Reinhold Becker

B. wurde als fünftes von acht Kindern im vogtländischen Adorf geboren. Als sein Vater, ein angesehener Rechtsanwalt, bereits im 45. Lebensjahr an einer Lungenentzündung verstarb, war B. erst sechs Jahre alt. Allein konnte die Mutter die Erziehung der acht Kinder nicht bewältigen, sodass sie B. 1848 - mitten in den stürmischen Zeiten der Revolution - nach Dresden in die Obhut der Familie seines Onkels. Sein Onkel, bei dem es sich wohlmöglich um den „Streichinstrumentenmacher“ Wilhelm Ehrlich handelt, war Geigenbauer, wodurch auch B. mit der Musik in Kontakt kam. So begann seine musikalische Ausbildung in den Fächern Musiktheorie bei Ernst Julius Otto und Violine bei Winterstein schon sehr früh. Er machte schnelle Fortschritte und gab bereits im Alter von neun Jahren sein erstes öffentliches Konzert. – Prägend für B.s Leben war das Zusammentreffen mit dem Violinenvirtuosen Louis Eller in Dresden 1860. B. hatte sich gerade dazu entschlossen, nach Berlin umzusiedeln, um dort seine musikalische Bildung fortzusetzen, als Eller ihn dazu aufforderte, mit ihm nach Südfrankreich zu kommen. Mit der Aussicht, die Stelle der zweiten Violine in Ellers Quartett zu übernehmen, entschied sich B. schließlich für das französische Pau. Er verlebte dort zehn glückliche und auch sehr erfolgreiche Jahre, was zahlreiche Quellen belegen. Infolge des Deutsch-Französischen Kriegs wurde er jedoch schließlich zur Rückkehr gezwungen. – Wieder zurück in Dresden verschlimmerte sich B.s schon länger existierendes Handleiden, vermutlich eine Folge des vielen Übens. Schon bald musste er seine Virtuosentätigkeit aufgeben und widmete sich zunehmend dem Komponieren. Außerdem gab er Musikunterricht in den Fächern Violine, Klavier und Harmonielehre. Eine seiner Schülerinnen war seine spätere Ehefrau Olga Haebler, die Tochter eines Großkaufmanns. Bei der Vermählung in der Dresdner Frauenkirche trug die Dresdner Liedertafel eine neue Komposition B.s vor: das geistliche Lied „Wo du hingehst, da will auch ich hingehn“, das er eigens für seine Frau komponiert hatte. B. hatte bereits 1884 die Leitung dieses Dresdner Männerchors übernommen. Er studierte mit ihm sowohl eigene Kompositionen als auch Werke anderer Komponisten, wie z.B. die Chorpassagen aus Richard Wagners „Parsifal“, ein. Musikalische Höhepunkte während seiner zehnjährigen Liedertafelzeit waren v.a. die Teilnahme des Chors an der Trauerfeier für Wagner am 13.2.1885 in der Philharmonie in Berlin sowie die Huldigung vor Otto von Bismarck am 21.5.1892 in Friedrichsruh. Sogar im Ausland war man auf den Verein und seinen Dirigenten aufmerksam geworden. Ein Angebot aus Amerika musste jedoch abgelehnt werden, da sich viele der Vereinsmitglieder nicht für eine zweieinhalbmonatige Tournee freinehmen konnten. Anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten des Hauses Wettin wurde B. 1898 zum Professor ernannt. Er dirigierte bei der Feier auf dem Dresdner Schlossplatz die Aufführung der von ihm komponierten Hymne. Die darauffolgenden Jahre waren geprägt von musikalischen Aktivitäten, einem großen Freundeskreis, zu dem u.a. Mathilde Wesendonck und der damalige Dramaturg des Dresdner Hoftheaters Franz Koppel-Ellfeld gehörten, und seinem privaten Glück mit seiner Ehefrau Olga. Selbst nach seiner ab 1906 einsetzenden Erblindung, die auf ein geschädigtes Auge aus Kinderzeiten zurückzuführen ist, komponierte er weiter. Seine Gattin notierte akribisch seine Kompositionen. Eine besondere Huldigung erfuhr B. 1923, als am 24.6. an seinem Geburtshaus in Adorf/Vogtland eine Gedenktafel für ihn eingeweiht wurde. Nach zunehmender Verschlechterung seines Gesundheitszustands verstarb er schließlich am 4.12.1924. – Zu B.s Kompositionen zählen etwa 200 Lieder, die zwei Opern „Frauenlob“ und „Ratbold“, Klavierwerke, eine sinfonische Dichtung sowie zwei Violinkonzerte. Viele seiner Lieder wurden zu Lebzeiten nicht nur öffentlich aufgeführt, sondern fanden auch im volkstümlichen Gesang Verbreitung. Besondere Verdienste erlangte er auf dem Gebiet des deutschen Männergesangs, dessen Repertoire im 19. Jahrhunderts noch recht spärlich war. Seit Felix Mendelssohn Bartholdy, der dem Männergesang große Aufmerksamkeit widmete, hatten die tonangebenden Komponisten sich kaum mit diesem beschäftigt. Umso ertragreicher war damit das Werk B.s., der sich mit insgesamt 60 Kompositionen und Bearbeitungen für Männerchöre einen Namen machte. Erfolgreich war B. aber auch mit seinen zwei Opern. Beide wurden in Dresden in der Hofoper unter Ernst von Schuchs musikalischer Leitung uraufgeführt: „Frauenlob“ am 8.12.1892 und „Ratbold“ am 5.3.1898. Aufgrund der außergewöhnlich guten Resonanz folgten Aufführungen in Städten wie Berlin, Mainz, Köln, Aachen und Posen (poln. Poznań).

Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Dresdner Adressbuch 1848.

Werke Vokalmusik: Frühlingszeit, op. 3; Wer hat das erste Lied erdacht?, op. 33; Durch die Lüfte geht ein Mahnen, op. 35; Wo du hingehst, da will auch ich hingehn, op. 60; Ave Maria, op. 66; Der Postillon, op. 65; Wo ist Gott?, op. 86; Der Choral von Leuthen, op. 97; Instrumentalmusik: II. Violinkonzert in e-Moll, op. 100; Sinfonische Dichtung „Prinz Friedrich von Homburg“, op. 16b; Opern: Frauenlob, op. 75; Ratbold, op. 88; Schriften: Sämtliche Werke von Reinhold B., Leipzig 1924.

Literatur Reinhold B. Sein Leben und sein Werk, hrsg. im Auftrag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1932 (P, WV, Bildquelle). – DBA II, III; DBE 1, S. 381; RiemannL, Bd. 1, Mainz 121959, S. 121; H. A. L. Degener, Wer ist’s?, Leipzig 81922, S. 80.

Kathleen Goldammer
30.11.2011


Empfohlene Zitierweise:
Kathleen Goldammer, Artikel: Reinhold Becker,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/410 [Zugriff 26.4.2024].

Reinhold Becker



Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Dresdner Adressbuch 1848.

Werke Vokalmusik: Frühlingszeit, op. 3; Wer hat das erste Lied erdacht?, op. 33; Durch die Lüfte geht ein Mahnen, op. 35; Wo du hingehst, da will auch ich hingehn, op. 60; Ave Maria, op. 66; Der Postillon, op. 65; Wo ist Gott?, op. 86; Der Choral von Leuthen, op. 97; Instrumentalmusik: II. Violinkonzert in e-Moll, op. 100; Sinfonische Dichtung „Prinz Friedrich von Homburg“, op. 16b; Opern: Frauenlob, op. 75; Ratbold, op. 88; Schriften: Sämtliche Werke von Reinhold B., Leipzig 1924.

Literatur Reinhold B. Sein Leben und sein Werk, hrsg. im Auftrag des Vereins für Geschichte Dresdens, Dresden 1932 (P, WV, Bildquelle). – DBA II, III; DBE 1, S. 381; RiemannL, Bd. 1, Mainz 121959, S. 121; H. A. L. Degener, Wer ist’s?, Leipzig 81922, S. 80.

Kathleen Goldammer
30.11.2011


Empfohlene Zitierweise:
Kathleen Goldammer, Artikel: Reinhold Becker,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/410 [Zugriff 26.4.2024].