Christian Schütz
S. zählte zu den Hauptakteuren der religionspolitischen Kämpfe in Kursachsen während der Regierungszeit des Kurfürsten August. Seine gegen das orthodoxe Luthertum gerichteten Einwirkungsversuche auf den Dresdner Hof scheiterten letztlich und führten 1574 zum Sturz der Kryptocalvinisten. – Der in Hessen geborene S. übersiedelte im Jugendalter ins albertinische Herzogtum Sachsen, da sein Vater zum Superintendenten in Rochlitz berufen worden war. An der Rochlitzer Lateinschule wurde S. auf ein Universitätsstudium vorbereitet, das er 1547 in Wittenberg begann. Dort entwickelte er sich rasch zu einem Anhänger Philipp Melanchthons, dessen Vermittlungstheologie er später konsequent gegen das orthodoxe Luthertum verteidigte. Nach einer kurzen Tätigkeit als Baccalaureus in Rochlitz erhielt S. 1550 das Pfarramt in Reinersdorf bei Großenhain übertragen. Im selben Jahr erwarb er den Magistergrad. Die folgenden, als beträchtliche Karrieresprünge zu wertenden geistlichen Ämter als Diakon an der Kreuzkirche in Dresden (1551) und als Superintendent in Chemnitz (1552) hatte S. jeweils nur kurz inne. Ende Januar 1553 erwirkte Herzog August beim Chemnitzer Stadtrat eine Freistellung von S. und nahm ihn zu seinen Verhandlungen über die finanzielle Unterstützung Kursachsens im zweiten Markgrafenkrieg gegen
Albrecht Alcibiades nach Dänemark mit. Als August im Sommer 1553 nach dem Tod seines Bruders Moritz überraschend Kurfürst wurde, erhielt S. die Stelle des Ersten Hofpredigers in Dresden. Neben seinen pastoralen Pflichten und der Tätigkeit als Erzieher der Prinzen
Alexander und Christian (des späteren Kurfürsten Christian I.) fungierte S. in diesem Amt auch als einflussreicher Berater des Kurfürsten in theologischen Fragen. So nahm S. an den Zusammenkünften mehrerer protestantischer Fürsten in Frankfurt/Main 1558 und Naumburg 1561 teil, die sich mit einer Neuunterzeichnung der Confessio Augustana befassten. Außerdem verhinderte er in Absprache mit Georg Major und Paul Eber, dass Kurfürst August einen Vertreter zum Maulbronner Kolloquium 1564 entsandte, wo auf Veranlassung Herzog
Christophs von Württemberg eine Annäherung von Lutheranern und Calvinisten in Fragen des Abendmahlsverständnisses erzielt werden sollte. In Kursachsen profilierte sich S. als einer der entschiedensten Gegner der orthodoxen Lutheraner (Gnesiolutheraner). Seine harsche Polemik gegen die Anhänger von Matthias Flacius in den Ephorien Chemnitz und Penig trug dazu bei, dass das kursächsische Kirchenwesen in den 1560er-Jahren durch die Dienstentlassung, Inhaftierung oder Landesverweisung zahlreicher Geistlicher erschüttert wurde. – Am Dresdner Hof stand S. im Gegensatz zu seinem Hofpredigerkollegen Philipp Wagner, der alle „kryptocalvinistischen“ Maßnahmen von S., vor allem die Unterstützung des Wittenberger Katechismus von 1571, die calvinistische Abendmahlslehre sowie die Einführung der reformierten Zürcher Bibelübersetzung an der Hofkirche, entschieden ablehnte. Wagner konnte sich in seiner Gegnerschaft zu S. des Beistands der sächsischen Kurfürstin Anna gewiss sein. Da zugleich auch S. mit dem Kanzler Georg Cracow, dem kurfürstlichen Leibarzt Caspar Peucer und dem Pirnaer Superintendenten Johann Stößel namhafte Anhänger um sich scharte, blieben Machtkämpfe nicht aus. Diese verschärften sich, als Kurfürst August nach dem Tod Wagners (1572) gegen die Erwartung von S. mit Georg Lysthenius einen noch streitbareren Gnesiolutheraner auf die freigewordene Zweite Hofpredigerstelle berief. Unter Berufung auf verdächtige Briefwechsel der S.schen Hofpartei nährte Lysthenius zusammen mit Gleichgesinnten bei August die Furcht vor konspirativen Umtrieben und hatte damit wesentlichen Anteil daran, dass der misstrauische Kurfürst im Frühjahr 1574 Zwangsmaßnahmen gegen die Universität Wittenberg verhängte und S. zusammen mit Cracow, Peucer und Stößel verhaften ließ. Dieser Sturz der Kryptocalvinisten kostete S. dauerhaft sein Amt. Denn zunächst war er nicht bereit, die im Sommer 1574 von seinem Nachfolger Martin Mirus und anderen Theologen ausgearbeiteten Torgauer Artikel zu unterzeichnen. Im Gegensatz zu Cracow, der in der Haft starb, wurde diese für S. in Hausarrest gemildert, da er sich letztlich doch zum lutherisch-orthodoxen Standpunkt beim Abendmahl bekannte. Nach dem Tod Augusts 1586 wurde auch der Hausarrest aufgehoben. Die Rückkehr in ein geistliches Amt blieb S. aber auch angesichts der neuerlichen religionspolitischen Wende unter Kurfürst Christian I., dessen theologische Ansichten einst von S. geprägt worden waren, versagt. Stattdessen haftete S. bis zu seinem Lebensende der Ruf einer höchst umstrittenen Persönlichkeit an, was sich auch daran zeigte, dass es anlässlich seiner Beisetzung im Januar 1592 in Dresden zu einem tumultuarischen Volksauflauf kam.
Literatur G. L. Zeißler, Geschichte der Sächsischen Oberhofprediger und deren Vorgänger in gleicher Stellung von der Reformation an bis auf die gegenwärtige Zeit, Leipzig 1856, S. 12-16; R. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen in den Jahren 1570 bis 1574 und die Schicksale seiner vornehmsten Häupter, Leipzig 1866; A. Kluckhohn, Der Sturz der Kryptocalvinisten in Sachsen 1574, in: Historische Zeitschrift 18/1867, S. 77-127; H.-P. Hasse, Zensur theologischer Bücher in Kursachsen im konfessionellen Zeitalter, Leipzig 2000, S. 304-322; H. Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005, S. 198f.; W. Sommer, Die lutherischen Hofprediger in Dresden, Stuttgart 2006, S. 49, 63-65, 89. – ADB 33, S. 109-111; DBA I.
Porträt Bildnis des Christian Sagittarivs, sive S., Unbekannter Künstler, 1651, Kupferstich, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Inv.-Nr. 44/16, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz].
Michael Wetzel
13.11.2019
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Christian Schütz,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3637 [Zugriff 23.11.2024].
Christian Schütz
Literatur G. L. Zeißler, Geschichte der Sächsischen Oberhofprediger und deren Vorgänger in gleicher Stellung von der Reformation an bis auf die gegenwärtige Zeit, Leipzig 1856, S. 12-16; R. Calinich, Kampf und Untergang des Melanchthonismus in Kursachsen in den Jahren 1570 bis 1574 und die Schicksale seiner vornehmsten Häupter, Leipzig 1866; A. Kluckhohn, Der Sturz der Kryptocalvinisten in Sachsen 1574, in: Historische Zeitschrift 18/1867, S. 77-127; H.-P. Hasse, Zensur theologischer Bücher in Kursachsen im konfessionellen Zeitalter, Leipzig 2000, S. 304-322; H. Junghans (Hg.), Das Jahrhundert der Reformation in Sachsen, Leipzig 22005, S. 198f.; W. Sommer, Die lutherischen Hofprediger in Dresden, Stuttgart 2006, S. 49, 63-65, 89. – ADB 33, S. 109-111; DBA I.
Porträt Bildnis des Christian Sagittarivs, sive S., Unbekannter Künstler, 1651, Kupferstich, Universitätsbibliothek Leipzig, Porträtstichsammlung, Inv.-Nr. 44/16, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle) [Public Domain Mark 1.0; dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Public Domain Mark 1.0 Lizenz].
Michael Wetzel
13.11.2019
Empfohlene Zitierweise:
Michael Wetzel, Artikel: Christian Schütz,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3637 [Zugriff 23.11.2024].