Michail Alexandrowitsch Bakunin
B. ist die wohl wichtigste ausländische Persönlichkeit, die am Dresdner Maiaufstand 1849 aktiv beteiligt war, aber die Begegnungen mit Sachsen gingen darüber hinaus. Die Offizierslaufbahn befriedigte B. nicht, er quittierte 1835 den Dienst und begann ein Studium an der Universität Moskau. Er interessierte sich sehr für deutsche Philosophie und Kultur und setzte seit 1840 seine Studien in Berlin fort. Von Bedeutung für seine weitere politische Entwicklung sollte seine Begegnung mit dem Junghegelianer Arnold Ruge in Dresden werden, in dessen „Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst“ er 1842 während seines zweiten längeren Dresden-Aufenthaltes seinen radikaldemokratischen Aufsatz „Die Reaktion in Deutschland“ veröffentlichte. B. wurde durch Ruge in den Klub „Literarisches Museum“ unter der Leitung von
Hermann Franck eingeführt und bekam dadurch Beziehungen zur sächsischen demokratischen Intelligenz, so zu dem Komponisten
Adolf Reichel. In Dresden, das er im Januar 1843 aus Furcht vor Verfolgungen mit
Georg Herwegh in Richtung Zürich verließ, fiel seine Entscheidung, sich nicht mehr nach Russland zurückzubegeben. Er begann sich als europäischer Revolutionär zu begreifen und sich von außen für die Befreiung seines Vaterlandes von Unterdrückung und Unfreiheit einzusetzen. In der Schweiz geriet er in Kontakt zu dem frühkommunistischen Revolutionär
Wilhelm Weitling, wurde von der russischen Regierung des Umgangs mit „berüchtigten Übeltätern“ verdächtigt und auf die internationale Fahndungsliste gesetzt. In den Jahren vor und während der Revolution von 1848/49 führte B. ein unstetes Wanderleben durch die Metropolen Westeuropas. Dabei kam er auch in Berührung mit
Karl Marx, der ihn zu Unrecht für einen Spitzel der russischen Behörden hielt, und entwickelte in Paris 1847 die Idee eines demokratischen Panslawismus als Gegengewicht zum russischen Vormachtstreben in Europa. Zugleich meinte er, man könne Revolutionen voluntaristisch entfesseln – die Keime für seine spätere anarchistische Theorie waren gelegt. – Während der Revolution 1848/49 wechselte er ständig zwischen Dresden, Leipzig und Köthen, kam in Kontakt mit dem Journalisten Ludwig Wittig, dem Musiker Karl August Röckel und dem Verleger Ernst Keil, bei dem er seinen „Aufruf an die Slaven“ (1849) veröffentlichte. Besonders in Leipzig und dann ab März 1849 in Dresden knüpfte B. im Sinne seines panslawistischen Konzepts an einem Netzwerk von tschechischen, sorbischen und deutschen sowie polnischen Revolutionären, um die Idee der Slawenbefreiung zunächst in Böhmen durchzusetzen. Der Maiaufstand in Dresden überraschte B. Er entschied sich zur aktiven Teilnahme an der Seite von Samuel Erdmann Tzschirner, übte allerdings nur eine beratende Funktion aus und gehörte nicht zum revolutionären Führungsstab, ebenso wenig wie Richard Wagner, dem er in diesen Tagen begegnete. – B. wurde mit anderen nach der Niederwerfung der Revolution in Chemnitz verhaftet, auf der Festung Königstein inhaftiert und zunächst zum Tode verurteilt. Später wurde er aber zu lebenslänglicher Haft begnadigt und dann an Österreich nach Olmütz/Olomouc überstellt. Schließlich landete er in der Peter-Pauls-Festung in St. Petersburg, wo er seine umstrittene „Beichte“ an Zar Nikolaus I. verfasste. 1857 nach Sibirien verbannt, floh er 1861 über Amerika nach London, wo er seine revolutionäre Tätigkeit fortführte. Sein anarchistisches Konzept ließ ihn in krassen Gegensatz zu der von Marx geführten I. Internationale treten.
Werke J. M. Steklov (Hg.), Sobranie sočinenij i pisem (Werk- und Briefausgabe), 4 Bde., Moskau 1934-1935 (ND Düsseldorf/Vaduz 1970) (P); W. Eckhardt (Hg.), Ausgewählte Schriften, bisher 5 Bde., Berlin 1995ff.; Œuvres complètes, Amsterdam 2000 (CD-ROM).
Literatur J. Pfitzner, Bakuninstudien, Prag 1932 (ND Berlin 1977); A. Lehning (Hg.), Unterhaltungen mit B., Leipzig 1991; M. Grawitz, B., Hamburg 1999; B. Kramer, „Laßt uns die Schwerter ziehen, damit die Kette bricht ...“, Berlin 1999; M. Schattkowsky (Hg.), Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassung 1849, Leipzig 2000; K. Jeschke/G. Ulbricht (Hg.), Dresden, Mai 1849, Dresden 2000; E. Hexelschneider, Michail B., in: H. Bleiber u.a. (Hg.), Akteure eines Umbruchs, Berlin 2003, S. 37-81. – DBA II.
Porträt Mikhail Alexandrovich Bakunin, Félix Nadar, um 1860, Fotografie, The New York Public Library, Digital Collections [Public Domain], via Wikimedia Commons (Bildquelle).
Erhard Hexelschneider
8.12.2004
Empfohlene Zitierweise:
Erhard Hexelschneider, Artikel: Michail Alexandrowitsch Bakunin,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/314 [Zugriff 21.11.2024].
Michail Alexandrowitsch Bakunin
Werke J. M. Steklov (Hg.), Sobranie sočinenij i pisem (Werk- und Briefausgabe), 4 Bde., Moskau 1934-1935 (ND Düsseldorf/Vaduz 1970) (P); W. Eckhardt (Hg.), Ausgewählte Schriften, bisher 5 Bde., Berlin 1995ff.; Œuvres complètes, Amsterdam 2000 (CD-ROM).
Literatur J. Pfitzner, Bakuninstudien, Prag 1932 (ND Berlin 1977); A. Lehning (Hg.), Unterhaltungen mit B., Leipzig 1991; M. Grawitz, B., Hamburg 1999; B. Kramer, „Laßt uns die Schwerter ziehen, damit die Kette bricht ...“, Berlin 1999; M. Schattkowsky (Hg.), Dresdner Maiaufstand und Reichsverfassung 1849, Leipzig 2000; K. Jeschke/G. Ulbricht (Hg.), Dresden, Mai 1849, Dresden 2000; E. Hexelschneider, Michail B., in: H. Bleiber u.a. (Hg.), Akteure eines Umbruchs, Berlin 2003, S. 37-81. – DBA II.
Porträt Mikhail Alexandrovich Bakunin, Félix Nadar, um 1860, Fotografie, The New York Public Library, Digital Collections [Public Domain], via Wikimedia Commons (Bildquelle).
Erhard Hexelschneider
8.12.2004
Empfohlene Zitierweise:
Erhard Hexelschneider, Artikel: Michail Alexandrowitsch Bakunin,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/314 [Zugriff 21.11.2024].