Lotte Goslar

G., unterrichtet und geprägt durch Gret Palucca, Mary Wigman sowie Valeska Gert, gehört zu den repräsentativsten Botschafterinnen des German Modern Dance in den USA. Durch ihre Emigration nach Amerika trug sie maßgeblich zur weltweiten Verbreitung der in Dresden bei Wigman und Palucca erworbenen tänzerischen Ausdruckspräferenzen bei. Ihre besondere Begabung lag in der grotesken Kreativität und mimetischen Wandelbarkeit. – G. wuchs in Dresden in einer bürgerlichen Familie auf. Ihr Vater, Prokurist einer Bank, spielte Klavier sowie Cello und besuchte mit seinen Kindern philharmonische Konzerte. Während ihrer Schulzeit hatte G. die Gelegenheit, Aufführungen von Studierenden Paluccas zu erleben, und beschloss darauf, näheren Kontakt zu deren Schule aufzunehmen. Sie tanzte Palucca eigene Choreografien vor und wurde Teil ihrer musikalischen Assistenz sowie Gruppentänzerin der Schule. Später absolvierte G. Laienkurse bei Wigman. Den Tanz um der Bewegung willen suchend, schuf sie sich ein eigenes Profil und debütierte im Januar 1933 in der Varieté-Bühne „Scala“ in Berlin. – G.s konsequente Haltung gegen die Nationalsozialisten nötigte sie, Dresden zu verlassen und zunächst in Amsterdam aufzutreten. 1934 nahm sie ein Engagement am „Befreiten Theater“ von Jiří Voskovec und Jan Werich in Prag an. 1935 folgte sie der Einladung von Erika Mann nach Zürich, um Mimin in deren antifaschistischer Revue „Pfeffermühle“ zu werden. Da sich die Truppe auch außerhalb Deutschlands nationalsozialistischen Repressionen ausgesetzt sah, wanderten die Künstler der „Pfeffermühle“ 1937 in die USA aus. Erwin Piscator engagierte G. 1940 bis 1949 als Choreografin für seine Dramatic Workshops an der New Yorker New School for Social Research, wo sie beispielsweise an der Inszenierung des „King Lear“ mit Sam Jaffe mitwirkte. Darüber hinaus trat G. in San Francisco und Los Angeles auf. 1941 gastierte sie kurzzeitig noch einmal in den Niederlanden und lebte danach dauerhaft in New York. Im Frühjahr 1943 gab sie in der New York Hall einen ausverkauften Kabarettabend mit ihren Clowns-Darstellungen, durchsetzt mit Tänzen ironischer und lyrischer Ausprägung. Im selben Jahr trat G. in Revuen im Turnabout Theatre in Hollywood mit Elsa Lanchester auf. 1944 wurde G. für den Film „Johnny Doesn‘t Live Here“ verpflichtet, worin sie eine Gremlin mimte. Darüber hinaus engagierte sie sich auch kulturpolitisch, etwa als Unterzeichnerin des Memorandums der American Guild for German Cultural Freedom, einer Hilfsorganisation für aus Deutschland geflüchtete Intellektuelle. – G. hatte sich innerhalb von einigen Jahren einen exzellenten Ruf als Künstlerin aufgebaut, der auch in Europa wahrgenommen wurde. Besonders erfolgreich waren ihre Choreografien „Little Heap of Misery“ (Musik: Clyde McCoy), „Life of a Flower“ (Musik: Gustav Lange) und „Grandma Always Danced (Volkslieder)“. 1947 schuf G. die Choreografie für Bertolt Brechts „Leben des Galilei“ mit Charles Laughton in der Hauptrolle. In den späten 1940er-Jahren unterrichtete sie in Los Angeles Marilyn Monroe. – Nachdem G. sich um 1950 an der Ostküste niedergelassen hatte, gründete sie 1954 den „Lotte Goslar’s Pantomime Circus“. Zu dieser Gruppe gehörten u.a. Lance Westergard, Gene French und Richard Mercier. Über Jahrzehnte gastierten sie in den USA und Europa. 1986/1987 spielte G. den Clown in dem Film „Dolly, Lotte und Maria“. – Privat blieb G. mit Erika und Klaus Mann, Hans Sahl, Brecht und Monroe bis an ihr Lebensende befreundet. 90-jährig verstarb sie in Great Barrington (USA). Der Tanzkritiker Jack Anderson schrieb G. einen Nachruf und der Tanzwissenschaftler Frank-Manuel Peter widmete ihr einen Beitrag zum 100. Geburtstag. 2007 verteidigte Marianna Vogt ihre Masterarbeit „Lotte Goslar: A Clown between Borders“ an der University of Missouri-Kansas City (USA) und würdigte darin G.s einzigartige Verdienste als humoreske Friedensbotschafterin in der Zeit des Nationalsozialismus und des Kalten Kriegs.

Quellen The New York Public Library for the Performing Arts, Dorothy and Lewis B. Cullman Center, Jerome Robbins Dance Division, Lotte G. Papers Inventory; Deutsches Tanzarchiv Köln, 6223 Nachlass Lotte G.; Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Sahl, Hans, A:Jünger, Ernst, A:Zuckmayer, Carl; Deutsche Nationalbibliothek, EB 70/117; Archiv der Akademie der Künste, Leonard-Steckel-Archiv; Münchner Stadtbibliothek, EM B 650 Nachlass Erika Mann; Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Mscr.Dresd.App.2531,678; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett/Deutsche Fotothek, Inventar-Nr. D 1981-349; Universitätsbibliothek Leipzig, Tanzarchiv Leipzig, NL 393 Nachlass Fritz Böhme, NL 396 Nachlass Rudolf von Laban, NL 397 Nachlass Ilse Loesch; Auskunft Patricia Ottilie, Stadtarchiv Dresden.

Werke Choreografien: Femme Fatale 1928-1933; Little Circus Dancer, 1928-1933; So What, 1928-1933; Der Unwirsch, Das Alräunchen und Die Jungfrau, um 1933; Fille De Joie, 1937; Life of a Flower, 1940-1990; Waltz in Love, 1943; Prima Ballerina, 1946; Love, 1946-1962; Friendship, 1946-1990; Grandma Always 1950-1979; Tipsy Violet, 1959; Sympathy, 1961; Not Wanted, 1964; A Dream, 1974-1978; Mercury, 1979; Mine Own, 1984; Grandma Always Danced, undated; The Spinster, undated. – Gruppentänze: The Circus Scene, 1951-1994; Liebestraum, 1972-1990; A Very Hill Lady, 1979; Schubert Waltzes, undated. – Ballette: Die Fledermaus, 1951; For humans only, pantomime ballet, 1955. – Choreografien für Filme: Johnny Doesn’t Live Here, 1944; Leben des Galilei, 1947; River of No Return, 1954; Dolly, Lotte und Maria, 1986/1987. – Choreografien für Opern: u.a. Faust (Gounod), Opera Company Boston, 1978. – Schriften: What’s So Funny? Sketches From My Life, London 1998. – Videos: Lotte G.s Pantomime Circus, 1984-1990; Lotte G.s Pantomime Circus, 1976-1980; David Sears, Interview mit G., 1980.

Literatur Aufbau (Reconstruction). Nachrichtenblatt des German-Jewish Club 8/1942, Nr. 47, S. 11, 24; ebd. 9/1943, Nr. 13, S. 10 (P); Die Zeitung. Londoner Deutsches Wochenblatt 2/1943, Nr. 307, S. 7; ebd. 4/1944, Nr. 366, S. 6; Beate Schmeichel-Falkenberg, Aufforderung zum Überleben. Lotte G. und das Exil, in: Jahrbuch Exilforschung 11/1993: Frauen und Exil. Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung, S. 216-228; Jack Anderson, Lotte G., Dancer and Mime, Is Dead at 90, in: New York Times 18.10.1997, S. 13; Frank-Manuel Peter, Ich will nur eins: die Wahrheit. Lotte G. zum 100. Geburtstag, in: Tanzjournal 2007, H. 1, S. 60f.; Marianna Vogt, Lotte G. A Clown between Borders, Masterarbeit Kansas City 2007; Karen Mozingo, Lotte G.s Clowns, in: Susan Manning/Lucia Ruprecht (Hg.), New German Dance Studies, Urbana/Chicago/Springfield 2012, S. 99-112; Nadia Centorbi, Hans Sahl, Dramatist, in: studi germanici 3/2014, Nr. 5, S. 43-108.

Uta Dorothea Sauer
3.11.2021


Empfohlene Zitierweise:
Uta Dorothea Sauer, Artikel: Lotte Goslar,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28829 [Zugriff 28.3.2024].

Lotte Goslar



Quellen The New York Public Library for the Performing Arts, Dorothy and Lewis B. Cullman Center, Jerome Robbins Dance Division, Lotte G. Papers Inventory; Deutsches Tanzarchiv Köln, 6223 Nachlass Lotte G.; Deutsches Literaturarchiv Marbach, A:Sahl, Hans, A:Jünger, Ernst, A:Zuckmayer, Carl; Deutsche Nationalbibliothek, EB 70/117; Archiv der Akademie der Künste, Leonard-Steckel-Archiv; Münchner Stadtbibliothek, EM B 650 Nachlass Erika Mann; Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Mscr.Dresd.App.2531,678; Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett/Deutsche Fotothek, Inventar-Nr. D 1981-349; Universitätsbibliothek Leipzig, Tanzarchiv Leipzig, NL 393 Nachlass Fritz Böhme, NL 396 Nachlass Rudolf von Laban, NL 397 Nachlass Ilse Loesch; Auskunft Patricia Ottilie, Stadtarchiv Dresden.

Werke Choreografien: Femme Fatale 1928-1933; Little Circus Dancer, 1928-1933; So What, 1928-1933; Der Unwirsch, Das Alräunchen und Die Jungfrau, um 1933; Fille De Joie, 1937; Life of a Flower, 1940-1990; Waltz in Love, 1943; Prima Ballerina, 1946; Love, 1946-1962; Friendship, 1946-1990; Grandma Always 1950-1979; Tipsy Violet, 1959; Sympathy, 1961; Not Wanted, 1964; A Dream, 1974-1978; Mercury, 1979; Mine Own, 1984; Grandma Always Danced, undated; The Spinster, undated. – Gruppentänze: The Circus Scene, 1951-1994; Liebestraum, 1972-1990; A Very Hill Lady, 1979; Schubert Waltzes, undated. – Ballette: Die Fledermaus, 1951; For humans only, pantomime ballet, 1955. – Choreografien für Filme: Johnny Doesn’t Live Here, 1944; Leben des Galilei, 1947; River of No Return, 1954; Dolly, Lotte und Maria, 1986/1987. – Choreografien für Opern: u.a. Faust (Gounod), Opera Company Boston, 1978. – Schriften: What’s So Funny? Sketches From My Life, London 1998. – Videos: Lotte G.s Pantomime Circus, 1984-1990; Lotte G.s Pantomime Circus, 1976-1980; David Sears, Interview mit G., 1980.

Literatur Aufbau (Reconstruction). Nachrichtenblatt des German-Jewish Club 8/1942, Nr. 47, S. 11, 24; ebd. 9/1943, Nr. 13, S. 10 (P); Die Zeitung. Londoner Deutsches Wochenblatt 2/1943, Nr. 307, S. 7; ebd. 4/1944, Nr. 366, S. 6; Beate Schmeichel-Falkenberg, Aufforderung zum Überleben. Lotte G. und das Exil, in: Jahrbuch Exilforschung 11/1993: Frauen und Exil. Zwischen Anpassung und Selbstbehauptung, S. 216-228; Jack Anderson, Lotte G., Dancer and Mime, Is Dead at 90, in: New York Times 18.10.1997, S. 13; Frank-Manuel Peter, Ich will nur eins: die Wahrheit. Lotte G. zum 100. Geburtstag, in: Tanzjournal 2007, H. 1, S. 60f.; Marianna Vogt, Lotte G. A Clown between Borders, Masterarbeit Kansas City 2007; Karen Mozingo, Lotte G.s Clowns, in: Susan Manning/Lucia Ruprecht (Hg.), New German Dance Studies, Urbana/Chicago/Springfield 2012, S. 99-112; Nadia Centorbi, Hans Sahl, Dramatist, in: studi germanici 3/2014, Nr. 5, S. 43-108.

Uta Dorothea Sauer
3.11.2021


Empfohlene Zitierweise:
Uta Dorothea Sauer, Artikel: Lotte Goslar,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28829 [Zugriff 28.3.2024].