Georg Minde-Pouet

Die herausragende Stellung M.s als Bibliothekar begründet sich insbesondere durch seine erfolgreichen Bemühungen um die Neuorganisation der Dresdner Stadtbibliothek sowie durch die dauerhafte Sicherung der Deutschen Bücherei Leipzig als zentrale Präsenzbibliothek aller deutschsprachigen Publikationen. Darüber hinaus machte er sich um die wissenschaftliche Aufarbeitung der Werke Heinrich von Kleists verdient. – M. besuchte das Französische Gymnasium in seiner Geburtsstadt. Nach dem Abitur studierte er ab 1890 Germanistik, Romanische Philologie, Kunstgeschichte sowie Philosophie an der Universität Berlin. Dort wurde er 1895 mit dem Thema „Sprache und Stil Heinrich von Kleists“ zum Dr. phil. promoviert. Im Anschluss leistete M. beim Garde-Schützen-Bataillon in Berlin-Lichterfelde als Einjährig-Freiwilliger seinen Wehrdienst ab und erhielt 1897 eine erste Anstellung als Volontär an den Königlichen Museen in Berlin. Im Zuge der staatlichen kulturellen Förderungsmaßnahmen für die Provinz Posen wurde er 1898 bis 1903 nach Posen (poln. Poznań) delegiert und war anfänglich wissenschaftlicher Hilfsarbeiter an der dortigen Landesbibliothek und am Provinzialmuseum, später Direktoralassistent am Kaiser-Friedrich-Museum. 1903 übernahm er den Aufbau und bis 1913 zugleich die Leitung der Stadtbibliothek Bromberg (poln. Bydgoszcz). Neben diversen ehrenamtlichen Tätigkeiten erhielt er darüber hinaus einen Lehrauftrag an der Bromberger Kunst- und Handwerkerschule und bekam 1911 den Professorentitel verliehen. Einer entsprechenden Offerte folgend wurde M. am 1.7.1913 Direktor der Städtischen Sammlungen in Dresden. Mit dieser neu geschaffenen Stelle übernahm er die wissenschaftliche Leitung des Ratsarchivs, der Stadtbibliothek und des Stadtmuseums, die alle drei im Rathaus untergebracht und bisher schon in Personalunion geführt worden waren, sowie zusätzlich des Körner- und des Schillingmuseums. Am 7.10.1913 legte M. eine „Denkschrift über die Neuregelung des städtischen Bibliotheks- und Museumswesens“ vor, in der er Vorschläge zur Verbesserung der Arbeit unterbreitete. Die Veränderungen in der Verwaltung und im wissenschaftlichen Bereich sowie in der technischen Ausstattung wurden von den städtischen Körperschaften (Rat und Stadtverordnete) bis auf wenige Einwände akzeptiert. Infolgedessen kam es zur Bereitstellung der notwendigen Mittel für zusätzliches Personal, zur Umnutzung von Räumen und zur Schaffung einer zentralen „Verwaltung der städtischen Sammlungen“ mit eigener Kanzlei und gemeinsamen Haushaltplan und deren direkter Unterstellung unter den Oberbürgermeister. Damit waren die organisatorischen Voraussetzungen für einen verbesserten Arbeitsbetrieb geschaffen. Inhaltlich richtete M. sein Augenmerk zunächst auf die ihm dringendst erscheinenden Aufgaben: Revision, Trennung und Austausch sowie Neuordnung der Sammlungsbestände. In der Stadtbibliothek lagen die Schwerpunkte v.a. auf der Inventarisierung und Katalogisierung sowie auf der Neuaufstellung der Bestände. Im April 1914 kam es zu einem Streit zwischen M. und seinem Amtsvorgänger Otto Richter, der die von M. vorgeschlagenen Veränderungen als Diskriminierung seines jahrzehntelangen Wirkens in Ratsarchiv, Stadtbibliothek und Stadtmuseum ansah. Die Auseinandersetzungen um persönliche Befindlichkeiten erreichten ihren Höhepunkt, als M. zwecks Wahrung seiner Ehre Richter zum Duell aufforderte. Aufgrund des in Deutschland seit 1871 verbotenen „Zweikampfs mit tödlichen Waffen“ wurde M. zu einer Woche Festungshaft auf dem Königstein verurteilt. Ungeachtet der Streitigkeiten zwischen M. und Richter blieben die städtischen Körperschaften bei ihren Zusagen zu den von M. vorgeschlagenen Neuregelungen. Der Erste Weltkrieg verzögerte jedoch auch diese Vorhaben. Am 6.8.1914 wurden Ratsarchiv, Stadtbibliothek und alle städtischen Museen für die Öffentlichkeit geschlossen. Einige Mitarbeiter wurden zum Militärdienst einberufen und weitere, vorwiegend weibliche, übernahmen zusätzliche Aufgaben in der Kriegsorganisation Dresdner Vereine. M. wurde vom Roten Kreuz die Geschäftsführung der Familienfürsorge für die Aktiven der Feldarmee und des Frauenvereins übertragen. Im Zuge der Mobilmachung stand M. dem Zweiten Aufgebot des Landsturms zur Verfügung. Sein Bemühen um „Unabkömmlichkeit“ wurde zwar vom Oberbürgermeister unterstützt, war aber vergeblich. Am 23.5.1915 erhielt M. die Einberufung zum Dresdner Ersatz-Jägerbataillon Nr. 13. Kurz zuvor hatte er Bestimmungen für die weitere Bibliotheksarbeit entsprechend seiner Vorschläge erlassen. Während seines Militärdiensts - auch als 1916 Warschau sein Standort wurde - hielt er ständig Kontakt mit den Städtischen Sammlungen, ließ sich über Vorgänge informieren und erteilte Anweisungen. Im Herbst 1916 wurde M. in die Archivverwaltung des Generalgouvernements Warschau abkommandiert, um die nach der Besetzung der Stadt geöffneten Archive auf relevantes Quellenmaterial zur sächsisch-polnischen Geschichte zu prüfen. Am 1.2.1917 übernahm er in Dresden wieder kurzfristig die Amtsgeschäfte, wechselte jedoch bereits am 1.5.1917 nach Leipzig, wo er zum Direktor der 1912 gegründeten Deutschen Bücherei ernannt und aus diesem Grund auch vom Kriegsdienst befreit wurde. Gleichzeitig bemühte er sich, seine Arbeiten zum Körnermuseum in Dresden fortzuführen, musste dieses Vorhaben allerdings wegen Unstimmigkeiten mit der Dresdner Stadtverwaltung beenden. In Leipzig gelang es ihm, das Fortbestehen der Deutschen Bücherei dauerhaft zu sichern. Neben der Umsetzung der endgültigen Organisation erweiterte M. auch deren Aufgabenspektrum, z.B. mit der Einrichtung eines Zentralkatalogs der nicht im Buchhandel erhältlichen Drucke. Parallel hielt er an der Universität Leipzig Vorlesungen u.a. über Bibliotheksverwaltungslehre und war Mitglied im Prüfungsamt für den wissenschaftlichen Bibliotheksdienst. Im Oktober 1923 legte M. sein Amt nieder und widmete sich fortan wissenschaftlichen Arbeiten. Unter Federführung der Preußischen Staatsbibliothek Berlin setzte er die „Bibliographie der deutschen Universitäten“ fort. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften war er zudem Mitherausgeber des ersten Bands der Neuen Folge von „Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung“. Bereits im Ruhestand wirkte M. ab dem 1.10.1930 für ein Jahr als Berater beim Aufbau der Bibliothek des Deutschen Museums München mit. – Neben bibliothekswissenschaftlichen Arbeiten befasste sich M. intensiv mit der Kleistforschung. Als Vorsitzender der Kleist-Gesellschaft (seit 1921) veröffentlichte er zahlreiche Beiträge zu dieser Thematik und widmete sich insbesondere der Herausgabe von Kleists Werken.

Quellen Stadtarchiv Dresden, Ratsarchiv, Stadtbibliothek; Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Amerika-Gedenkbibliothek, Kleist-Sammlung; Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass M. (Briefe).

Werke Heinrich von Kleist. Seine Sprache und sein Stil, Diss. Berlin 1895; mit E. Schmidt/R. Steig (Hg.), Heinrich von Kleists Werke, 7 Bde., Leipzig/Wien 1904/05, ²1936-1938; Die Bromberger Stadtbibliothek, Posen 1911; Denkschrift über die Neuregelung des städtischen Bibliotheks- und Museumswesens, Dresden 1913 [Ms.]; Die Not der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland, Frankfurt/Main 1921; (Hg.), Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung, NF, Bd. 1, Dresden 1940; Schriften und Reden von Georg M., hrsg. von. E. Rothe, Leipzig 1941 (P, WV).

Literatur A. Warschauer, Georg M. 1898-1913, Lissa 1913; K. Großmann, Die städtischen Sammlungen während des Krieges, in: Dresdner Geschichtsblätter 7/1920, S. 232; O. E. Ebert, Alere flammam. Georg M. zum 50. Geburtstage, Leipzig 1921; W. Schmidt, Georg M., in: Zeitschrift für Bibliothekswesen 64/1950, S. 373-375; G. Kolditz, Zur Geschichte des Stadtarchivs Dresden, in: Das Stadtarchiv Dresden und seine Bestände, hrsg. vom Stadtarchiv Dresden, Dresden 1994, S. 21; P. Staengle, Fragen nach M., in: Beiträge zur Kleist-Forschung 1995, S. 41-53. – DBA I, II, III; DBE 7, S. 146; NDB 17, S. 534f.; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 2/1931, S. 1255 (Bildquelle); W. Kosch (Begr.), Deutsches Literatur-Lexikon, Bd. 10, Bern ³1986, S. 1104; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 220f.

Daniel Geißler/Christel Hermann
8.10.2015


Empfohlene Zitierweise:
Daniel Geißler/Christel Hermann, Artikel: Georg Minde-Pouet,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24703 [Zugriff 29.3.2024].

Georg Minde-Pouet



Quellen Stadtarchiv Dresden, Ratsarchiv, Stadtbibliothek; Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Amerika-Gedenkbibliothek, Kleist-Sammlung; Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass M. (Briefe).

Werke Heinrich von Kleist. Seine Sprache und sein Stil, Diss. Berlin 1895; mit E. Schmidt/R. Steig (Hg.), Heinrich von Kleists Werke, 7 Bde., Leipzig/Wien 1904/05, ²1936-1938; Die Bromberger Stadtbibliothek, Posen 1911; Denkschrift über die Neuregelung des städtischen Bibliotheks- und Museumswesens, Dresden 1913 [Ms.]; Die Not der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland, Frankfurt/Main 1921; (Hg.), Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung, NF, Bd. 1, Dresden 1940; Schriften und Reden von Georg M., hrsg. von. E. Rothe, Leipzig 1941 (P, WV).

Literatur A. Warschauer, Georg M. 1898-1913, Lissa 1913; K. Großmann, Die städtischen Sammlungen während des Krieges, in: Dresdner Geschichtsblätter 7/1920, S. 232; O. E. Ebert, Alere flammam. Georg M. zum 50. Geburtstage, Leipzig 1921; W. Schmidt, Georg M., in: Zeitschrift für Bibliothekswesen 64/1950, S. 373-375; G. Kolditz, Zur Geschichte des Stadtarchivs Dresden, in: Das Stadtarchiv Dresden und seine Bestände, hrsg. vom Stadtarchiv Dresden, Dresden 1994, S. 21; P. Staengle, Fragen nach M., in: Beiträge zur Kleist-Forschung 1995, S. 41-53. – DBA I, II, III; DBE 7, S. 146; NDB 17, S. 534f.; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft 2/1931, S. 1255 (Bildquelle); W. Kosch (Begr.), Deutsches Literatur-Lexikon, Bd. 10, Bern ³1986, S. 1104; A. Habermann/R. Klemmt/F. Siefkes, Lexikon deutscher wissenschaftlicher Bibliothekare 1925-1980, Frankfurt/Main 1985, S. 220f.

Daniel Geißler/Christel Hermann
8.10.2015


Empfohlene Zitierweise:
Daniel Geißler/Christel Hermann, Artikel: Georg Minde-Pouet,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/24703 [Zugriff 29.3.2024].