Ernst Ring

R. war eine schillernde Person, die erwiesenermaßen als Hochstapler, Betrüger und „Gewohnheitsverbrecher“ in Erscheinung trat. Die Liste der Delikte, die ihm von Behörden der DDR, wo er nur 1945/46 und 1950/51 lebte, zur Last gelegt wurden, ist lang: Urkundenfälschung und Anstiftung zur selben, Amtsanmaßung, Veruntreuung, Betrug, Unterschlagung, Erpressung, Falschbeschuldigung, Mordversuch, Einbruch, schwerer Diebstahl, unbefugter Waffenbesitz, Spionage. In den Westzonen und der Bundesrepublik wurde R. ebenfalls straf- und zivilrechtlich verfolgt. – Da R.s katholische unverheiratete Eltern einen Skandal vermeiden wollten, wurde R. nicht in Düsseldorf, wo die Mutter wohnte, sondern in einem Entbindungsheim in Stettin zur Welt gebracht. Wenige Tage später kam er nach Eisenach und dann nach Chemnitz, wo R. bei Pflegeeltern aufwuchs, die in der Pflege elternloser Kinder ihren Haupterwerb hatten. Mit ihnen lebte R. in Chemnitz und Oederan und wechselte mehrfach die Schule und beendete seine Schulzeit ohne das eigentlich angestrebte Abitur. R. besuchte in dieser Zeit u.a. auch eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt (Napola). Anschließend machte er keine Lehre, sondern ging 1939/40 verschiedenen Hilfsarbeiten in Chemnitz, Rostock, Warnemünde und Berlin nach. – Nach seiner Rückkehr nach Chemnitz betätigte sich R. sich als „Eintänzer“. Mit Susanne Kloppe, die ihre Anstellung als Tänzerin am Chemnitzer Central-Theater aufgab, begab er sich über Wien in die Slowakei, wo er mit einem eigenen Programm auftrat. Laut den späteren Verhörprotokollen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) war er im Auftrag des Wehrmachtsgeheimdiensts „Abwehr“ unterwegs, um mögliche Gegner der deutschen Militärpräsenz in der Slowakei aufzuspüren. Im März 1941 kam er nach Dresden zurück und wurde zur Wehrmacht eingezogen. In der Folge wurde er an der Ostfront eingesetzt und dort mehrfach verwundet. 1944 begab er sich auf eine Dienstreise nach Italien, wobei der Zweck derselben nicht bekannt ist. Ebenfalls ungeklärt sind R.s Aktivitäten im Raum Chemnitz in den letzten Kriegswochen. Seine zusammenhangslos wirkenden Fahrten durch Mittelsachsen und nach Prag, alleine oder mit Kameraden, lassen zwei Deutungen zu: Entweder es handelte sich, wie R. nach dem Kriegsende behauptete, um Widerstand gegen das NS-Regime oder er war erneut, wie die Ermittler 1951 vermuteten, im Auftrag der „Abwehr“ oder des Sicherheitsdiensts der SS unterwegs, um fahnenflüchtige Soldaten aufzugreifen. Jedenfalls kam er dank eines SS-Ausweises, der nach R.s Angaben gefälscht war, unbehelligt durch Militärsperren, wurde aber auch selbst inhaftiert und, soweit nachvollziehbar, zum Tod verurteilt. Er rettete sich durch Flucht. – Anfang Mai 1945 gelang es R., von einem Kommandeur der vor Chemnitz stehenden US-Armee als Oberbürgermeister von Chemnitz eingesetzt zu werden. Am 9.5. hielt er in dieser Funktion seine erste Sitzung ab. Am 14.5., nur wenige Tage nach seiner Ernennung, wurde R. jedoch von der sowjetischen Besatzungsmacht seines Amts enthoben und mehrere Wochen lang inhaftiert. Ausschlaggebend scheint hierbei sein anmaßendes Verhalten gegenüber kommunistischen Heimkehrern aus dem Zuchthaus Waldheim gewesen zu sein, was in einem Schusswechsel mit mehreren Kommunisten, die R. im Chemnitzer Rathaus festnehmen wollten, mündete. – Noch im Sommer kam R. vermutlich durch Flucht frei und begab sich schließlich nach Wolmirstedt bei Magdeburg, wo er kurzzeitig als „Dr. Maien“ beim Landrat angestellt war. Doch auch hier fiel er v.a. durch Straftaten und einen ausschweifenden Lebensstil auf, sodass er schon bald entlassen wurde. Er ging 1945/46 über den britischen Sektor von Berlin aus in die amerikanische Zone, wo er in München mehrere Wochen wegen strafrechtlicher Vergehen inhaftiert war. Hier verschaffte er sich den Auftrag, die kriegsbedingt ausgelagerten bayerischen Kirchenglocken zurückzuholen und reiste in dieser Angelegenheit in den westlichen Besatzungszonen umher. R. arbeitete - laut seiner Aussage gegenüber dem MfS - in dieser Zeit unerkannt für den amerikanischen Militärgeheimdienst „Counterintelligence Corps“ (CIC) und besuchte zwischen Dezember 1946 und November 1947 auch die amerikanische „Spionageschule“ in Oberammergau, das „European Theater Intelligence School“, wo er eine nachrichtendienstliche Ausbildung erhielt. Seiner im Verhör getroffenen Aussage zufolge erhielt er 1950 den Auftrag, in die DDR einzureisen und dort die Automobilindustrie auszukundschaften. Hierfür legte sich R. eine Legende als Rennfahrer zu, was heißt, dass er erst an zwei oder drei Rennen in der BRD teilnahm, um sich dann beim Rennen am 27.8.1950 in Hohenstein-Ernstthal bei Chemnitz anzumelden. Hier erregte er mit einer spontanen Rede im Kreis der Fahrer für ein gewisses Aufsehen, bevor er wieder in den Westen zurückkehrte. – Wenige Wochen später reiste R. erneut in die DDR ein, nicht nur um an einem Rennen teilzunehmen: Im Westen verfolgt von Staatsanwälten, Geschädigten und Gläubigern, hatte R. allen Grund, in der DDR zu bleiben. Bei seinem zweiten - und letzten - Rennen in der DDR am 1.10.1950 in Dessau wurde er von Staatspräsident Wilhelm Pieck absprachegemäß begrüßt, woraufhin er überraschend und öffentlichkeitswirksam Asyl in der DDR beantragte. R. war als Rennfahrer zwar nicht erfolgreich, aber es gelang ihm, die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass er einen „Nationalrennwagen“ konstruieren könne, mit dem sich die ersehnten Erfolge im Motorsport einstellen würden. Man glaubte ihm, richtete ihm in Ost-Berlin eine Werkstatt ein, bis 1951 im westdeutschen Wochenmagazin „Der Spiegel“ ein Artikel erschien, in dem von R.s abenteuerlicher Fahrt durch die Bundesrepublik auf der Suche nach einem Geldgeber erzählt wurde. Diese hatte im Anschluss an die Rückkehr vom Rennen in Hohenstein-Ernstthal stattgefunden und war nur teilweise erfolgreich gewesen. Aufgrund dieses Artikels wurde R. am 1.3.1951 festgenommen und am 21.10.1952 u.a. wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. – Die Ermittlungen in der DDR gegen R. wurden von der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKK) unter Leitung ihres Chefs Fritz Lange geführt, doch auch das MfS verhörte R. nach dessen Verhaftung. Gegenüber dem MfS gab R. zu, mit dem Auftrag des CIC zur Ausspionierung der Autoindustrie in die DDR gekommen zu sein, doch das MfS behielt diese Information zurück und teilte offiziell mit, dass man R. für einen Kriminellen ohne Bezug zur Staatssicherheitsbelangen halte. Lange stand R. im Verdacht, ein Spion zu sein, konnte dies aber nicht beweisen. – R. war ein Hochstapler, der in einer instabilen politischen Lage zu kurzem „Ruhm“ fand und so einen Platz in der Geschichte von Chemnitz, des DDR-Motorsports und der Geschichte der Geheimdienste im Kalten Krieg erhält.

Quellen Bundesarchiv Berlin, Unterlagen der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKK), Ermittlungsakten zu Ernst R. (DC 1/1910; DC 1/1911; DC 1/1912; DC 1/1913; DC 1/1997; DC 1/1998; DC 1/418); Zentralarchiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (BStU) (MfS, AU, 203/52, 20 Bände); Stadtarchiv Chemnitz, Erwähnung (Antifa-Block, Signatur 65).

Literatur Wenn Sie was taugen, in: Der Spiegel 9/1951, S. 11-13; A. Seitz, Unser cooler Bürgermeister, in: Jungle World 18/2005; E. Hübsch, Beiträge zur Chemnitzer Militärgeschichte, Chemnitz 2009; B. Kirsch, Oberbürgermeister von Chemnitz, Rennfahrer - Spion! Die abenteuerliche Geschichte des Hochstaplers Ernst R., 2018.

Porträt Ernst Max R., um 1950/51, Fotografie, Bundesarchiv Berlin, BA-SAPMO, DC1, 1999 (Bildquelle).

Benno Kirsch
27.2.2019


Empfohlene Zitierweise:
Benno Kirsch, Artikel: Ernst Ring,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27798 [Zugriff 19.4.2024].

Ernst Ring



Quellen Bundesarchiv Berlin, Unterlagen der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle (ZKK), Ermittlungsakten zu Ernst R. (DC 1/1910; DC 1/1911; DC 1/1912; DC 1/1913; DC 1/1997; DC 1/1998; DC 1/418); Zentralarchiv des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (BStU) (MfS, AU, 203/52, 20 Bände); Stadtarchiv Chemnitz, Erwähnung (Antifa-Block, Signatur 65).

Literatur Wenn Sie was taugen, in: Der Spiegel 9/1951, S. 11-13; A. Seitz, Unser cooler Bürgermeister, in: Jungle World 18/2005; E. Hübsch, Beiträge zur Chemnitzer Militärgeschichte, Chemnitz 2009; B. Kirsch, Oberbürgermeister von Chemnitz, Rennfahrer - Spion! Die abenteuerliche Geschichte des Hochstaplers Ernst R., 2018.

Porträt Ernst Max R., um 1950/51, Fotografie, Bundesarchiv Berlin, BA-SAPMO, DC1, 1999 (Bildquelle).

Benno Kirsch
27.2.2019


Empfohlene Zitierweise:
Benno Kirsch, Artikel: Ernst Ring,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/27798 [Zugriff 19.4.2024].