Julie Salinger
S. gehörte zu den ersten sächsischen Parlamentarierinnen, die nach der Einführung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts (1918) als Abgeordnete ein Mandat in der Sächsischen Volkskammer bzw. im Landtag erringen konnten. – Über S.s Lebensweg bis zu ihrer Übersiedlung aus Ostpreußen nach Dresden um 1897/98, wo ihr Mann zwischen 1904 und 1919 Mitinhaber einer Schuhfabrik war, ist kaum etwas bekannt. In Dresden war sie - wie ihr Mann und später auch ihr Sohn - in der jüdischen Religionsgemeinde aktiv, vorrangig auf sozialem Gebiet im Fürsorgeausschuss der Gemeinde. Sie war 1902 Mitbegründerin des Schwesternbunds der Fraternitasloge, dem sie Anfang der 1930er-Jahre vorstand. 1904 kam von ihr die Anregung zur Einrichtung des gemeindeeigenen Kinderhorts. Daneben engagierte sich S. im Stadtbund Dresdner Frauenvereine. Bereits 1900 war sie Mitglied im Rechtsschutzverein für Frauen und Mädchen, den sie zwischen 1913 und 1931 leitete. Sie arbeitete - zeitweise als Leiterin - in der Rechtsschutzstelle, organisierte Eheberatungen für Frauen und forderte in all diesen Positionen, geprägt von ihrem liberaldemokratischen Weltbild, die Gleichstellung von Frau und Mann. – Während des Ersten Weltkriegs war S. Mitglied des Zentralausschusses der Kriegsorganisation Dresdner Vereine und fungierte als Vorsitzende eines Sonderausschusses gegen Arbeitslosigkeit. 1918 trat sie als Mitbegründerin der DDP in Dresden in Erscheinung und kandidierte als einzige Frau an aussichtsreicher Stelle der ostsächsischen DDP-Liste für die Volkskammerwahlen 1919, in die sie als eine der ersten drei Frauen gewählt wurde. Hier arbeitete sie im Rechenschafts- und im Haushaltsausschuss. 1920 kandidierte sie erfolgreich für den Sächsischen Landtag und übte dort bis zum Ablauf der Wahlperiode 1922 ihr Mandat aus. In ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete setzte sich S. v.a. für eine Existenz-Grundsicherung ein. Auch hier griff sie wieder ihr Anliegen der Gleichstellung von Frau und Mann auf, z.B. im Hinblick auf gleiche Unterstützungssätze für Erwerbslose und gleiche Rentenvergütung. Dabei agierte sie stets sachkundig und vermittelnd und sprach sich für behutsame Reformen anstatt radikaler Einschnitte aus. Sie wirkte stets im Sinne des jüdischen Liberalismus. – Daneben blieb S. weiterhin außerparlamentarisch aktiv. Bis zum Ende der 1920er-Jahre war sie im Landesverband sächsischer Frauenvereine tätig. – Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb sie in Dresden. Hinweise auf eventuelle Abwanderungsabsichten gibt es nicht. 1940 musste sie zwangsweise in das „Judenhaus“ in der Bautzner Straße in Dresden umziehen, wo sie zwei Jahre lang zusammen mit ihrer Schwester lebte. 1942 wurde S. zu einem sog. „Heimeinkaufsvertrag“ gezwungen, der den nach Theresienstadt deportierten Juden vorgeblich Unterbringung und Betreuung garantierte, gleichzeitig aber die Übereignung ihres Eigentums und Vermögens forderte. Am 25.8.1942 wurde S. gemeinsam mit ihrer Schwester in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort vermutlich am 16.9.1942 ermordet.
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10693 Landtag 1919-1933, Nr. 1, 5, 731; Jüdisches Jahrbuch für Sachsen und Adressbuch der Gemeindebehörden, Organisationen und Vereine 1931/32, Ausgabe Dresden, Chemnitz, Plauen; Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1915-1929.
Literatur S. Höppner/M. Jahn, Jüdische Vereine und Organisationen in Chemnitz, Dresden und Leipzig 1918-1933, Dresden 1997, S. 34; I. Kirsch, Julie S., in: Einst & jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, Dresden 2001, S. 158 (P); dies., Julie S. - eine der ersten Frauen im Landesparlament Sachsens, in: Dresdner Hefte 62/2000, S. 85-88.
Porträt Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden (Bildquelle).
Lutz Vogel
16.5.2007
Empfohlene Zitierweise:
Lutz Vogel, Artikel: Julie Salinger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9560 [Zugriff 23.12.2024].
Julie Salinger
Quellen Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 10693 Landtag 1919-1933, Nr. 1, 5, 731; Jüdisches Jahrbuch für Sachsen und Adressbuch der Gemeindebehörden, Organisationen und Vereine 1931/32, Ausgabe Dresden, Chemnitz, Plauen; Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1915-1929.
Literatur S. Höppner/M. Jahn, Jüdische Vereine und Organisationen in Chemnitz, Dresden und Leipzig 1918-1933, Dresden 1997, S. 34; I. Kirsch, Julie S., in: Einst & jetzt. Zur Geschichte der Dresdner Synagoge und ihrer Gemeinde, hrsg. von der Jüdischen Gemeinde zu Dresden, Dresden 2001, S. 158 (P); dies., Julie S. - eine der ersten Frauen im Landesparlament Sachsens, in: Dresdner Hefte 62/2000, S. 85-88.
Porträt Fotografie, Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden (Bildquelle).
Lutz Vogel
16.5.2007
Empfohlene Zitierweise:
Lutz Vogel, Artikel: Julie Salinger,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/9560 [Zugriff 23.12.2024].