Herrmann Meyer

M. wurde als jüngstes von sechs Kindern des Verlagsbesitzers Herrmann Julius Meyer geboren. Nach dem Besuch der Leipziger Thomasschule studierte er in Straßburg, Berlin und Jena Anthropologie und Ethnologie. Sein Vater hatte die Verlagsgeschäfte des „Bibliographischen Instituts“ 1884 an die drei ältesten Söhne übergeben, um sich verstärkt seinen sozialpolitischen Aktivitäten widmen zu können. Im Februar 1903 trat M. als Teilhaber in das „Bibliographische Institut“ ein und unterstützte seinen Bruder Hans bei der redaktionellen Tätigkeit. Der Verlag stand damals in seiner Blüte und war einer der bedeutendsten in Deutschland. Das Hauptwerk, „Meyers Großes Konversations-Lexikon“, erschien zwischen 1902 und 1908 in seiner sechsten Auflage. „Brehms Tierleben“ wurde auf 13 Bände erweitert (4. Aufl. 1911-1918). An geografischen Werken erschienen neue Auflagen der „Allgemeinen Länderkunde“, das zweibändige Sammelwerk „Das Deutsche Kolonialreich“ (1909/10) und der umfangreichste Atlas des Verlags, „Meyers Geographischer Handatlas“, in dritter (1905) und vierter Auflage (1912). Die Sammlung „Meyers Klassiker-Ausgaben“ wuchs bis Ende 1913 auf 219 Bände an und die populäre Sammlung „Meyers Volksbücher“ erreichte eine Gesamtauflage von über 25 Millionen. Da die drei Verlagsinhaber Hans, Arndt und M. keine männlichen Nachfahren hatten, entschloss man sich 1915, den Verlag in eine Aktien-Gesellschaft umzuwandeln. Der Seniorchef Hans schied aus dem Verlagsgeschäft aus und übernahm eine Professur für Kolonialgeografie an der Universität Leipzig, zu Vorstandsmitgliedern wurden Arndt (bis 1919), M. und deren Vetter Alfred Bornmüller bestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg, der die internationalen Beziehungen des Verlags weitgehend zum Erliegen gebracht hatte, und nach der Kapitalvernichtung durch die Inflation entwickelte sich der Verlag seit 1924 wieder erfolgreich und beschäftigte 1925 wieder 800 Personen. – Bevor M. in das Verlagsgeschäft eingestiegen war, hatte er sich als Forschungsreisender und Koloniengründer in Brasilien betätigt. Nach der Promotion und einer Reise durch die USA reifte in ihm der Plan, die Untersuchungen des Ethnologen Karl von den Steinen in Brasilien fortzuführen und das Innere des Landes zu erforschen. Zu diesem Entschluss hatten sicher auch die Erfolge seines älteren Bruders Hans als Forschungsreisender (1889 Erstbesteigung des Kilimandscharo) beigetragen. Gemeinsam mit dem Münchner Arzt und Anthropologen Karl Ranke sowie einem weiteren Reisebegleiter, der aber bereits kurz nach der Ankunft in Rio de Janeiro am Gelbfieber starb, brach M. 1895 zu seiner ersten Brasilienreise auf. Ziel war die Erkundung des Quellgebiets des Rio Xingú. Vor der eigentlichen Expedition besuchte M. die deutschen Siedlungsgebiete um Petropolis, Florianopolis, Blumenau und in Rio Grande do Sul. Dabei gelang es ihm, den expeditionserfahrenen deutschstämmigen Carlos Dhein, der bereits von den Steinen begleitet hatte, für seine Reise anzuwerben. Von Buenos Aires aus fuhr die Gruppe über den Rio Paraguay zum eigentlichen Ausgangspunkt der Expedition, Cuyaba, der Hauptstadt Mato Grossos. Auf dem zuvor unbekannten Rio Jatoba gelangte man bis zu dessen Mündung in den Rio Ronuro und weiter auf dem Hauptstrom des Rio Xingú. Dabei entdeckte man den Rio Atelchu, den M. als „Rio Steinen“ benannte. Ein halbes Jahr hielten sich die beiden Forscher im Gebiet des oberen Xingú auf und führten anthropologische Untersuchungen bei den dortigen Indianerstämmen durch. – Nach seiner Rückkehr übernahm M. eine Assistentenstelle am Museum für Völkerkunde in Leipzig, reiste jedoch im Sommer 1898 erneut nach Brasilien, um seine dortigen Forschungen fortzusetzen. Nach längerem Aufenthalt in Rio Grande do Sul brach die Expedition - neben M. nahmen drei weitere deutsche Wissenschaftler daran teil - im Frühjahr 1899 wiederum von Cuyaba auf. Dieses Mal folgte man dem an Stromschnellen reichen Rio Ronuro, den M. als den bedeutendsten Quellfluss des Xingú erkannte. Ein Großteil der Ausrüstung und des Proviants ging bei einem Unglück an einem 20 m hohen Wasserfall (von M. nach Adolf Bastian benannt) verloren. Obwohl Fieber unter den Expeditionsteilnehmern ausbrach, setzte die Gruppe die Reise über den Kuluene und den Xingú fort, ehe man im Herbst 1899 wieder zurückkehrte. Neben indianischen Ethnographica gehörte eine umfangreiche botanische Sammlung mit etwa 3.000 Spezies zu den Ergebnissen dieser zweiten (und insgesamt vierten) Xingú-Expedition. Im Vergleich zu den beiden Expeditionen von den Steinens blieb der wissenschaftliche Ertrag der Meyer’schen Reisen aber insgesamt bescheiden. Auch die mehrfach von M. angekündigte größere Publikation seiner Forschungsergebnisse kam nicht zustande. – Wenn auch als Forscher eher erfolglos, machte sich M. als Koloniengründer einen Namen. Nach seiner Überfahrt 1898 ging er nach Rio Grande do Sul, um hier die Ansiedlung deutscher Kolonisten zu organisieren. In diesem brasilianischen Staat waren seit den 1820er-Jahren Deutsche angesiedelt worden, sodass ein Fünftel der Bevölkerung am Ende des 19. Jahrhunderts deutschstämmig war. Für M. stand außer Frage, dass Südbrasilien das ideale Ziel deutscher Auswanderer sei und man den Emigrantenstrom hierhin lenken müsse. Im Oktober 1898 ging es von Porto Alegre zunächst mit der Bahn, dann mit Mauleseln in das Kolonisationsgebiet, wobei M. wiederum von Dhein begleitet wurde. Dhein hatte für M. in den zwei Jahren zuvor im Urwaldgebiet der Serra am oberen Rio Uruguay vier große Ländereien angekauft. M. plante die Ansiedlung von 400 Familien in der Kolonie „Neu-Württemberg“, jeder Kolonist erhielt 250.000 qm (1.000 m lang, 250 m breit) große Grundstücke. Zwei Tagesritte entfernt entstanden an Nebenflüssen des Uruguay zwei weitere Privatkolonien M.s („Xingu“ und „Guaryta“), die sich aber kaum weiter entwickelten und von Neu-Württemberg aus mit verwaltet wurden. In Neu-Württemberg war 1903 eine Fläche von 120 qkm vermessen und für 376 Kolonistenstellen parzelliert. Als wirtschaftlicher Mittelpunkt der Kolonie entstand auf einer Anhöhe der „Stadtplatz Elsenau“ (benannt nach M.s Ehefrau) mit insgesamt 629 kleineren Parzellen um einen Marktplatz mit Kaufläden, einer Apotheke, einer Mühle und verschiedenen Handwerksbetrieben. Der Kinderreichtum der Kolonisten führte dazu, dass die zunächst zweiklassige Schule schon bald auf zehn Klassen vergrößert werden musste. Der Bau einer Kirche verzögerte sich allerdings und konnte erst 1921/22 realisiert werden. 1906 lebten in Neu-Württemberg etwa 650 Menschen; nach 1920 wuchs die Kolonie durch Zuzug neuer Familien aus Deutschland kräftig an, und 1933 lebten bei etwa 14.000 Einwohnern ca. 12.000 Deutschstämmige in Neu-Württemberg. M., der bis zum Abbruch der deutsch-brasilianischen Beziehungen während des Ersten Weltkriegs die Interessen Brasiliens als Konsul in Leipzig vertrat, hat seine Kolonien später nicht mehr selbst besucht, unterstützte die Siedlungen aber immer wieder finanziell. – Trotz vieler Rückschläge in der Entwicklung und obwohl die Erwartungen M.s lange Zeit nicht erfüllt wurden, galt Neu-Württemberg in den 1920er- und 1930er-Jahren als deutsche Musterkolonie. Für seine Leistungen in der Kolonisation erhielt M. 1931 den „Deutschen Ring“ verliehen, die höchste Auszeichnung des „Deutschen Ausland-Instituts“. Heute ist die Siedlung, die 1945 in „Panambi“ umbenannt wurde, eine Stadt mit ca. 35.000 Einwohnern.

Quellen Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig, Archiv für Geographie, Nachlass M.

Werke Bogen und Pfeil in Central-Brasilien. Ethnographische Studie, Leipzig 1895; Tagebuch meiner Brasilienreise 1896, 2 Hefte, Leipzig 1896/1897 [MS]; Im Quellgebiet des Schingu. Landschafts- und Völkerbilder aus Centralbrasilien, in: Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte 1897 (Sonderdruck); Meine Reise nach Brasilien. Vortrag, in: Verhandlungen der Abteilung Berlin-Charlottenburg. Deutsche Kolonial-Gesellschaft 1/1896/97, H. 5, S. 166-194; Über seine Reise nach Central-Brasilien, in: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 24/1897, Nr. 3 (Sonderdruck); Meine Reise nach den deutschen Kolonien in Rio Grande do Sul 1898-1899, Leipzig 1899; Die Privatkolonien von Dr. Herrmann M. in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), [Leipzig 1901]; Die deutschen Kolonien in Südbrasilien in ihren geographischen Beziehungen, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig 1913 (Sonderdruck).

Literatur Dr. Herrmann M., in: Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik 22/1900, S. 276-278; Dr. Herrmann M.s Ackerbaukolonien Neu-Württemberg und Xingu in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), Leipzig 1903 (ND 1905); Ansichten aus Dr. Herrmann M.s Ackerbaukolonien Neu-Württemberg und Xingu in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), Leipzig 1904; Ackerbaukolonien Neu-Württemberg und Xingu in Rio Grande do Sul (Südbrasilien). Prospekt des Kolonisations-Unternehmens Dr. Herrmann M., Leipzig 1906; Neu-Württemberg. Eine Siedlung Deutscher in Rio Grande do Sul/Brasilien, hrsg. von der Faulhaberstiftung, Stuttgart 1933; J. Hohlfeld, Das Bibliographische Institut, Leipzig 1926. – DBA III; DBE 7, S. 105; Th. Adam (Hg.), Germany and the Americas, Bd. 2, Santa Barbara 2005, S. 747-749; D. Henze, Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Bd. 3, Graz 1993, S. 457.

Heinz-Peter Brogiato
1.7.2009


Empfohlene Zitierweise:
Heinz-Peter Brogiato, Artikel: Herrmann Meyer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17858 [Zugriff 19.4.2024].

Herrmann Meyer



Quellen Leibniz-Institut für Länderkunde Leipzig, Archiv für Geographie, Nachlass M.

Werke Bogen und Pfeil in Central-Brasilien. Ethnographische Studie, Leipzig 1895; Tagebuch meiner Brasilienreise 1896, 2 Hefte, Leipzig 1896/1897 [MS]; Im Quellgebiet des Schingu. Landschafts- und Völkerbilder aus Centralbrasilien, in: Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte 1897 (Sonderdruck); Meine Reise nach Brasilien. Vortrag, in: Verhandlungen der Abteilung Berlin-Charlottenburg. Deutsche Kolonial-Gesellschaft 1/1896/97, H. 5, S. 166-194; Über seine Reise nach Central-Brasilien, in: Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 24/1897, Nr. 3 (Sonderdruck); Meine Reise nach den deutschen Kolonien in Rio Grande do Sul 1898-1899, Leipzig 1899; Die Privatkolonien von Dr. Herrmann M. in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), [Leipzig 1901]; Die deutschen Kolonien in Südbrasilien in ihren geographischen Beziehungen, in: Mitteilungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Leipzig 1913 (Sonderdruck).

Literatur Dr. Herrmann M., in: Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik 22/1900, S. 276-278; Dr. Herrmann M.s Ackerbaukolonien Neu-Württemberg und Xingu in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), Leipzig 1903 (ND 1905); Ansichten aus Dr. Herrmann M.s Ackerbaukolonien Neu-Württemberg und Xingu in Rio Grande do Sul (Südbrasilien), Leipzig 1904; Ackerbaukolonien Neu-Württemberg und Xingu in Rio Grande do Sul (Südbrasilien). Prospekt des Kolonisations-Unternehmens Dr. Herrmann M., Leipzig 1906; Neu-Württemberg. Eine Siedlung Deutscher in Rio Grande do Sul/Brasilien, hrsg. von der Faulhaberstiftung, Stuttgart 1933; J. Hohlfeld, Das Bibliographische Institut, Leipzig 1926. – DBA III; DBE 7, S. 105; Th. Adam (Hg.), Germany and the Americas, Bd. 2, Santa Barbara 2005, S. 747-749; D. Henze, Enzyklopädie der Entdecker und Erforscher der Erde, Bd. 3, Graz 1993, S. 457.

Heinz-Peter Brogiato
1.7.2009


Empfohlene Zitierweise:
Heinz-Peter Brogiato, Artikel: Herrmann Meyer,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17858 [Zugriff 19.4.2024].