Martin Heydrich

Über zwei Jahrzehnte, 1919 bis 1940, war Heydrich als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bzw. später als Kustos an den Museen für Tierkunde und Völkerkunde in Dresden und zugleich als Honorarprofessor an der dortigen Technischen Hochschule (TH) tätig. Danach wirkte er von 1940 bis 1958, mit einer dreijährigen Unterbrechung nach dem Zweiten Weltkrieg, als Ordinarius für Völkerkunde an der Universität Köln und als Direktor des dortigen Rautenstrauch-Joest-Museums. Hervorzuheben ist sein Engagement für die Völkerkundemuseen innerhalb der 1929 von ihm mitbegründeten „Gesellschaft für Völkerkunde“, zu deren Vorsitzendem er 1949 gewählt wurde. – Nach dem Umzug seiner Familie nach Krögis bei Meißen erwarb Heydrich seine humanistische Bildung ab 1904 am Gymnasium Albertinum in Freiberg, wo er 1910 das Reifezeugnis erhielt. Nach dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger studierte Heydrich jeweils nur kurz an den Universitäten in Freiburg/Breisgau, Dresden und München Völkerkunde, Geografie, Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie. Im Herbst 1912 wechselte er an die Universität in Leipzig, wo er, nach einem Studienaufenthalt in Edinburgh (Schottland), im Dezember 1914 bei Karl Weule mit einer Arbeit über „Afrikanische Ornamentik. Beiträge zur Forschung der primitiven Ornamentik und Geschichte der Forschung“ promoviert wurde. Im Ersten Weltkrieg diente er bei der Infanterie an der Westfront, später in einer Fliegerabteilung an der Mesopotamien-Front im heutigen Irak, zuletzt war er stellvertretender Kommandeur einer Fliegerschule. – Nach dem Krieg legte Heydrich 1919 noch das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab, begann aber im April des Jahres seine Museumslaufbahn als Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter unter Direktor Arnold Jacobi an den Museen für Tierkunde und Völkerkunde in Dresden. Ab 1924 arbeitete er zusätzlich als Herausgeber des „Ethnologischen Anzeigers“, dessen Schriftleitung er 1928 übernahm. Mit der Ernennung zum Kustos im April 1925 oblag Heydrich die wissenschaftliche Betreuung der völkerkundlichen Museumsbestände. Er überarbeitete die Präsentation der Schausammlung und reiste mehrfach zum Sammeln von Objekten u.a. ins Baskenland, nach Dalmatien, Italien und Nordafrika. Heydrich beschäftigte sich insbesondere in der NS-Zeit intensiv mit kolonialpolitischen und wirtschaftlichen Fragen und kuratierte 1939 den völkerkundlichen Teil der „Deutschen Kolonialausstellung“. Nachdem er mehrfach vertretungsweise für Jacobi Vorlesungen an der TH übernommen hatte, wurde Heydrich 1939 zum Honorarprofessor ernannt. Auch an der Volksbildungsstätte und für das Rassenpolitische Amt der NSDAP in Dresden hielt er Vorträge. In die NSDAP war er im Mai 1933 eingetreten, auch der SA gehörte er kurzzeitig an. Im Oktober 1939 wurde er zum Kommissarischen Leiter des Museums für Tierkunde und Völkerkunde ernannt. Kurz darauf, im Juli 1940, verließ Heydrich Dresden und übernahm an der Universität in Köln das Ordinariat für Völkerkunde, das im Nebenamt mit dem Posten des Direktors des Rautenstrauch-Joest-Museums verbunden war. Unter Anerkennung seiner Publikation „Koreanische Landwirtschaft“ als Habilitation wurde Heydrich im September 1940 zum ordentlichen Professor ernannt. – Seine Tätigkeit in Köln begann Heydrich mit dem Tausch der vorgeschichtlichen Sammlung des Museums gegen die ethnografische Sammlung des Museums in Wuppertal. Am Kunstraub der Nationalsozialisten beteiligte sich Heydrich, indem er einen Teil der Ethnografischen Sammlung des Museums in Litzmannstadt (poln. Łódź) ankaufte und durch die Gestapo beschlagnahmte Ethnografica aus Bonn übernahm. Seine Verbindungen zum Dresdner Museum nutzte er, um kriegsbedingt Objekte der Kölner Sammlung nach Sachsen auszulagern. Da Heydrich vom Luftangriff auf Köln 1944 beruflich wie privat betroffen war, folgte er der Universität Köln an ihren Interimsstandort nach Marburg und setzte seine Lehrtätigkeit dort fort. Nach Kriegsende war Heydrich zunächst arbeitslos, denn obwohl er sich aktiv bemühte, seine Haltung während der NS-Zeit als oppositionell darzustellen, verlief seine „Entnazifizierung“ schleppend. Erst 1947 wurde er an der Kölner Universität für Aufräumarbeiten eingesetzt. Die Beurteilung als „Mitläufer“ hat Heydrich erfolgreich juristisch angefochten. Danach als „unbelastet“ eingestuft, konnte er ab September 1948 wieder als Direktor des Rautenstrauch-Joest-Museums, ab Juni 1949 bis zu seiner Emeritierung 1958 auch als Ordinarius für Ethnologie an der Universität Köln tätig sein.

Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv, 01/PS 53, Bd. 3; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 13842 Staatliches Museum für Tierkunde Dresden, Nr. 048, Nr. 114, Bd. 2, Nr. 115; Bundesarchiv Berlin, Deutsche Forschungsgemeinschaft R 73/10300, R 73/16162, Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 4901/24789, R 9361-IX/Kartei/15501777, R 9361-VIII/Kartei/10860769; Find a Grave, Gedenkseite für Martin Heydrich.

Werke Afrikanische Ornamentik. Beiträge zur Forschung der primitiven Ornamentik und Geschichte der Forschung, Leiden 1914; Völkerkundliche Theorien und ihre museale Auswertung, in: Bericht über die allgemeine Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie in Halle 1925, S. 52-54; Koreanische Landwirtschaft. Beiträge zur Völkerkunde von Korea, Leipzig 1931; Museumsfragen. Abgrenzungen und Gestaltung der Völkerkundemuseen, in: Tagungsberichte der 2. Tagung 1936 in Leipzig, hrsg. von der Gesellschaft für Völkerkunde, Leipzig 1937, S. 181-190; Stand und Aufgaben der afrikanischen Kunstforschung, in: Koloniale Völkerkunde. Koloniale Sprachforschung. Koloniale Rassenforschung. Berichte über die Arbeitstagung im Januar 1943 in Leipzig, Berlin 1943, S. 33-44.

Literatur Lothar Pützstück, „Symphonie in Moll“. Julius Lips und die Kölner Völkerkunde, Pfaffenweiler 1995; Leo Haupts, Die Universität zu Köln im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik, Köln/Weimar/Wien 2007; Ingrid Kreide-Damani, Julius Lips, Martin Heydrich und die (Deutsche) Gesellschaft für Völkerkunde, in: dies. (Hg.), Ethnologie im Nationalsozialismus. Julius Lips und die Geschichte der „Völkerkunde“, Wiesbaden 2010, S. 23-284; Ursula Wessel, Martin Heydrich. Sein Leben und Wirken, 2012 (P); Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 342-344 (P). – DBA II.

Porträt Martin Heydrich, um 1939, Passfoto, NSDAP-Mitgliedskarte, Bundesarchiv Berlin, R 9361-VIII/Kartei/10860769 (Bildquelle).

Karin Müller-Kelwing
23.3.2023


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Martin Heydrich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29195 [Zugriff 20.12.2024].

Martin Heydrich



Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Archiv, 01/PS 53, Bd. 3; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 13842 Staatliches Museum für Tierkunde Dresden, Nr. 048, Nr. 114, Bd. 2, Nr. 115; Bundesarchiv Berlin, Deutsche Forschungsgemeinschaft R 73/10300, R 73/16162, Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung R 4901/24789, R 9361-IX/Kartei/15501777, R 9361-VIII/Kartei/10860769; Find a Grave, Gedenkseite für Martin Heydrich.

Werke Afrikanische Ornamentik. Beiträge zur Forschung der primitiven Ornamentik und Geschichte der Forschung, Leiden 1914; Völkerkundliche Theorien und ihre museale Auswertung, in: Bericht über die allgemeine Versammlung der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie in Halle 1925, S. 52-54; Koreanische Landwirtschaft. Beiträge zur Völkerkunde von Korea, Leipzig 1931; Museumsfragen. Abgrenzungen und Gestaltung der Völkerkundemuseen, in: Tagungsberichte der 2. Tagung 1936 in Leipzig, hrsg. von der Gesellschaft für Völkerkunde, Leipzig 1937, S. 181-190; Stand und Aufgaben der afrikanischen Kunstforschung, in: Koloniale Völkerkunde. Koloniale Sprachforschung. Koloniale Rassenforschung. Berichte über die Arbeitstagung im Januar 1943 in Leipzig, Berlin 1943, S. 33-44.

Literatur Lothar Pützstück, „Symphonie in Moll“. Julius Lips und die Kölner Völkerkunde, Pfaffenweiler 1995; Leo Haupts, Die Universität zu Köln im Übergang vom Nationalsozialismus zur Bundesrepublik, Köln/Weimar/Wien 2007; Ingrid Kreide-Damani, Julius Lips, Martin Heydrich und die (Deutsche) Gesellschaft für Völkerkunde, in: dies. (Hg.), Ethnologie im Nationalsozialismus. Julius Lips und die Geschichte der „Völkerkunde“, Wiesbaden 2010, S. 23-284; Ursula Wessel, Martin Heydrich. Sein Leben und Wirken, 2012 (P); Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Köln/Weimar/Wien 2020, S. 342-344 (P). – DBA II.

Porträt Martin Heydrich, um 1939, Passfoto, NSDAP-Mitgliedskarte, Bundesarchiv Berlin, R 9361-VIII/Kartei/10860769 (Bildquelle).

Karin Müller-Kelwing
23.3.2023


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Martin Heydrich,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29195 [Zugriff 20.12.2024].