Guiseppe Galli-Bibiena
Mit prächtigen Architekturen und kühnen szenischen Entwürfen avancierte G. während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den europäischen Theaterkreisen zum Meister der Perspektive. Besonders die Entwicklung der Kulissenbühne, die mit rein malerischen Mitteln den wachsenden Anforderungen an das zeitgenössische Bühnensystem gerecht wurde, erhielt durch G., einem bedeutenden Vertreter dieses Metiers in der Zeit des Spätbarock und Rokoko, wesentliche Impulse. – Als Mitglied einer der bedeutendsten Künstlerfamilien des 17. und 18. Jahrhunderts absolvierte G. seine Lehrjahre in der Schule des Vaters
Ferdinando, dem Begründer der Winkelperspektive in der Bühnenraumgestaltung. Im Alter von zwölf Jahren begleitete er seinen Vater, der nach 30-jähriger Tätigkeit als Hofkünstler der Farnese in Parma und Piacenza 1708 als Architekt und Bühnenbildner nach Barcelona berufen wurde, zunächst nach Spanien und im Anschluss an die Kaiserkrönung von
Karl VI. 1712 nach Wien. In der Zeit, als der Vater das bühnenbildnerische Verfahren der Winkelperspektive auf den hiesigen Bühnen einführte und damit die Begrenztheit der allgemein üblichen zentralperspektivischen Gestaltungs- und Darstellungsweise erwies, legte G. das fachliche und schöpferische Fundament für sein zukünftiges Wirken, das im Wesentlichen als eine Weiterentwicklung der väterlichen Innovationen zu werten ist. Als sich sein Vater 1717 wegen eines Augenleidens aus der Praxis des Theaterbetriebs zurückzog, um an der Academia Clementina in Bologna zu dozieren, vertrat ihn der erst 20-Jährige in seinem Amt. Von Wien aus folgte G. Rufen nach München, Breslau (poln. Wrocław), Linz (Österreich) und nicht zuletzt nach Prag, wo er auf dem Hradschin ein offenes Gartentheater für 8.000 Personen konstruierte. 1723 konnte er dort in dem anlässlich der Krönung Kaiser Karls VI. zum König von Böhmen aufgeführten Stück „Costanza e fortezza“ von
Pietro Pariati und der Musik von
Johann Joseph Fux seine bühnenarchitektonischen und -technischen Fertigkeiten unter Beweis stellen. 1747 führten ihn die Festlichkeiten zur Doppelhochzeit von Maria Antonia Walburga von Bayern mit dem Kurprinzen Friedrich Christian von Sachsen und Maria Anna von Sachsen mit dem Kurfürsten
Maximilian III. Joseph von Bayern nach Dresden. Ehe sich der nunmehr renommierte Bühnenkünstler 1748 in der sächsischen Residenzstadt niederließ und Johann Baptist Grone im Amt des Theaterarchitekten und -dekorateurs der höfischen Oper ablöste, gestaltete er zusammen mit seinem Sohn
Carlo in Bayreuth das kleine Hoftheater im Rokoko-Stil aus und war im Dienst des sächsisch-polnischen Königs August III. (Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen) vermutlich an der Planung und Ausstattung des zweiten Opernhauses in Warschau beteiligt. In Dresden widmete sich G. der Rekonstruktion des von den Brüdern
Alessandro und
Gerolamo Mauro und Matthäus Daniel Pöppelmann entworfenen Opernhauses am Zwinger, das bereits 1738 von dem Architekten
Andrea Zucchi erweitert worden war. Auf dem alten Grundriss errichtete er einen viergeschossigen Logeneinbau, zudem umfasste er das Parterre von vier amphitheatralischen Sitzreihen, die bis unterhalb des ersten Rangs reichten. Schließlich baute er das Proszenium mit sechs Logen (darunter auch Trompeterlogen) zur Verbindungszone von Bühne und Zuschauerraum aus und vergrößerte die Hofloge deutlich. Die Bühne wiederum stattete er mit einer stehenden Triebachse für die Kulissenmaschinerie aus und erweiterte die Tiefe erheblich. Dafür wurde der Rundhorizont aufgegeben. Am 12.1.1750 wurde das Opernhaus am Zwinger mit einer imposanten Aufführung von Johann Adolf Hasses und
Pietro Metastasios „Attilio Regolo“ wiedereröffnet. Das monumentale Bühnenbild war maßgeblich am Erfolg der Oper beteiligt. G.s bühnenkünstlerische Fertigkeiten überzeugten in den folgenden Jahren in zahlreichen Dresdner Opernaufführungen. Neben der transparent-feingliedrigen Akzentsetzung zeichneten sich seine Bühnenräume v.a. dadurch aus, dass sie aufgrund der asymmetrischen Übereckstellung keine Beziehung zur Blickrichtung des Betrachters mehr herstellten und stattdessen Einblicke in polygonale Raumsysteme gewährten. 1753, als G. in prachtvollem Stil das Bühnenbild für Hasses „Solimano“ entwarf, modifizierte er ein letztes Mal die Dekoration des Opernhauses, die eine glanzvolle Nuancierung höfischen Rokoko-Zaubers erfuhr. Nachdem August III. G. bereits 1751 und ein weiteres Mal 1752 als Bühnengestalter an den Hof
Friedrichs II. von Preußen entsandt hatte, siedelte dieser 1754 endgültig nach Berlin über, wo er in enger Zusammenarbeit mit dem Librettisten
Giampietro Tagliazucchi und dem Komponisten
Carl Heinrich Graun am Berliner Opernhaus bis zu seinem Tod wirkte.
Werke Architetture e Prospettive dedicate alla Maestà di Carlo VI imperatore de’ Romani da Giuseppe Galli Bibiena suo primo ingegnere teatrale ed architetto inventore delle medesime, Augsburg 1740.
Literatur H. R. Prölß, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, Dresden 1878; M. Hammitzsch, Der moderne Theaterbau, Berlin 1906; G. Schöne, Die Entwicklung der Perspektivbühne von Serlio bis Galli-Bibiena, Leipzig 1933; H. Tintelnot, Barocktheater und Barocke Kunst, Berlin 1939; A. H. Mayor, The Bibiena Family, New York 1945; D. Lenzi/J. Bentini, I Bibiena. Una famiglia europea, Venedig 2001. – AKL, Bd. 10, München/Leipzig 2000, S. 480f.; DBA I, II, III; DBE 3, S. 564; NDB 6, S. 49f.; Thieme/Becker, Bd. 3, Leipzig 1999, S. 602-604.
Katy Schlegel
16.8.2011
Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Guiseppe Galli-Bibiena,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22198 [Zugriff 20.12.2024].
Guiseppe Galli-Bibiena
Werke Architetture e Prospettive dedicate alla Maestà di Carlo VI imperatore de’ Romani da Giuseppe Galli Bibiena suo primo ingegnere teatrale ed architetto inventore delle medesime, Augsburg 1740.
Literatur H. R. Prölß, Geschichte des Hoftheaters zu Dresden, Dresden 1878; M. Hammitzsch, Der moderne Theaterbau, Berlin 1906; G. Schöne, Die Entwicklung der Perspektivbühne von Serlio bis Galli-Bibiena, Leipzig 1933; H. Tintelnot, Barocktheater und Barocke Kunst, Berlin 1939; A. H. Mayor, The Bibiena Family, New York 1945; D. Lenzi/J. Bentini, I Bibiena. Una famiglia europea, Venedig 2001. – AKL, Bd. 10, München/Leipzig 2000, S. 480f.; DBA I, II, III; DBE 3, S. 564; NDB 6, S. 49f.; Thieme/Becker, Bd. 3, Leipzig 1999, S. 602-604.
Katy Schlegel
16.8.2011
Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Guiseppe Galli-Bibiena,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22198 [Zugriff 20.12.2024].