Bernhard Pfannstiehl

Im ersten Lebensjahr an den Folgen von Scharlach erblindet, bekam P. seine erste musikalische Erziehung von seinem Großvater mütterlicherseits, der bis 1861 Kantor in Sulzfeld war. Die ungewöhnliche Auffassungsgabe, die sich später u.a. in der Erlernung von zehn Fremdsprachen niederschlagen sollte, führte 1867 zur Aufnahme des erst Fünfjährigen in die 1865 gegründete Blindenanstalt in Leipzig. Die hier erworbene musikalische und allgemeine Bildung befähigte ihn bald, als Pianist und Begleiter öffentlich aufzutreten. Er studierte als Hospitant am Leipziger Konservatorium und begann auf Anraten Franz Liszts mit dem Orgelspiel. 1877, als seine Mutter und die Schwester nach Leipzig zogen, betätigte sich P. in verschiedenen Leipziger Kirchen als Organist, später gab er im sächsischen und thüringischen Raum Orgelkonzerte. Obwohl er mehrere musikalische Staatspreise sowie das Stipendium des Mendelssohn-Preises erhalten hatte und ihm von verschiedenen Seiten eine große Begabung zugestanden wurde, fand er als (blinder) Künstler keine Anstellung. Erst 1896 erlangte P. in Leipzig eine feste Anstellung als Organist. Bis zu seinem Weggang nach Chemnitz 1903 konnte P. seine Konzertreisen auf weite Teile Deutschlands und das Ausland ausdehnen. Neben Johann Sebastian Bach, Liszt, Felix Mendelssohn und Robert Schumann spielte er Ur- und Erstaufführungen zeitgenössischer Komponisten, mit denen er zum Teil befreundet war oder einen regen Briefwechsel pflegte. Dazu gehörten Sigfrid Karg-Elert, Karl Piutti und Max Reger, die sich für den italienischen Orgelmeister Marco Enrico Bossi interessierten, dessen Werke P. in Deutschland bekannt machte. Hinzu kamen Alexandre Guilmant und Leon Boellmann, die sich für die „konzertante“ Orgelmusik besonders der französischen Schule engagierten. Außerdem begann er mit dem Studium und der Aufführung der alten Meister vor Bach. P. versuchte seine eigene Interpretation zu finden, in einer Zeit, als die romantische Klangvorstellung nicht mehr der Gesetzmäßigkeit der Orgel, sondern dem Klangideal des Orchesters entsprach. – 1912 wurde P. als Kreuzorganist nach Dresden berufen und 1913 zum Kirchenmusikdirektor ernannt. Sein Arbeitsfeld erstreckte sich über die Konzertreisen hinaus u.a. auch auf Fragen des Orgelbaus. Sein umfangreicher Briefwechsel, v.a. mit Albert Schweitzer, aber auch Versuche, Bach und die alten Meister nicht im Stil des 19. Jahrhunderts zu spielen, sowie seine lebhafte Neugierde haben P. bis in das hohe Alter kritisch und wach bleiben lassen. P. erhielt 1935 die Ehrenmitgliedschaft im Schwedischen Organisten- und Kantorenverein. Unterstützt wurde P. stets durch seine Ehefrau, die ihm bei zeitgenössischen Werken Note für Note diktierte, damit P. diese in Blindennotenschrift übertragen konnte.

Quellen Totenbuch der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Schmalkalden, 1871-1900, S. 87, Eintragsnummer 33/786; Handbuch der Kirchen-Statistik für das Königreich Sachsen, Dresden 201906, S. 55; Auskunft S. Kaletta (Enkelin von P.), Hamburg.

Literatur E. H. Müller, Drei Dresdner Jubilare, in: Zeitschrift für Musik 92/1925, S. 218f. (Bildquelle); H. J. Moser, Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland, Berlin 1954; ders., Blinde Musiker aus sieben Jahrhunderten, Hamburg 1956, S. 59f.; C. Albrecht, Interpretationsfragen, Berlin 1981; A. Schmerler, Ein Pionier für das neuzeitliche virtuose Orgelspiel, in: M. Herrmann, (Hg.), Die Dresdner Kirchenmusik im 19. und 20. Jahrhundert, Laaber 1998, S. 343-351; dies., Bernhard P. (1861-1940) und die Orgelmusik seiner Zeit, Magisterarbeit Dresden 1998 [MS]. – DBA II, III; DBE 7, S. 637; MGG 10, Sp. 364-381; RiemannL, Personenteil, S. 400.

Porträt P Bernhard P., Kopfbüste, Hamburg, Privatbesitz Familie Kaletta.

Siegfried Raschke
2.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Siegfried Raschke, Artikel: Bernhard Pfannstiehl,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18601 [Zugriff 20.12.2024].

Bernhard Pfannstiehl



Quellen Totenbuch der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Schmalkalden, 1871-1900, S. 87, Eintragsnummer 33/786; Handbuch der Kirchen-Statistik für das Königreich Sachsen, Dresden 201906, S. 55; Auskunft S. Kaletta (Enkelin von P.), Hamburg.

Literatur E. H. Müller, Drei Dresdner Jubilare, in: Zeitschrift für Musik 92/1925, S. 218f. (Bildquelle); H. J. Moser, Die evangelische Kirchenmusik in Deutschland, Berlin 1954; ders., Blinde Musiker aus sieben Jahrhunderten, Hamburg 1956, S. 59f.; C. Albrecht, Interpretationsfragen, Berlin 1981; A. Schmerler, Ein Pionier für das neuzeitliche virtuose Orgelspiel, in: M. Herrmann, (Hg.), Die Dresdner Kirchenmusik im 19. und 20. Jahrhundert, Laaber 1998, S. 343-351; dies., Bernhard P. (1861-1940) und die Orgelmusik seiner Zeit, Magisterarbeit Dresden 1998 [MS]. – DBA II, III; DBE 7, S. 637; MGG 10, Sp. 364-381; RiemannL, Personenteil, S. 400.

Porträt P Bernhard P., Kopfbüste, Hamburg, Privatbesitz Familie Kaletta.

Siegfried Raschke
2.5.2011


Empfohlene Zitierweise:
Siegfried Raschke, Artikel: Bernhard Pfannstiehl,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/18601 [Zugriff 20.12.2024].