Otto Heubner
H., der Vater der ersten Schule der Pädiatrie, war von der Notwendigkeit überzeugt, die Kinderheilkunde als gleichwertiges und selbstständiges Fachgebiet zu etablieren. H.s Überlegungen gingen von dem zu behandelnden Kind aus, dessen Organismus durch Wachstum geprägt ist und darüber hinaus spezifische Krankheitsbilder kennt. Diese heute selbstverständlich erscheinende Auffassung hatte sich im ausgehenden 19. Jahrhundert jedoch noch nicht durchgesetzt. Kranke Kinder wurden damals meist von Internisten oder Chirurgen mit behandelt. So verwundert es nicht, dass die Kinderheilkunde auf ihrem Weg von einer geduldeten zu einer anerkannten Disziplin auf interdisziplinäre Erfahrungen zurückgreifen musste. – Nach dem Studium der Medizin an der Universität Leipzig und Studienaufenthalten in Prag und Wien sammelte H. 1866 bis 1871 als Assistent bei Carl Reinhold August Wunderlich am Jakobshospital erste Erfahrungen in der Inneren Medizin. 1867 promovierte H. über ein Thema, das seine praktischen Erfahrungen während der in Leipzig ausgebrochenen Choleraepidemie aufgriff. 1868 folgte die Habilitation für Innere Medizin. 1873 erhielt H. die Berufung zum außerordentlichen Professor für Innere Medizin an der Universität Leipzig. – Nachdem ihm die Arbeit in der Distriktspoliklinik, deren Leiter er neben seinen Dienstverpflichtungen an der Medizinischen Fakultät 1876 bis 1891 war, zusätzliche Gelegenheit zur Behandlung kranker Kinder geboten hatte, wurde er 1880 zum außerordentlichen Professor für Kinderheilkunde an der Universität Leipzig berufen. In dieser Stellung zielten seine Aktivitäten zunächst auf die Etablierung des Fachs an der Universität. So bemühte er sich beim Dekan der Medizinischen Fakultät um Erteilung eines Lehrauftrags für Pädiatrie und die Unterstützung für den Neubau einer Kinderklinik und -poliklinik. Um dem Nachdruck zu verleihen, machte H. sein Verbleiben an der Universität davon abhängig. Nach der Befürwortung durch die Fakultät gründete sich auf H.s Betreiben 1888 ein „Verein zur Errichtung und Erhaltung eines Kinderkrankenhauses“, der in kurzer Zeit einen Baufonds von über 300.000 Mark zusammenbrachte. Die Stadt Leipzig stellte daraufhin einen ca. 9.000 m² großen Bauplatz im Vorort Reudnitz zur Verfügung. Die Baupläne wurden durch den Stadtbaumeister Arwed Roßbach erarbeitet. Der Neubau der Kinderklinik als Städtisches Kinderkrankenhaus und Universitätsklinik konnte 1891 unter dem Direktorat H.s mit zunächst 132 Betten eröffnet werden. Das erste große öffentliche Kinderkrankenhaus Deutschlands stand damit in Leipzig und ermöglichte es, die Behandlung kranker Kinder jeden Alters mit der wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsarbeit an der Universität zu verbinden. Von Leipzig gingen in der Folgezeit große Impulse für die sich auch an anderen Universitäten entwickelnde Kinderheilkunde aus. H. führte beispielsweise das Behringsche Diphtherieserum ein. – 1894 wurde H. an die Berliner Universität berufen und bekam dort das erste Ordinariat für Kinderheilkunde an einer deutschen Universität zugesprochen. Bis zu seiner Emeritierung 1913 wirkte er als ordentlicher Professor und Direktor der Kinderklinik an der Charité. In Leipzig erfolgte die Einrichtung einer ordentlichen Professur für Pädiatrie erst 1919 unter Martin Thiemich. – Durch die Einführung der Stäbchenperkussion und das Studium der Hirnsyphilis erwarb sich H. auf dem Gebiet der Inneren Medizin bleibende Verdienste. Innerhalb der Kinderheilkunde galt sein Interesse den Infektionskrankheiten, insbesondere der Diphtherie, der Säuglingsernährung sowie den Krankheiten des Magen-Darm-Kanals des Kleinkinds. H. blieb zeitlebens der Tradition der praktischen Medizin verpflichtet. Für ihn stand die Beobachtung der Kranken und nicht die abstrakte Besprechung von Krankheiten im Mittelpunkt ärztlichen Handelns. H. war zudem berufspolitisch engagiert und lenkte auf wissenschaftlichen Tagungen - beispielsweise auf dem internationalen Kongress für Säuglingsschutz 1911 - die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der Kinderheilkunde als Spezialgebiet und Unterrichtsfach an den Universitäten. – Besondere Erwähnung unter H.s zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen und monografischen Arbeiten verdient sein „Lehrbuch der Kinderheilkunde“, in dem er seine langjährige pädiatrische Erfahrung niederlegte und das Jahrzehnte das Standardwerk der Kinderheilkunde blieb.
Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Personalakten.
Werke Die luetischen Erkrankungen der Hirnarterien, Leipzig 1874; Die experimentelle Diphtherie, Leipzig, 1883; Behandlung der Diphtherie mit Behringschem Heilserum, Leipzig 1895; Säuglingsernährung und Säuglingsspitäler, Berlin 1897; Chronische Nephritis und Albuminurie im Kindesalter, Leipzig 1897; Über Gedeihen und Schwinden im Säuglingsalter, Leipzig 1898; Lehrbuch der Kinderheilkunde, 2 Bde., Leipzig 1903-1906, 31911; Selbstbiographie, in: Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 4, Leipzig 1925, S. 26-32; Otto H.s Lebenschronik, hrsg. von W. Heubner, Berlin 1927.
Literatur A. Peiper, Otto H. (1843-1926) und die Kinderheilkunde seiner Zeit, in: Deutsches Gesundheitswesen 20/1965, S. 2281-2288; K. Engelhardt, H., Otto - Dr. med, in: Berühmte Vogtländer, hrsg. vom Verein für vogtländische Geschichte, Volks- und Landeskunde e.V., Bd. 2, Plauen 1999, S. 48 (P). – DBA I, II, III; NDB 9, S. 38f.; Sächsische Lebensbilder, Bd. 1, Leipzig 1930, S. 151-159 (P, Bildquelle).
Porträt Schwarzwächter, Foto, Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften Leipzig, Porträtsammlung.
Cornelia Becker
2.5.2005
Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Becker, Artikel: Otto Heubner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10166 [Zugriff 19.11.2024].
Otto Heubner
Quellen Universitätsarchiv Leipzig, Personalakten.
Werke Die luetischen Erkrankungen der Hirnarterien, Leipzig 1874; Die experimentelle Diphtherie, Leipzig, 1883; Behandlung der Diphtherie mit Behringschem Heilserum, Leipzig 1895; Säuglingsernährung und Säuglingsspitäler, Berlin 1897; Chronische Nephritis und Albuminurie im Kindesalter, Leipzig 1897; Über Gedeihen und Schwinden im Säuglingsalter, Leipzig 1898; Lehrbuch der Kinderheilkunde, 2 Bde., Leipzig 1903-1906, 31911; Selbstbiographie, in: Die Medizin der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Bd. 4, Leipzig 1925, S. 26-32; Otto H.s Lebenschronik, hrsg. von W. Heubner, Berlin 1927.
Literatur A. Peiper, Otto H. (1843-1926) und die Kinderheilkunde seiner Zeit, in: Deutsches Gesundheitswesen 20/1965, S. 2281-2288; K. Engelhardt, H., Otto - Dr. med, in: Berühmte Vogtländer, hrsg. vom Verein für vogtländische Geschichte, Volks- und Landeskunde e.V., Bd. 2, Plauen 1999, S. 48 (P). – DBA I, II, III; NDB 9, S. 38f.; Sächsische Lebensbilder, Bd. 1, Leipzig 1930, S. 151-159 (P, Bildquelle).
Porträt Schwarzwächter, Foto, Karl-Sudhoff-Institut für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften Leipzig, Porträtsammlung.
Cornelia Becker
2.5.2005
Empfohlene Zitierweise:
Cornelia Becker, Artikel: Otto Heubner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10166 [Zugriff 19.11.2024].