Heinrich Marr

Obgleich M. als der letzte Repräsentant des konservativen Theaters und der alten Schule Friedrich Ludwig Schröders angesehen werden kann, war er eine Ausnahme unter den Regisseuren seiner Zeit: Als er 1844 die künstlerische Leitung des Leipziger Stadttheaters übernahm, gab es außer ihm und Eduard Devrient, der zur selben Zeit in Dresden Regie führte, an keiner deutschen Bühne einen dem modernen Spielleiter vergleichbaren Regisseur. Insofern nimmt er in der theatergeschichtlichen Entwicklung, die von der Romantik eines August Klingemann zum Naturalismus der Meininger führte, eine wichtige Mittlerstellung ein. – Im Alter von 17 Jahren begann M. 1815 seine Theaterlaufbahn an der Bühne Friedrich Ludwig Schröders in Hamburg. Seine schauspielerische Ausbildung und künstlerische Weiterentwicklung verdankte er Friedrich Ludwig Schmidt, der als Nachfolger Schröders zusammen mit Jakob Herzfeld die Hamburger Bühne leitete. Auf die Hamburger Lehrjahre folgten Engagements an verschiedenen Bühnen. Zwischen 1816 und 1830 war M. als Schauspieler in Lübeck, Braunschweig, Kassel, Magdeburg, Hannover und wieder Braunschweig tätig. Nach dem Tod Klingemanns 1831 wurde der erst 33-Jährige Regisseur am Braunschweiger Hoftheater. Um seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Regieführung zu vertiefen, nahm er 1838 ein Engagement als Schauspieler und Regisseur am Wiener Burgtheater an. Obgleich die sechs Jahre in Wien auf der Ebene des schauspielerischen Schaffens prägend waren, konnte sich M. in der Regieführung nicht weiterentwickeln. Die gewünschte kreative Freiheit wurde ihm in Leipzig geboten, wo er im August 1844 die künstlerische Leitung des Stadttheaters übernahm. M.s Konzeption der Bildregie war ebenso vom Streben nach Echtheit und historischer Treue wie von der Forderung nach größtmöglicher emotionaler Wirkung bestimmt. Sein Theaterverständnis, demzufolge Bühnendekorationen, Ausstattungen und Kostüme die darzustellenden Dichtungen auf adäquate Weise zu vermitteln hatten, stieß auf die erforderliche Zustimmung des seinerzeit amtierenden Direktors Carl Christian Schmidt, sodass ihm die erforderlichen finanziellen Mittel für seine Inszenierungen stets bewilligt wurden. Dennoch waren M.s Regieerfolge nicht allein auf den üppigen Charakter der Aufführungen zurückzuführen. Ausschlaggebend war vielmehr, dass er, entgegen der traditionellen Konvention der Fachbesetzung, Rollen ausschließlich mit Rücksicht auf Können und schauspielerische Individualität vergab. Darüber hinaus schloss er, den Theaterzuständen und -verhält¬nissen seiner Zeit entsprechend, die erzieherische Arbeit am Schauspieler in sein Aufgabengebiet ein und erzielte als strenger, schonungsloser und dennoch geschätzter Lehrer eine hohe künstlerische Moral innerhalb des Ensembles. Unter den Schauspielkräften war M. in Leipzig der prominenteste Darsteller: Als erster Charakterspieler gab er bürgerliche Charakterrollen, vornehmlich alte Herren und klassische Figuren. Die enge Zusammenarbeit mit den Dramaturgen Heinrich Laube und Gustav Freytag trug dazu bei, dass er sich, neben seiner praktischen Tätigkeit als Regisseur und Schauspieler, auch mit dramaturgischen Aufgaben beschäftigte. Von 1848 an wirkte M. am Thaliatheater in Hamburg und folgte 1852 einem Ruf als künstlerischer Direktor an das Hoftheater nach Weimar. Infolge eines Zerwürfnisses mit dem Hof kehrte er 1857 an das Thaliatheater in Hamburg zurück.

Quellen Stadtarchiv Leipzig, Acta XXIV A 22.

Literatur F. Wehl, Zeit und Menschen, 2 Bde., Altona 1889; M. Martersteig, Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert, Leipzig 1904; F. Eckhard, Das Leipziger Stadttheater unter Carl Christian Schmidt und Heinrich M., Berlin 1959, S. 25-46. – ADB 20, S. 417-420; DBA I, II, III; NDB 16, S. 247, 444f.

Katy Schlegel
26.9.2005


Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Heinrich Marr,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22757 [Zugriff 19.4.2024].

Heinrich Marr



Quellen Stadtarchiv Leipzig, Acta XXIV A 22.

Literatur F. Wehl, Zeit und Menschen, 2 Bde., Altona 1889; M. Martersteig, Das deutsche Theater im 19. Jahrhundert, Leipzig 1904; F. Eckhard, Das Leipziger Stadttheater unter Carl Christian Schmidt und Heinrich M., Berlin 1959, S. 25-46. – ADB 20, S. 417-420; DBA I, II, III; NDB 16, S. 247, 444f.

Katy Schlegel
26.9.2005


Empfohlene Zitierweise:
Katy Schlegel, Artikel: Heinrich Marr,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/22757 [Zugriff 19.4.2024].