Johanna Lankau
L. gehörte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu den wichtigen literarischen Stimmen Dresdens. Sie schrieb sowohl Romane und Erzählungen als auch Gedichte und Reisebeschreibungen. Außerdem veröffentlichte sie regelmäßig in zahlreichen überregionalen Zeitungen und trat auch als Übersetzerin aus dem Englischen hervor. – Nach ihrer schulischen Ausbildung besuchte L. das Lehrerinnenseminar, wo sie das II. Wahlfähigkeitsexamen ablegte, das zur staatlichen Anstellung berechtigte. Danach war sie als Erzieherin in einer adligen Familie tätig, mit der sie Deutschland, Österreich und Italien bereiste. Wahrscheinlich erwarb sie sich in dieser Zeit nicht nur umfangreiche Kenntnisse dieser Länder, sondern legte auch die Grundlage für ihre Sprachkenntnisse, denn sie kommunizierte fließend englisch, französisch, dänisch und italienisch. 1894 ließ sie sich wieder in Dresden nieder und widmete sich ganz ihrer schriftstellerischen Tätigkeit. – Ihr literarisches Werk ist durch die enge Verbindung mit der Natur und mit ihrer sächsischen Heimat geprägt, wobei ihr die unmittelbare Umgebung zum Spiegel wesentlicher gesellschaftlicher Fragen und Lebensthemen wurde. Dies lässt sich v.a. an ihrem erfolgreichsten Buch „Dresdner Spaziergänge“ von 1912 ablesen, das zu den wenigen bis heute erhaltenen Werken gehört. Die „Spaziergänge“ zeichnen sich durch einfache, ausdrucksstarke und lebendige Schilderungen aus, die sich aus einer genauen Beobachtungsgabe der Autorin speisen. Auffällig ist zudem, dass trotz des Titels der wichtigste Gegenstand der Darstellung nicht die Stadt, sondern die Natur ist: L. beschreibt die Dresdner Heide im Herbst und Frühling, zwei Kapitel widmet sie dem Großen Garten, in umfangreichen Passagen ist von der Elblandschaft von der Quelle im Riesengebirge bis in das ehemals sächsische
Mühlberg/Elbe sowie von der ländlichen Umgebung Dresdens die Rede. Diese Schilderungen verbindet sie in ihren „Dresdner Spaziergängen“ zusätzlich mit einem großen Wissensschatz in den Gebieten der Mineralogie, Botanik, Ornithologie und Geschichte. Nur einmal wendet L. sich ganz der Stadt zu, indem sie die Entwicklung der Prager Straße in Dresden in den Blick nimmt. Anhand dieses Kapitels lässt sich die verbreitete Überforderung vieler Zeitgenossen erahnen, die durch die industrielle Revolution binnen weniger Jahrzehnte rasante Veränderungen ihres Lebensumfelds erfahren haben. So fordert auch L. die Leser häufig dazu auf, die „laute, hektische Stadt“ zu verlassen. – In der Zeitschrift „Der Volksschullehrer“ erschien 1913 eine Betrachtung L.s unter dem Titel „Des lieben Gottes Stube“, in der sie auf eindringliche Weise die Verunzierung der Natur durch den Müll der Wanderer und Ausflügler thematisiert. 1917 veröffentlichte die Schriftstellerin eine umfangreiche Würdigung des Dresdner Stadtmuseums, in der ein weiteres Mal ihre Fähigkeit zur lebendigen und genauen Beschreibung sowie ihre enge Verbindung zur heimatlichen Geschichte zum Tragen kommt. Dieser Beitrag ist eines von vielen Beispielen der jahrelangen Publikationstätigkeit L.s im „Dresdner Anzeiger“. L. schrieb aber auch regelmäßig für überregionale Journale wie die „Fliegenden Blätter“, die „Deutsche Frauenzeitung“, Lina Morgensterns „Deutsche Hausfrauen-Zeitung“, die „Deutsche Romanzeitung“ sowie die „Dresdner Frauenzeitung“. 1902 veröffentlichte sie in
Halle/Saale ihre Übersetzung von Jerome Klapka Jeromes Erzählband „John Ingerfield“. Eine Gedichtsammlung von 1912, die unter dem Titel „Herz, wähle du“ in der Literatur genannt wird, ist nicht mehr nachweisbar und offenbar nicht erhalten geblieben. Die „Kriegsdichtungen aus dem Sachsenland“ aus der Zeit des Ersten Weltkriegs machen deutlich, dass L. im Geist der Zeit an einen guten und heldenhaften Kampf für Deutschlands Ehre und Sieg geglaubt und dafür geschrieben hat. Sie war in der Vorstellung gefangen, D. müsse sich gegen „böse Nachbarn“ verteidigen, doch zeugen die Texte auch von Sehnsucht nach Frieden, von der Trauer um verlorene Kindheit („Das Kriegskind“) und vom Schmerz um den gefallenen Liebsten („Die Braut“). 1921 erschien L.s letzter Roman „Peter Muchel. Geschichte einer Jugend“, der das Schicksal eines Bauernjungen aus dem Riesengebirge am Anfang des 20. Jahrhunderts nachzeichnet. Der Protagonist wächst in armen Verhältnissen heran. Er möchte weder Bauer werden noch studieren, aber es zieht ihn hinaus und so geht er nach
München, um eine Lehre als Buchhändler zu absolvieren. Nach Jahren in der Fremde erkennt er schließlich, wo sein Platz wirklich ist, nämlich als Bauer im heimatlichen Bergau. Mit der Motivik des Romans von Heimat versus Fremde, ländlich-natürlichem Leben versus Möglichkeiten der Stadt, Abenteuerlust versus echte Liebe bewegt sich L. in wichtigen zeitgenössischen Fragen und macht bei aller differenzierten Darstellung klar, wo für sie das wahre Leben liegt: in dem einfachen, leicht idealisiert gezeichneten Bergdorfkosmos. Damit rückt sie sowohl inhaltlich als auch sprachlich-stilistisch sehr nah an die Schweizer Schriftstellerin
Johanna Garbald-Gredig heran. Allerdings lässt sich bisher nicht nachweisen, dass sich die beiden Autorinnen gegenseitig wahrgenommen oder gar persönlich gekannt hätten. Der Roman kann als literarisches Vermächtnis L.s gelesen werden, denn sie starb 1921 nach langer, schwerer Krankheit. Es muss ihr bewusst gewesen sein, dass dies ihr letztes Buch sein würde. – L. blieb unverheiratet und kinderlos. Im Jubiläumsbericht der Staatlichen Höheren Mädchenschule Dresden von 1925 ist zu lesen, dass mit L. eine „vornehme, fein empfindende Frauen- und Künstlernatur“ verstorben sei. Dem „Getriebe des literarischen Marktes“ habe sie ferngestanden und stattdessen „ein Reich voll heimlicher Poesie“ um sich geschaffen.
Quellen Stadtarchiv Dresden, 2.1.3-C.XXI.20.150a Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1866, 2.1.3-C.XXI.20.151 Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1867, 2.1.3-C.XXI.20.153 Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1869, 2.1.3-C.XXI.20.155 Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1870, Standesamt/Urkundenstelle, Standesamt II, Personenstandsbuch, Sterberegister 1921, Nr. 1918 (ancestry.de).
Werke Jerome Klapka Jerome, John Ingerfield und andere Erzählungen, Halle/Saale 1902 (Übersetzung aus dem Englischen); Lust und Leid der Backfischzeit. Erzählungen. Mühlheim/Ruhr 1903; (Beitr.), Eva auf Reisen und andere Erzählungen für junge Mädchen, Mülheim a. d. Ruhr 1904; Dresdner Spaziergänge, Dresden 1912; Des lieben Gottes Stube, in: Der Volksschullehrer. Organ für die Interessen der deutschen Volksschule 7/1913, Nr. 39, S. 625f.; Kriegsdichtungen aus dem Sachsenlande 1914/1917, Heft 34, Dresden 1917; Unser Stadtmuseum, in: Dresdner Anzeiger 24.2.1917; Peter Muchel. Geschichte einer Jugend, Dresden 1921; Rübezahls Patenkind. Weihnachtsmärchenspiele, Dresden 1925.
Literatur J. M. L. gest., in: Bericht über die Staatliche Höhere Mädchenbildungsanstalt Dresden Johannstadt 5/1925: Zur 50-Jahrfeier der Schule 1925, S. 27f.; Uta Hauthal, Elbelieder, 2021. – DBA I, II; Sophie Pataky (Hg.), Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme, Bd. 1, Berlin 1898, S. 478; Elisabeth Friedrichs, Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon, Stuttgart 1981, S. 149; Manfred Altner, Sächsische Lebensbilder. Literarische Streifzüge durch die Lößnitz, die Lausitz, Leipzig und Dresden, Radebeul 2001, S. 108 (P).
Uta Hauthal
13.6.2022
Empfohlene Zitierweise:
Uta Hauthal, Artikel: Johanna Lankau,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17919 [Zugriff 19.11.2024].
Johanna Lankau
Quellen Stadtarchiv Dresden, 2.1.3-C.XXI.20.150a Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1866, 2.1.3-C.XXI.20.151 Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1867, 2.1.3-C.XXI.20.153 Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1869, 2.1.3-C.XXI.20.155 Kirchliche Wochenzettel. Trauungen, Taufanzeigen u. Sterbefälle 1870, Standesamt/Urkundenstelle, Standesamt II, Personenstandsbuch, Sterberegister 1921, Nr. 1918 (ancestry.de).
Werke Jerome Klapka Jerome, John Ingerfield und andere Erzählungen, Halle/Saale 1902 (Übersetzung aus dem Englischen); Lust und Leid der Backfischzeit. Erzählungen. Mühlheim/Ruhr 1903; (Beitr.), Eva auf Reisen und andere Erzählungen für junge Mädchen, Mülheim a. d. Ruhr 1904; Dresdner Spaziergänge, Dresden 1912; Des lieben Gottes Stube, in: Der Volksschullehrer. Organ für die Interessen der deutschen Volksschule 7/1913, Nr. 39, S. 625f.; Kriegsdichtungen aus dem Sachsenlande 1914/1917, Heft 34, Dresden 1917; Unser Stadtmuseum, in: Dresdner Anzeiger 24.2.1917; Peter Muchel. Geschichte einer Jugend, Dresden 1921; Rübezahls Patenkind. Weihnachtsmärchenspiele, Dresden 1925.
Literatur J. M. L. gest., in: Bericht über die Staatliche Höhere Mädchenbildungsanstalt Dresden Johannstadt 5/1925: Zur 50-Jahrfeier der Schule 1925, S. 27f.; Uta Hauthal, Elbelieder, 2021. – DBA I, II; Sophie Pataky (Hg.), Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme, Bd. 1, Berlin 1898, S. 478; Elisabeth Friedrichs, Die deutschsprachigen Schriftstellerinnen des 18. und 19. Jahrhunderts. Ein Lexikon, Stuttgart 1981, S. 149; Manfred Altner, Sächsische Lebensbilder. Literarische Streifzüge durch die Lößnitz, die Lausitz, Leipzig und Dresden, Radebeul 2001, S. 108 (P).
Uta Hauthal
13.6.2022
Empfohlene Zitierweise:
Uta Hauthal, Artikel: Johanna Lankau,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/17919 [Zugriff 19.11.2024].