Hans Kummerlöwe

Ausschlaggebend für K.s Karriere als Leiter der natur- und völkerkundlichen Museen in Dresden und in Wien, die er konform zur herrschenden Ideologie ausrichtete, war seine bereits in den 1920er-Jahren dokumentierte stramm nationalsozialistische Haltung und sein langjähriges parteipolitisches Engagement für die NSDAP. Nach 1945 entzog sich K. der Entnazifizierung, indem er fortan als Privatgelehrter tätig wurde. – Unmittelbar nach dem Bestehen des Abiturs an der Leipziger „Oberrealschule im Osten“ trat K. 1923 in die Deutsche Ornithologische Gesellschaft ein. Anschließend studierte er an der Universität Leipzig Naturwissenschaften mit den Schwerpunkten Zoologie und Vergleichende Anatomie. Nach seinem Eintritt in die NSDAP gehörte K. 1925 zu den Gründern der NS-Studentengruppe in Leipzig. Im Juni 1930 wurde er bei Johannes Meisenheimer in Leipzig mit der Arbeit „Vergleichende Untersuchungen über das Gonadensystem weiblicher Vögel“ promoviert. Aufgrund der Differenzen mit seinem jüdischen Doktorvater verblieb K. nicht als Assistent am Lehrstuhl, sondern legte 1931 noch das Staatsexamen für das Höhere Lehramt ab. Nach dem obligatorischen Vorbereitungsdienst arbeitete K. zunächst in Riesa, später in Leipzig im Schuldienst. Aufgrund seiner mehrfachen Freistellung für längere Studienfahrten, wie 1933 für eine ornithologische Kleinasienreise, unterrichtete er allerdings nur selten. Nebenberuflich engagierte sich K. seit 1934 als Kulturpolitischer Kreisabteilungsleiter des NS-Lehrerbundes und als Abteilungsleiter für die Deutschen Heimatschulen beim Kreisschulungsamt der NSDAP Leipzig. Nachdem er über drei Jahre diverse Parteigremien und das Sächsische Ministerium für Volksbildung kontaktiert hatte, um in den Museumsdienst oder an eine Universität zu wechseln, wurde K. zum 1. Januar 1936 in Nachfolge von Arnold Jacobi zum Direktor der Museen für Tierkunde und Völkerkunde in Dresden ernannt. Wenige Monate später erhielt er einen Lehrauftrag an der Technischen Hochschule Dresden und übernahm 1937 dort die Leitung des Zoologischen Instituts. Im Museum war er selten anwesend. Vielmehr pflegte er seine Kontakte in Politik und Verwaltung und reiste häufig zu Kongressen. 1936 nahm K. an einer Tagung zur Säugetierkunde in Berlin teil, verbrachte, wie bereits während seines Studiums, einen Forschungsaufenthalt in der Vogelwarte der Biologischen Anstalt Helgoland und engagierte sich im Deutschen Museumsbund für einen internationalen Museologenaustausch. Die fachliche Arbeit delegierte er an seine Mitarbeiter, von denen er eine nationalsozialistische Haltung verlangte. In seiner programmatischen Rede zur Eröffnung des Museums für Tierkunde am neuen Standort in der Ostra-Allee in Dresden im Oktober 1937 betonte K., die Aufgabe der Museen im Nationalsozialismus sei es, die Bevölkerung „zu leiten, zu beeinflussen und zu erziehen“. Er selbst hielt im Museum zahlreiche Vorträge über die einheimische Tierwelt, in der Volksbildungsstätte (Heimatschule Dresden) referierte er hingegen auch über politische Themen. Im Juni 1939 wurde K. vom Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten nach knapp einjährigen Verhandlungen mit der kommissarischen Leitung der Wissenschaftlichen Museen in Wien beauftragt. Ende August 1939 trat K. dieses Amt an, doch verwaltungsinterne Probleme verzögerten seine Ernennung zum Direktor um ein Jahr. Unter seiner Leitung erlebte das Naturhistorische Museum in Wien, für das er Rassenkunde, Bevölkerungspolitik und koloniale Aufgaben als Hauptthemen festlegte und anthropologische Untersuchungen in Kriegsgefangenenlagern sowie an Juden im Amsterdamer Ghetto durchführen ließ, eine nationalsozialistische Umformung. Auch in den nationalsozialistischen Raub von Kulturgut war K. involviert. So reiste er im November 1939 zur Inspektion mehrerer ehemals polnischer Museen durch das Generalgouvernement, vor allem nach Krakau und Warschau. Nach anfänglichen Rückstellungen wurde K. 1941 zur Wehrmacht einberufen, weshalb er die Museumsarbeit in Wien nur noch eingeschränkt fortsetzen konnte. Nach dem Kriegsende lebte er in Osnabrück, später in Gräfelfing bei München. In den Museumsdienst kehrte K. nicht zurück und übernahm auch kein anderes öffentliches Amt mehr, weshalb er sich auch keinem Entnazifizierungsverfahren stellen musste. Vielmehr änderte er, in der Hoffnung, sich so der persönlichen NS-Vergangenheit zu entledigen, seinen Namen in Kumerloeve. Fortan arbeitete er als Privatgelehrter, reiste, übernahm auch einige Reiseleitungen, forschte, mehrfach gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, war häufig Gast in der Ornithologischen Abteilung des Museums Alexander König in Bonn - und publizierte.

Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Museum für Völkerkunde, Archiv, MVD n20;25/ 7/8; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 13471 NS-Archiv des MfS, Nr. ZA VI 2801 12, 13842 Staatliches Museum für Tierkunde Dresden, Nr. 048, Nr. 114; Bundesarchiv Berlin, R 76-I/59, R 76-I/59a, R 76-I/59b, R 73/12517, R 4901/2932, R 4901/13269, NS 12/8602, R 9361-IX/Kartei/24131334; Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, III/DMB 003; Zoologisches Forschungsmuseum Alexander König Bonn, NL Kummerlöwe.

Werke Vergleichende Untersuchungen über das Gonadensystem weiblicher Vögel. Mit besonderer Berücksichtigung des Persistierens von rechtsseitigen Keimgewebselementen im normalen Weibchen, in: Zeitschrift für mikroskopisch-anatomische Forschung 21/1930, H. 1/3, S. 1-156, 22/1930, H. 1/3, S. 259-413, 24/1931, H. 4, S. 455-631, 25/1931, H. 3/4, S. 311-319; mit Günther Niethammer, Beiträge zur Kenntnis der Avifauna Kleinasiens (Paphlagonien-Galatien), in: Journal für Ornithologie 82/1934, H. 4, S. 506-552, 83/1935, H. 1, S. 26-75; mit Klaus Günther, Geschichte und Aufgaben des Staatlichen Museums für Tierkunde in Dresden. Rede zur Eröffnung des Museums für Tierkunde 4. Oktober 1937, in: Abhandlungen und Berichte aus den Staatlichen Museen für Tierkunde und Völkerkunde in Dresden 20/1939, H. 1, S. 1-15; Zur Neugestaltung der Wiener wissenschaftlichen Staatsmuseen, in: Annalen des naturhistorischen Museums in Wien 50/1939, S. 24-39; Bibliographie der Säugetiere und Vögel der Türkei (rezente Fauna). Unter Berücksichtigung der benachbarten Gebiete und mit Hinweisen auf weiterführendes Schrifttum, Bonn 1986.

Literatur Günther Niethammer, Am 5. September 1973 vollendet Museumsdirektor a. D. Dr. phil. Hans Kumerloeve sein 70. Lebensjahr, in: Bonner Zoologische Beiträge 24/1973, H. 3, S. 161-164; Clas Michael Naumann, Zum Gedenken an Hans Kumerloeve, in: Bonner zoologische Beiträge 47/1997, H. 1-2, S. 189f.; Eugeniusz Nowak, Erinnerungen an Ornithologen, die ich kannte (3. Teil), in: Mitteilungen des Vereins Sächsischer Ornithologen 9/2002, H. 1, S. 1-46; ders., Wissenschaftler in turbulenten Zeiten. Erinnerungen an Ornithologen, Naturschützer und andere Naturkundler, Hohenwarsleben 2010; Maria Teschler-Nicola, Richard Arthur Hans K. alias Kumerloeve (1903-1995). Erster Direktor der wissenschaftlichen Museen in Wien in der NS-Zeit, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 142/2012, S. 279-304; Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Wien/Köln/Weimar 2020, S. 379-383 . – DBA III; Hans Christoph Stamm, K. [= Kumerloeve], Hans, in: Joachim Neumann u.a., Lebensbilder sächsischer Ornithologen, Hohenstein-Ernstthal 2010, S. 117f.

Porträt Hans K., um 1936, Fotografie, Bundesarchiv Berlin, R 76-I/59b Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien/Personalakten, fol. 17v (Bildquelle).

Karin Müller-Kelwing
23.02.2021


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Hans Kummerlöwe,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29192 [Zugriff 19.5.2024].

Hans Kummerlöwe



Quellen Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Museum für Völkerkunde, Archiv, MVD n20;25/ 7/8; Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, 13471 NS-Archiv des MfS, Nr. ZA VI 2801 12, 13842 Staatliches Museum für Tierkunde Dresden, Nr. 048, Nr. 114; Bundesarchiv Berlin, R 76-I/59, R 76-I/59a, R 76-I/59b, R 73/12517, R 4901/2932, R 4901/13269, NS 12/8602, R 9361-IX/Kartei/24131334; Staatliche Museen zu Berlin, Zentralarchiv, III/DMB 003; Zoologisches Forschungsmuseum Alexander König Bonn, NL Kummerlöwe.

Werke Vergleichende Untersuchungen über das Gonadensystem weiblicher Vögel. Mit besonderer Berücksichtigung des Persistierens von rechtsseitigen Keimgewebselementen im normalen Weibchen, in: Zeitschrift für mikroskopisch-anatomische Forschung 21/1930, H. 1/3, S. 1-156, 22/1930, H. 1/3, S. 259-413, 24/1931, H. 4, S. 455-631, 25/1931, H. 3/4, S. 311-319; mit Günther Niethammer, Beiträge zur Kenntnis der Avifauna Kleinasiens (Paphlagonien-Galatien), in: Journal für Ornithologie 82/1934, H. 4, S. 506-552, 83/1935, H. 1, S. 26-75; mit Klaus Günther, Geschichte und Aufgaben des Staatlichen Museums für Tierkunde in Dresden. Rede zur Eröffnung des Museums für Tierkunde 4. Oktober 1937, in: Abhandlungen und Berichte aus den Staatlichen Museen für Tierkunde und Völkerkunde in Dresden 20/1939, H. 1, S. 1-15; Zur Neugestaltung der Wiener wissenschaftlichen Staatsmuseen, in: Annalen des naturhistorischen Museums in Wien 50/1939, S. 24-39; Bibliographie der Säugetiere und Vögel der Türkei (rezente Fauna). Unter Berücksichtigung der benachbarten Gebiete und mit Hinweisen auf weiterführendes Schrifttum, Bonn 1986.

Literatur Günther Niethammer, Am 5. September 1973 vollendet Museumsdirektor a. D. Dr. phil. Hans Kumerloeve sein 70. Lebensjahr, in: Bonner Zoologische Beiträge 24/1973, H. 3, S. 161-164; Clas Michael Naumann, Zum Gedenken an Hans Kumerloeve, in: Bonner zoologische Beiträge 47/1997, H. 1-2, S. 189f.; Eugeniusz Nowak, Erinnerungen an Ornithologen, die ich kannte (3. Teil), in: Mitteilungen des Vereins Sächsischer Ornithologen 9/2002, H. 1, S. 1-46; ders., Wissenschaftler in turbulenten Zeiten. Erinnerungen an Ornithologen, Naturschützer und andere Naturkundler, Hohenwarsleben 2010; Maria Teschler-Nicola, Richard Arthur Hans K. alias Kumerloeve (1903-1995). Erster Direktor der wissenschaftlichen Museen in Wien in der NS-Zeit, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 142/2012, S. 279-304; Karin Müller-Kelwing, Zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden und ihre Mitarbeiter im Nationalsozialismus, Wien/Köln/Weimar 2020, S. 379-383 . – DBA III; Hans Christoph Stamm, K. [= Kumerloeve], Hans, in: Joachim Neumann u.a., Lebensbilder sächsischer Ornithologen, Hohenstein-Ernstthal 2010, S. 117f.

Porträt Hans K., um 1936, Fotografie, Bundesarchiv Berlin, R 76-I/59b Kurator der wissenschaftlichen Hochschulen in Wien/Personalakten, fol. 17v (Bildquelle).

Karin Müller-Kelwing
23.02.2021


Empfohlene Zitierweise:
Karin Müller-Kelwing, Artikel: Hans Kummerlöwe,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/29192 [Zugriff 19.5.2024].