.000 Exemplaren erschienene Weltatlas „Die Staaten der Erde und ihre Wirtschaft“ und der „Atlas Deutsche Demokratische Republik“ (Nationalatlas), „die heute zur kartographischen Weltliteratur gehören“ (
W. Sperling, 2001), hervorgehoben werden. Für seine federführende Tätigkeit bei der Konzipierung und Herausgabe des Nationalatlas der DDR erhielt L. 1983 den Nationalpreis II. Klasse der DDR im Kollektiv.
Quellen Leibnitz-Institut für Länderkunde Leipzig e.V., Geografische Zentralbibliothek, Archiv für Geografie.
Werke Das Gottscheer Hochland. Grundlinien einer Landeskunde, Diss. Berlin 1933; Der Große Weltatlas, Leipzig 1933, Leipzig 71941; Meyers Handatlas, Leipzig 81933, Leipzig 91935; Meyers großer Hausatlas, Leipzig 1938; Der soziographische Faktor in der landeskundlichen Darstellung Sachsens, Habil. Leipzig 1950; Weltatlas. Die Staaten der Erde und ihre Wirtschaft, Leipzig 1952, Gotha 91969; Historisch-Geographisches Kartenwerk. Britische Inseln, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Leipzig 1960; Atlas Deutsche Demokratische Republik, 2 Bde., Gotha/Leipzig 1976/81.
Literatur H. Richter, Edgar L. (geb. 1905), in: Namhafte Hochschullehrer der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1985, S. 23-27; R. Böhme, Zum 85. Geburtstag von Edgar L., in: Kartographische Nachrichten 40/1990, Nr. 5, S. 189-191; W. Stams, Professor Dr. phil. habil. Dr.-Ing. e.h. Edgar L., in: Vermessungstechnik 39/1991, Nr. 2, S. 63f.; E. Benedict, Prof. Dr. Dr.-Ing. e.h. Edgar L. zum Gedenken, in: Kartographische Nachrichten 41/1991, Nr. 2, S. 69-71; H. Richter/E. Benedict, Edgar L. (1905-1990), in: A. Mayr/F. D. Grimm/A. Tzschaschel (Hg.), 100 Jahre Institut für Länderkunde 1896-1996, Leipzig 1996, S. 52-56 (P); A. Mayr/L. Grundmann (Hg.), Edgar L. zum Gedächtnis, Leipzig 2001 (WV, P); B. Schelhaas, Edgar L., in: Universität Leipzig. Jubiläen 2005, hrsg. vom Rektor der Universität Leipzig, Leipzig 2005, S. 37-41 (P). – DBA III; DBE 6, S. 291f.; J. Bollmann/W. G. Koch (Hg.), Lexikon der Kartographie und Geomatik in zwei Bänden, Bd. 2, Heidelberg/Berlin 2002, S. 109 (Bildquelle).
Wolf Günther Koch
18.1.2010
Empfohlene Zitierweise:
Wolf Günther Koch, Artikel: Edgar Lehmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9201 [Zugriff 20.12.2024].
Edgar Lehmann
Quellen Leibnitz-Institut für Länderkunde Leipzig e.V., Geografische Zentralbibliothek, Archiv für Geografie.
Werke Das Gottscheer Hochland. Grundlinien einer Landeskunde, Diss. Berlin 1933; Der Große Weltatlas, Leipzig 1933, Leipzig 71941; Meyers Handatlas, Leipzig 81933, Leipzig 91935; Meyers großer Hausatlas, Leipzig 1938; Der soziographische Faktor in der landeskundlichen Darstellung Sachsens, Habil. Leipzig 1950; Weltatlas. Die Staaten der Erde und ihre Wirtschaft, Leipzig 1952, Gotha 91969; Historisch-Geographisches Kartenwerk. Britische Inseln, Frankreich, Belgien, Niederlande, Luxemburg, Leipzig 1960; Atlas Deutsche Demokratische Republik, 2 Bde., Gotha/Leipzig 1976/81.
Literatur H. Richter, Edgar L. (geb. 1905), in: Namhafte Hochschullehrer der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1985, S. 23-27; R. Böhme, Zum 85. Geburtstag von Edgar L., in: Kartographische Nachrichten 40/1990, Nr. 5, S. 189-191; W. Stams, Professor Dr. phil. habil. Dr.-Ing. e.h. Edgar L., in: Vermessungstechnik 39/1991, Nr. 2, S. 63f.; E. Benedict, Prof. Dr. Dr.-Ing. e.h. Edgar L. zum Gedenken, in: Kartographische Nachrichten 41/1991, Nr. 2, S. 69-71; H. Richter/E. Benedict, Edgar L. (1905-1990), in: A. Mayr/F. D. Grimm/A. Tzschaschel (Hg.), 100 Jahre Institut für Länderkunde 1896-1996, Leipzig 1996, S. 52-56 (P); A. Mayr/L. Grundmann (Hg.), Edgar L. zum Gedächtnis, Leipzig 2001 (WV, P); B. Schelhaas, Edgar L., in: Universität Leipzig. Jubiläen 2005, hrsg. vom Rektor der Universität Leipzig, Leipzig 2005, S. 37-41 (P). – DBA III; DBE 6, S. 291f.; J. Bollmann/W. G. Koch (Hg.), Lexikon der Kartographie und Geomatik in zwei Bänden, Bd. 2, Heidelberg/Berlin 2002, S. 109 (Bildquelle).
Wolf Günther Koch
18.1.2010
Empfohlene Zitierweise:
Wolf Günther Koch, Artikel: Edgar Lehmann,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9201 [Zugriff 20.12.2024].