Antonia Dietrich

D. stammte aus einer theaterbegeisterten Familie und besuchte - auf Drängen ihres Vaters - ab 1917 die Schauspielschule in Wien. Bereits zwei Jahre später debütierte sie als Gretchen in Johann Wolfgang von Goethes Faust“ am Staatsschauspiel Dresden. Das war der bedeutungsvolle Beginn einer großen Theaterkarriere, die mehr als 50 Jahre währte und untrennbar mit Dresden verbunden war. Diese Treue D.s zu ihrem Dresdner Publikum und ihrem Dresdner Theater ist als etwas Seltenes anzusehen. Die bewusste Beschränkung war zugleich der Verzicht auf eine Weltkarriere, auf Weltruhm, wie ihn viele Schauspielerinnen und Schauspieler durch Film und Fernsehen errangen, so z.B. Marlene Dietrich, an deren Seite D. in einem Film spielte. Im Laufe ihrer Karriere verkörperte D. fast 200 Rollen. Die starke Ausdruckskraft und große Wandlungsfähigkeit ließen D. zum Publikumsliebling werden. Ihre Rollengestaltung von Goethes Iphigenie wurde zum Inbegriff großer klassischer Theaterkunst und Sprechkultur. 1935 spielte sie diese Rolle auf einem Gastspiel des Dresdner Staatstheaters in Rom und 1936 in Hamburg. – Zu ihrem Repertoire gehörten sowohl die großen klassischen Rollen wie Antigone, Minna von Barnhelm, Gräfin Orsina in „ Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim Lessing, Rhodope in „ Gyges und sein Ring“ von Friedrich Hebbel, Margarethe von Parma und Leonore von Este in Goethes „ Egmont“ bzw. „ Torquato Tasso“. Die Titelrolle in Friedrich Schillers Maria Stuart“ besetzte sie ebenso wie die Elisabeth von Valois in „ Don Carlos“ oder die Gräfin Tertzky in „ Wallenstein“. Auch in zahlreichen Shakespeare-Stücken wirkte sie am Staatsschauspiel mit, so z.B. als Beatrice in „Viel Lärm um nichts“, Lady Macbeth in „ Macbeth“ und Cleopatra in „ Antonius und Cleopatra“. Darüber hinaus spielte sie auch Frauengestalten in Gerhart Hauptmanns Dramen wie Cläre Angermann in „ Dorothea Angermann“, Sabine Ruscheway in „Die Jungfern vom Bischofsberg“ oder die Baronin in „ Griselda“. – Als am 10.7.1945 die Dresdner Theater nach Krieg und Zerstörung wiedereröffnet wurden, stand D. als Sittha in Lessings „ Nathan der Weise“ neben Erich Ponto auf der Bühne der Tonhalle auf der Glacisstraße. Nach 1950 überzeugte sie auch mit Rollengestaltungen aus der modernen Dramatik: „ Wassa Schelesnowa“ von Maxim Gorki, Frau Higgins in „Pygmalion“ von George Bernard Shaw, Milans Mutter in „So eine Liebe“ von Pawel Kohut, oder Lady Sneerwell in „Die Lästerschule“ von Richard Sheridan. Als Claire Zachanassian in Friedrich Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ (1963) und als Jenny Treibel in „Frau Jenny Treibel“ (1969) stand sie im Mittelpunkt großer Dresdner Theaterereignisse und konnte die ganze Reife ihrer Darstellungskunst beweisen. Die Darstellung der Jenny Treibel war ihre letzte große und vom Publikum vielumjubelte Rolle. – Seit den 1940er-Jahren trat D. auch mit Rezitationsabenden v.a. mit Texten von Friedrich Nietzsche und Goethe in Erscheinung, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Am 28.9.1941 rezitierte sie z.B. Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ im Dresdner Künstlerhaus, am 18.10.1942 Goethes späte Lyrik, am 29.10.1943 Peter Rosegger. 1947 führte sie eine große Deutschlandtournee mit Goethes Alterslyrik nach Hamburg, Münster, Bremen, Osnabrück und Kiel. Am 19.1.1963 sprach sie im Gemeindesaal Dresden-Strehlen Goethes „Iphigenie auf Tauris“. – D. war mit dem aus Budapest stammenden Eugen Linz verheiratet, einem exzellenten Beethovenspieler, Professor an der Dresdner Musikhochschule und erfolgreichen Bühnenautor. Beim Bombenangriff am 13.2.1945 verlor D. ihre Wohnung in der Heubnerstraße 9, wo sich auch der Verlag ihres Manns befand. Sie ging nach Oberhessen, kehrte aber bereits im Juli 1945 nach Dresden zurück, wo sie bis zu ihrem Tod lebte. Dort erhielt sie 1969 auch den Martin-Andersen-Nexö-Kunstpreis.

Literatur P. Adolph, Vom Hof- zum Staatstheater. Zwei Jahrzehnte persönlicher Erinnerungen an Sachsens Hoftheater, Königshaus, Staatstheater und anderes, Dresden 1932; F. Kummer, Dresden und seine Theaterwelt, Dresden 1938; J. Reichelt, Erlebte Kostbarkeiten. Begegnungen mit Künstlern in Bekenntnisstunden, Dresden 1943; E. Ulischberger, Schauspiel in Dresden. Ein Stück Theatergeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart in Wort und Bild, Berlin 1989; H. Schneider, Hoffnung zwischen Trümmern. Dresdner Theater nach 1945, Dresden 1999; Frauengestalten, Menschengestalten. Schauspielerinnen in Dresden, hrsg. vom Verein zur Erforschung der Dresdner Frauengeschichte, Dresden 2001. – DBA II; M. Koch (Hg.), Frauen in Dresden. Dokumente, Geschichten, Porträts, Dresden 1994, S. 106-108 (P); F. Simmel u.a. (Hg.), Stadtlexikon Dresden A-Z, Dresden 1998, S. 100; Künstler am Dresdner Elbhang I, hrsg. vom Ortsverein Loschwitz-Wachwitz e.V./Ortsverein Pillnitz e.V./Elbhangfest e.V., Dresden 1999, S. 34.

Porträt Antonia D. als Costes Nichte Catherine, Ursula Richter, 1928, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Manfred Altner
19.11.2007


Empfohlene Zitierweise:
Manfred Altner, Artikel: Antonia Dietrich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10511 [Zugriff 22.12.2024].

Antonia Dietrich



Literatur P. Adolph, Vom Hof- zum Staatstheater. Zwei Jahrzehnte persönlicher Erinnerungen an Sachsens Hoftheater, Königshaus, Staatstheater und anderes, Dresden 1932; F. Kummer, Dresden und seine Theaterwelt, Dresden 1938; J. Reichelt, Erlebte Kostbarkeiten. Begegnungen mit Künstlern in Bekenntnisstunden, Dresden 1943; E. Ulischberger, Schauspiel in Dresden. Ein Stück Theatergeschichte von den Anfängen bis in die Gegenwart in Wort und Bild, Berlin 1989; H. Schneider, Hoffnung zwischen Trümmern. Dresdner Theater nach 1945, Dresden 1999; Frauengestalten, Menschengestalten. Schauspielerinnen in Dresden, hrsg. vom Verein zur Erforschung der Dresdner Frauengeschichte, Dresden 2001. – DBA II; M. Koch (Hg.), Frauen in Dresden. Dokumente, Geschichten, Porträts, Dresden 1994, S. 106-108 (P); F. Simmel u.a. (Hg.), Stadtlexikon Dresden A-Z, Dresden 1998, S. 100; Künstler am Dresdner Elbhang I, hrsg. vom Ortsverein Loschwitz-Wachwitz e.V./Ortsverein Pillnitz e.V./Elbhangfest e.V., Dresden 1999, S. 34.

Porträt Antonia D. als Costes Nichte Catherine, Ursula Richter, 1928, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Manfred Altner
19.11.2007


Empfohlene Zitierweise:
Manfred Altner, Artikel: Antonia Dietrich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10511 [Zugriff 22.12.2024].