Adolf Henze
H. gilt als Begründer der Chirogrammatomantie (Handschriftendeutung). Vor Gericht war er als vereidigter Handschriftenkundiger und Schriftvergleicher in Deutschland, Österreich und der Schweiz anerkannt und soll als Sachverständiger über 70.000 Handschriften gedeutet haben. Auch als Verleger war H. in Verbindung mit der Grafologie nach anfänglichen Schwierigkeiten erfolgreich und widmete sich besonders der Erkennung von gefälschten Münzen, Papiergeld und Wertpapieren. In seinem „Illustrirten Anzeiger über gefälschtes Papiergeld und unächte Münzen“ sowie dessen Nachfolger, dem „Illustrirten Anzeiger für Contor und Bureau“, ist die große Leidenschaft H.s zur Numismatik spürbar. – H. wurde am 24.6.1814 als sechstes Kind seiner Eltern im hessischen Volkmarsen geboren. Schon vor seiner Schulzeit sehr wissbegierig, zeichnete er sich auch später durch einen regen Lerneifer aus. Kurz nach seiner Schuleinführung wechselte er auf das Progymnasium nach Warburg und später auf das Lyzeum nach Fulda. Immer wieder fiel er durch seine überdurchschnittlichen, mehrfach prämierten Leistungen auf. Nach dem Willen des Vaters sollte H. ein katholischer Geistlicher werden, weshalb er nach der Schulpflicht im Priesterseminar Fulda zum Theologiestudium aufgenommen wurde. In den alten Schriften der dortigen Bibliothek interessierte er sich besonders für die historischen Drucke und deren Herstellung. Er baute sich damit, wie er später selbst berichtete, einen Grundstock für seine grafologischen Studien auf. Schon damals war er davon überzeugt, dass Personen mit ihren unterschiedlichen Handschriften auch verschiedene Befähigungen bekunden. Während seiner Studien im Priesterseminar erreichte ihn 1831 die Nachricht vom Tod seiner Mutter. Dieser schwere Einschnitt brachte auch für H. eine neue Betrachtungsweise seiner Zukunft mit sich. Er distanzierte sich von der theologischen Laufbahn und verließ kurz vor seiner Priesterweihe 1836 freiwillig das Priesterseminar. Vorerst begann er eine Lehrtätigkeit in der Schriftgießerei
Pfnor in Darmstadt, die auch durch ihre Holzschneidekunst (Xylografie) bekannt war. Er erlernte den Umgang mit Matrizen, Stempeln, Gießöfen und den gerade erfundenen Klischeemaschinen. Um seine Kenntnisse auf dem Gebiet des Buchdrucks zu erweitern, wechselt er nach Stuttgart und widmete sich dort dem Studium der Xylografie. Anschließend ein halbes Jahr als Schriftgießer in Frankfurt/Main tätig, bereiste er Deutschland, Österreich und die Schweiz. Am 10.7.1838 wurde H. als Bürger von Fulda in das Aufnahmebuch der Stadt Frankfurt/Main eingetragen und ehelichte am 13.9.1838 in der Garnisonskirche am Frauenberg
Eleonore Josephine Maria Zick. H. wollte in Frankfurt nach dem Muster einer Xylografischen Anstalt, wie in Leipzig, München und Stuttgart, selbstständig als „Holzschneidekünstler“ arbeiten. Mit Anzeigen in der „Frankfurter Zeitung“ warb er für seine neue Firma, die auch Schüler zur Lehre annahm. Dazu gründete er unter seiner Leitung ein „Institut für junge Typographen und Buchdrucker-Principalssöhne“. Es folgten eigene Veröffentlichungen, die sich mit den verschiedenen Verfahren der Buchdruckkunst befassten, sowie einige Figurengedichte. Mit großem Erfolg erschien 1844 sein „Handbuch der Schriftgießerei und der verwandten Nebenzweige“. Rasch gewann H. allgemeine Beachtung in der Fachwelt. – Im Winter 1844/45 zog H. mit seiner Familie nach Leipzig, um sich dort als Buchhändler niederzulassen und sich mit der Chirogrammatomantie zu beschäftigen. Sein Buch über „Die geheime Schrift. Eine Anweisung wie Liebende und Befreundete Briefe und Billets, welche dritte Personen nicht Lesen sollen, zu schreiben haben“ erschien 1847 unter dem Pseudonym „Arthur von Nordeck“ beim Verlag
Poenicke & Sohn und begeisterte viele Leser. Mit seinen zusätzlichen geografischen Tätigkeiten für Landkarten brachte es H. bald zu einem bescheidenen Wohlstand. Ein weiteres Buch über seine Theorie einer „Schnellschrift (Stenographie)“ mit eigenem Alphabet folgte ebenfalls 1847. Es richtete sich besonders an Geschäftsleute, konnte sich aber nicht durchsetzen. Bereits seit 1845 erschien sein „Journal für Kupfer- und Stahlstechkunst“, das die verschiedenen Methoden mit einer guten Portion Humor vorstellte. Mit der Leipziger Verlegerfamilie Poenicke schloss H. am 15.5.1847 einen Vertrag für die Übernahme einer Stein- und Notendruckerei durch ihn ab. Ebenfalls 1847 erschien das unter seiner Edition nur in wenigen Prachtexemplaren gedruckte, in kirchlichen Kreisen bekannte Werk „Magnentii Rhabani Mauri de Laudibus sanctae crucis“. 1854 gab H. einen mit Lithografien kolorierten Band über „Die Feste der katholischen Kirche“ heraus. Sein „Illustriertes Sonntagsblatt für die Katholische Familie“ brachte nicht den erhofften Erfolg und wurde 1855 schon nach wenigen Ausgaben wieder eingestellt. – Um 1854 begann H. seine Tätigkeit als Grafologe. Mit Zeitungsanzeigen richtete er sich nun an die Öffentlichkeit und beurteilte gegen Honorar die Handschriften der interessierten Bevölkerung. Am 1.1.1856 gründete er seinen eigenen, mit einer breit gefächerten Angebotspalette versehenen Verlag. Sein bedeutendstes Werk, „Die Chirogrammatomantie“, erschien jedoch 1862 beim Leipziger Verlag J. J. Weber. Darin schrieb H. seine noch heute von der Wissenschaft beachteten Erforschungen der Schrift sowie die Grundelemente einer gewissenhaften Schriftbeurteilung und Schriftdeutung nieder. Weitere Publikationen wie „Die Handschriften der deutschen Dichter und Dichterinnen“ (1855) oder „Das Handschriften-Lesebuch“ (1854) enthielten Handschriftensammlungen und deren von H. erklärten grafologischen Eigenschaften. Neben Tischkalendern und Schönschreibeheften für Schulen erschien 1863 in H.s Verlag die von
Karl Koch verfasste „Deutsche Schulfibel“ und ab 1868 der „Illustrirte Anzeiger über gefälschtes Papiergeld und unächte Münzen“. Im letzteren Jahr wurde dem Verlag eine Steindruckerei angegliedert. Da es in Deutschland zu dieser Zeit noch unterschiedliche Schriftformen gab, entwickelte H. die einheitliche „Preis-National-Handschrift“, die über viele Jahre im Gebrauch der Schulen war und 1894 sogar als „Henzes Neues Normal-Alphabet“ bezeichnet wurde. Auch im Ausland, wie den USA, der Schweiz, Russland und England, wurde teilweise diese neue Schriftmethode in den deutschsprachigen Schulen eingeführt, wofür H. die Schreibhefte lieferte. – H.s Verlag erlebte einen ungeheuren Aufschwung, sodass er mehrfach innerhalb des Leipziger Stadtgebiets umziehen musste, da immer wieder der Platz für die notwendigen Um- und Ausbauten von Verlag und Druckerei fehlte. In Schönefeld fand H. in der Ludwigstraße 30 ein vierstöckiges Haus zur Miete. 1871 erwarb er für seine Druckerei noch die Häuser Ludwigstraße 32 und 34. Ein weiteres Grundstück kaufte er in Thekla. Die Familie wohnte allerdings in den Verlagshäusern in der Ludwigstraße. – Seine große Liebe zur Numismatik bewieß H. mit der Herausgabe der Bücher „Das Geld aller Völker“ (1873) und „Das Buch der Goldmünzen“ (1872). Bei beiden wurden die abgebildeten Münzen auf schwarzem Grund in Gold, Silber und Kupfer reliefartig gedruckt. Die abgebildeten Banknoten wurden von H. spiegelverkehrt wiedergegeben, um eventuellen Fälschungsabsichten vorzubeugen. Weitere Münzen aus der gesamten Welt erschienen regelmäßig im „Illustrirten Anzeiger über gefälschtes Papiergeld und unächte Münzen“. Sämtliche Informationen kamen im Anzeiger aus amtlichen Quellen und waren meist mit Auszügen der Gesetzblätter belegt. Zudem wurden die Leser über die Neuigkeiten in Bank-, Zoll-, Post- und anderen Tarifen informiert. Mittlerweile war die Palette der Verlagsprodukte ausgeweitet worden. H. vertrieb nun auch Taschennotizbücher sowie spezielle Notizkalender für den Schreibtisch. Völlig neu waren aus mehreren Segmenten bestehende Bürolandkarten, die gesammelt und dann zu einer riesigen Karte zusammengefügt werden konnten. Neu war auch der 106 cm große „Henze-Globus“, der ebenfalls aus mehreren Papiersegmenten bestand und beleuchtet werden konnte. – H. band seine Söhne fest in die Verlagsaufgaben ein und ermöglicht ihnen so die Ausbildung zum Redakteur, Drucker, Zeichner, Lithograf, Sachverständigen zur Schriftvergleichung und Buchhalter. Der Verlag war somit bestens gerüstet, wenn H. als Sachverständiger zu den Gerichten gerufen wurde. Nachdem H. seine grafologischen Erkenntnisse im Buch „Die Chirogrammatomantie“ mit großem Erfolg der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hatte, wurde das Justizwesen auf diese neue Methode aufmerksam. Gerade bei Urkundenfälschung war ein fachkundiger Schriftvergleich nötig. Bereits 1859 plante H. ein „Central Bureau für gerichtliche Handschriften-Vergleichung“ und schrieb hierfür verschiedene Justizbehörden an. Im Jahr darauf begann seine Amtstätigkeit bei zu verhandelnden Banknoten- und Wechselfälschungen im Königreich Sachsen. Am 2.3.1860 wurde H. beim Gerichtsamt Leipzig als Schriftenvergleicher vereidigt. Weitere deutsche Staaten folgten dem Beispiel und verpflichteten H. ebenfalls. Seine Verdienste um die Rechtspflege würdigte die sächsische Regierung 1870 mit der Verleihung des Ehrentitels eines „Kommissionsrats“. Die vielen von ihm niedergeschriebenen Fälschungsgeschichten und Beispiele berichteten auch noch nach seinem Tod von seiner umfangreichen gerichtlichen Gutachtertätigkeit. H. verstarb nach kurzer Krankheit am 28.12.1883 in Leipzig im Kreis seiner Familie.
Quellen Adressbücher der Stadt Leipzig 1861-1910; M. Henze, Manuskript zum geplanten Buch über Adolf H., Bd. 1, München 2009 [Ms.].
Werke (Hg.), Journal für Kupfer- und Stahlstechkunst 1/1845-3/1849; Die geheime Schrift. Eine Anweisung wie Liebende und Befreundete Briefe und Billets, welche dritte Personen nicht Lesen sollen, zu schreiben haben, Leipzig 1847; Die Schnellschrift (Stenographie). Eine Anweisung durch gewählte Abbreviaturen beim Schreiben fast die Hälfte der Zeit zu sparen …, Leipzig 1847; Magnentii Rhabani Mauri de Laudibus sanctae crucis, Leipzig 1847; (Bearb.), Die Feste der katholischen Kirche. Nach dem Französischen des Abbe Casimir, Leipzig 1854; Das Handschriften-Lesebuch, Leipzig 1854; (Hg.), Illustriertes Sonntagsblatt für die Katholische Familie 1855; Handschriften der Deutschen Dichter und Dichterinnen, Leipzig 1855; Die Chirogrammatomantie, Leipzig 1862; Gewählte Sammlung von 193 facsimilirten Handschriften, Leipzig 1863; (Hg.), K. Koch, Deutsche Schulfibel, Leipzig 1863; (Hg.), Illustrirter Anzeiger über gefälschtes Papiergeld und unächte Münzen 1/1865-12/1876, ab 13/1877 = Illustrirter Anzeiger für Contor und Bureau; Das Buch der Goldmünzen, Leipzig 1872; Das Geld aller Völker, Leipzig 1873.
Literatur Schreibtisch- und Notiz-Kalender, hrsg. vom Adolf Henze Verlag, Leipzig 1912-1913; M. Henze, Adolf H. - Verleger und gerichtlich vereidigter Handschriftenvergleicher, München 2010 (P); [R. Graff], Adolf H. - Ein Portrait, in: Münzen & Sammeln 2011, H. 5, S. 19f.; [ders.], Adolf H. - In alten Münzzeitungen geblättert. Preußische Goldmünzen und eine Bekanntmachung der Königlich Preußischen Münz-Direction, in: ebd., H. 7-8, S. 14f.; ders., Das Schweizer 20-Franken-Goldstück von 1873, in: Numis-Post. Das Schweizer Magazin für Münzen 2011, Nr. 4, S. 69-71; [ders.], Es wird im Lande über unsere unschönen Münzen Klage geführt, in: Money Trend 45/2013, H. 11, S. 184f. – DBA I.
Porträt Adolf H., 1860, Lithografie, Privatarchiv R. Graff (Bildquelle).
Reiner Graff
4.7.2018
Empfohlene Zitierweise:
Reiner Graff, Artikel: Adolf Henze,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28227 [Zugriff 20.12.2024].
Adolf Henze
Quellen Adressbücher der Stadt Leipzig 1861-1910; M. Henze, Manuskript zum geplanten Buch über Adolf H., Bd. 1, München 2009 [Ms.].
Werke (Hg.), Journal für Kupfer- und Stahlstechkunst 1/1845-3/1849; Die geheime Schrift. Eine Anweisung wie Liebende und Befreundete Briefe und Billets, welche dritte Personen nicht Lesen sollen, zu schreiben haben, Leipzig 1847; Die Schnellschrift (Stenographie). Eine Anweisung durch gewählte Abbreviaturen beim Schreiben fast die Hälfte der Zeit zu sparen …, Leipzig 1847; Magnentii Rhabani Mauri de Laudibus sanctae crucis, Leipzig 1847; (Bearb.), Die Feste der katholischen Kirche. Nach dem Französischen des Abbe Casimir, Leipzig 1854; Das Handschriften-Lesebuch, Leipzig 1854; (Hg.), Illustriertes Sonntagsblatt für die Katholische Familie 1855; Handschriften der Deutschen Dichter und Dichterinnen, Leipzig 1855; Die Chirogrammatomantie, Leipzig 1862; Gewählte Sammlung von 193 facsimilirten Handschriften, Leipzig 1863; (Hg.), K. Koch, Deutsche Schulfibel, Leipzig 1863; (Hg.), Illustrirter Anzeiger über gefälschtes Papiergeld und unächte Münzen 1/1865-12/1876, ab 13/1877 = Illustrirter Anzeiger für Contor und Bureau; Das Buch der Goldmünzen, Leipzig 1872; Das Geld aller Völker, Leipzig 1873.
Literatur Schreibtisch- und Notiz-Kalender, hrsg. vom Adolf Henze Verlag, Leipzig 1912-1913; M. Henze, Adolf H. - Verleger und gerichtlich vereidigter Handschriftenvergleicher, München 2010 (P); [R. Graff], Adolf H. - Ein Portrait, in: Münzen & Sammeln 2011, H. 5, S. 19f.; [ders.], Adolf H. - In alten Münzzeitungen geblättert. Preußische Goldmünzen und eine Bekanntmachung der Königlich Preußischen Münz-Direction, in: ebd., H. 7-8, S. 14f.; ders., Das Schweizer 20-Franken-Goldstück von 1873, in: Numis-Post. Das Schweizer Magazin für Münzen 2011, Nr. 4, S. 69-71; [ders.], Es wird im Lande über unsere unschönen Münzen Klage geführt, in: Money Trend 45/2013, H. 11, S. 184f. – DBA I.
Porträt Adolf H., 1860, Lithografie, Privatarchiv R. Graff (Bildquelle).
Reiner Graff
4.7.2018
Empfohlene Zitierweise:
Reiner Graff, Artikel: Adolf Henze,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/28227 [Zugriff 20.12.2024].