Ewald Jammers

J. war ein Bibliothekar und Musikwissenschaftler, dessen Bedeutung zum einen auf seine Tätigkeit zunächst als Leiter der Musikabteilung der Sächsischen Landesbibliothek (SLB) in Dresden und später in leitender Position an der Universitätsbibliothek Heidelberg und zum anderen auf seine Arbeiten zur älteren Musikgeschichte zurückzuführen ist. – Nach dem Besuch des Beethoven-Gymnasiums in Bonn begann J. ein Studium der Musikwissenschaft, Geschichte, Germanistik und Ethnologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, das er 1924 mit einer Promotion über die Jenaer Liederhandschrift sowie mit der Absolvierung des Staatsexamens in Germanistik 1925 abschloss. Nach dem Studium trat J. - finanziert durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft - ein Volontariat als Bibliothekar an der SLB in Dresden an. Nach seiner Anstellung als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter war er dort seit 1927 unter der Leitung Arno Reicherts in der Musikabteilung beschäftigt und beteiligte sich an der Entwicklung eines Signatursystems, das die bisweilen als unübersichtlich und verworren beschriebene Sammlung vereinheitlichte. Nachdem Reichert 1931 in den Ruhestand gegangen war, wurde J. die Leitung der Musikabteilung übertragen. Im folgenden Jahr erhielt er mit seiner Ernennung zum Landesbibliothekar den Titel eines Bibliotheksrats. 1939 erfolgte darüber hinaus die Berufung zum ordentlichen Mitglied des 1935 gegründeten Staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung. J. war neben Karl Assmann der einzige Mitarbeiter im höheren Dienst der SLB gewesen, der kein NSDAP-Mitglied war. – Im Sommer 1945 entschloss sich J. mit seiner Familie Dresden bzw. Radebeul, wo sie zuletzt gelebt hatten, zu verlassen. Seine Arbeitsstätte im Japanischen Palais war bereits im Zuge der Bombardierung Dresdens am 13. und 14.2.1945 zerstört worden, wodurch auch zahlreiche Bücher- und Sammlungsbestände der SLB verloren gingen. J. selbst schätzte den Verlust an Musikbänden auf 50.000 bis 55.000 Bände und ca. 12.500 Bände Musikliteratur. Er ging erneut ins Rheinland und wurde zunächst Aushilfslehrer am Gymnasium in Bergheim bei Köln, bevor er 1951 in den Bibliotheksdienst zurückkehrte und eine Stelle an der Landes- und Stadtbibliothek Düsseldorf annahm. Im folgenden Jahr fand er eine Anstellung in der Universitätsbibliothek in Heidelberg, die in der Folge neben Dresden zu seinem zweiten zentralen Wirkungsort werden sollte. J. blieb hier bis zum Eintritt in den Ruhestand 1961 tätig. Dabei erlangte er auch hier leitende Funktionen: So wurde er 1953 zum Leiter der Handschriftenabteilung ernannt und übernahm ab 1957 das Amt des stellvertretenden Direktors der Bibliothek. Neben seiner Tätigkeit als Bibliothekar betätigte sich J. auch in der Lehre. 1953 erhielt er einen Lehrauftrag für musikalische Paläografie am musikwissenschaftlichen Institut der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; 1956 wurde er Honorarprofessor für ältere Musikgeschichte und unterrichtete bis 1972 an der Universität. – Auch publizistisch war J. v.a. auf dem Gebiet der Musikgeschichte tätig. Er widmete sich der Erforschung der älteren Musikgeschichte und trat besonders durch seine Arbeiten zu mittelalterlichen Liederhandschriften und im Bereich der Choralforschung hervor. – Dass auch nach dem Weggang J.s aus Dresden die Kontakte zur SLB nicht vollends abbrachen, zeigt u.a. dessen umfangreicher Briefnachlass, der 2006 durch seinen Sohn Antonius der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden übergeben wurde und der sich seitdem in deren Handschriftensammlung befindet. Die Briefe verdeutlichen die freundschaftlichen Kontakte, die J. mit ehemaligen Kollegen und Mitarbeitern der SLB wie Karl Assmann und Martin Bollert pflegte. Darüber hinaus bieten diese Briefe vor allem für die schwierige Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen lebendigen Einblick in den komplizierten Arbeitsalltag der SLB und ihrer Angestellten und stellen somit wertvolle Dokumente zur Bibliotheksgeschichte dar.

Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftensammlung, Briefnachlass J., Nachlass Helmut Deckert, Mscr. Dresd., App 2600/F531.

Werke Untersuchungen über die Rhythmik und Melodik der Melodien der Jenaer Liederhandschrift, Diss. Bonn 1924 (gedruckt in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 7/1924/25, S. 265-304); mit H. Schreiber, Carmina vagantium quatuor, Dresden 1927; Das Karlsoffizium „Regali natus“, Leipzig 1934, Baden-Baden ²1984; Der gregorianische Rhythmus, Leipzig u.a. 1937, Baden-Baden ²1981; Die Essener Neumenhandschrift der Landes- und Stadt-Bibliothek Düsseldorf, Ratingen 1952; Der mittelalterliche Choral, Mainz 1954; Anfänge der abendländischen Musik, Straßburg/Kehl 1955; Musik in Byzanz, im päpstlichen Rom und im Frankenreich, Heidelberg 1962; Ausgewählte Melodien des Minnesangs, Tübingen 1963; Tafeln zur Neumenhandschrift, Tutzing 1965; Das königliche Liederbuch des deutschen Minnesangs, Heidelberg 1965; Das Alleluia in der Gregorianischen Messe, Münster 1973; (Hg.), Die sangbaren Melodien zu Dichtungen der Manessischen Handschrift, Wiesbaden 1979.

Literatur M. Bollert, Die Musikabteilung, in: Berichte über die Verwaltung der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zu Dresden auf das Jahr 1926, S. 38-40; O. Landmann/W. Reich (Bearb.), Führer durch die Musikabteilung der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Dresden 1980, S. 45f.; A. Jammers, Im Japanischen Palais wie ein Freiherr … Erinnerungen meines Vaters Ewald J. an seine alte Sächsische Landesbibliothek, in: T. Bürger/E. Henschke (Hg.), Bibliotheken führen und entwickeln, München 2002, S. 305-317; T. Bürger, Von Entnazifizierung und knurrenden Mägen, in: SLUB-Kurier 21/2007, H. 1, S. 16f.; ders., Dresdner Bibliothekare - emigriert, geflohen, geblieben, in: ebd., H. 2, S. 13-15; ders., Von Trümmern und klatschnassen Handschriften, in: ebd., H. 3, S. 14-16. – DBA II, III; E. H. Müller (Hg.), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929, Sp. 624; M. Honegger/G. Massenkeil (Hg.), Das große Lexikon der Musik, Bd. 4, Freiburg u.a. 1992, S. 233f. (WV); MGG 9, Kassel u.a. 22003, S. 867 (WV); W. Ruf (Hg.), Riemann Musiklexikon, Bd. 2, Mainz 132012, S. 469 (WV); K. W. Geck, Reichert, Arno Julius, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom ISGV, 2014.

Porträt Gruppenaufnahme der Mitarbeiter der Sächsischen Landesbibliothek, H. Bähr, 1932, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Henrik Schwanitz
8.4.2014


Empfohlene Zitierweise:
Henrik Schwanitz, Artikel: Ewald Jammers,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25157 [Zugriff 13.5.2024].

Ewald Jammers



Quellen Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Handschriftensammlung, Briefnachlass J., Nachlass Helmut Deckert, Mscr. Dresd., App 2600/F531.

Werke Untersuchungen über die Rhythmik und Melodik der Melodien der Jenaer Liederhandschrift, Diss. Bonn 1924 (gedruckt in: Zeitschrift für Musikwissenschaft 7/1924/25, S. 265-304); mit H. Schreiber, Carmina vagantium quatuor, Dresden 1927; Das Karlsoffizium „Regali natus“, Leipzig 1934, Baden-Baden ²1984; Der gregorianische Rhythmus, Leipzig u.a. 1937, Baden-Baden ²1981; Die Essener Neumenhandschrift der Landes- und Stadt-Bibliothek Düsseldorf, Ratingen 1952; Der mittelalterliche Choral, Mainz 1954; Anfänge der abendländischen Musik, Straßburg/Kehl 1955; Musik in Byzanz, im päpstlichen Rom und im Frankenreich, Heidelberg 1962; Ausgewählte Melodien des Minnesangs, Tübingen 1963; Tafeln zur Neumenhandschrift, Tutzing 1965; Das königliche Liederbuch des deutschen Minnesangs, Heidelberg 1965; Das Alleluia in der Gregorianischen Messe, Münster 1973; (Hg.), Die sangbaren Melodien zu Dichtungen der Manessischen Handschrift, Wiesbaden 1979.

Literatur M. Bollert, Die Musikabteilung, in: Berichte über die Verwaltung der Staatlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zu Dresden auf das Jahr 1926, S. 38-40; O. Landmann/W. Reich (Bearb.), Führer durch die Musikabteilung der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden, Dresden 1980, S. 45f.; A. Jammers, Im Japanischen Palais wie ein Freiherr … Erinnerungen meines Vaters Ewald J. an seine alte Sächsische Landesbibliothek, in: T. Bürger/E. Henschke (Hg.), Bibliotheken führen und entwickeln, München 2002, S. 305-317; T. Bürger, Von Entnazifizierung und knurrenden Mägen, in: SLUB-Kurier 21/2007, H. 1, S. 16f.; ders., Dresdner Bibliothekare - emigriert, geflohen, geblieben, in: ebd., H. 2, S. 13-15; ders., Von Trümmern und klatschnassen Handschriften, in: ebd., H. 3, S. 14-16. – DBA II, III; E. H. Müller (Hg.), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929, Sp. 624; M. Honegger/G. Massenkeil (Hg.), Das große Lexikon der Musik, Bd. 4, Freiburg u.a. 1992, S. 233f. (WV); MGG 9, Kassel u.a. 22003, S. 867 (WV); W. Ruf (Hg.), Riemann Musiklexikon, Bd. 2, Mainz 132012, S. 469 (WV); K. W. Geck, Reichert, Arno Julius, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom ISGV, 2014.

Porträt Gruppenaufnahme der Mitarbeiter der Sächsischen Landesbibliothek, H. Bähr, 1932, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Henrik Schwanitz
8.4.2014


Empfohlene Zitierweise:
Henrik Schwanitz, Artikel: Ewald Jammers,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/25157 [Zugriff 13.5.2024].