Michael Heinrich Griebner

Der umfassend gebildete G. stand für einen evolutionären Fortschritt in der Rechtswissenschaft, ohne die Grundlagen des bestehenden Privat-, Straf- und Kirchenrechts zu erschüttern. Im Staatsrecht wandte er sich jedoch gegen das römische Recht und prägte mit dem Rechtsgedanken des „territorium subordinatum” wesentlich die bereits ältere Lehre vom „territorium clausum”, womit insbesondere die kursächsischen Oberherrschaftsansprüche über die lehnsabhängigen, gleichwohl reichsunmittelbaren mitteldeutschen Fürsten und Grafen legitimiert werden sollten. Die posthum herausgegebenen Vorlesungen von G. bilden das erste Lehrbuch des neu entstehenden Privatfürstenrechts, das der gleichzeitig entstandenen „Jurisprudentia heroica” des Jenensers Burcard Gotthelf Struve an Systematik und Tiefenschärfe überlegen war. – Aufgewachsen im Haus seines Stiefvaters Lüder Mencke, 1702 erster Inhaber der neuen Professur für sächsisches Partikularrecht, studierte G. nach Privatunterricht und dem Besuch der Nikolaischule zunächst Theologie, Philosophie und Geschichte an der Universität Leipzig, wandte sich dann aber auf Rat Menckes der Rechtswissenschaft zu. Nach der Promotion zum Dr. jur. (1703) publizierte er für die „Acta Eruditorum“ und lehrte als Privatdozent Natur- und Zivilrecht. 1707 wurde G. nach Wittenberg berufen, wo er als Professor für Privatrecht eine fruchtbare Tätigkeit als Universitätslehrer entfaltete und bei zahlreichen Disputationen der Juristischen Fakultät präsidierte. 1717 ging er als Hof- und Justizrat nach Dresden und löste dort den großen Organisator Johann Friedrich Reinhardt als Geheimen Archivar ab, sah aber in dem Archivposten lediglich ein Sprungbrett für das ihm zugesicherte Leipziger Ordinariat. Gleichzeitig übernahm G. das Grenzreferat der Landesregierung. Für das Geheime Konsilium erarbeitete er zahlreiche Gutachten und erhielt 1722 den Auftrag, die für die kursächsische Territorialpolitik im mitteldeutschen Raum wichtigen Materialien aus dem Kammerarchiv herauszuziehen und zu spezifizieren. 1726 übernahm G. das durch den Tod seines Stiefvaters frei gewordene Ordinariat und damit zugleich die bedeutendste juristische Professur an der Leipziger Universität. Neben seiner Tätigkeit für die Bücherzensur hatte G. u.a. wesentlichen Anteil an der Formulierung des wichtigen sächsisch-preußischen Vertrags von 1728 über die wechselseitige Besitzgarantie für die jeweiligen säkularisierten Stifte. Außerdem gehörte er als Beisitzer dem Oberhofgericht und dem Schöppenstuhl in Leipzig sowie als Domherr dem Merseburger Domkapitel an. – G. hinterließ etliche Legate zu gelehrten und wohltätigen akademischen Zwecken; die Leipziger Universitätsbibliothek erhielt von ihm mehr als 500 Bücher. Seine umfangreiche Abschriftensammlung zur Verteidigung der kursächsischen Rechtsansprüche im mitteldeutschen Raum wurde in das Geheime Kabinettsarchiv integriert. Eine Sammlung von Manuskripten zur sächsischen Geschichte gelangte 1854 aus dem Nachlass G.s an die Königliche Bibliothek in Dresden.

Quellen L. C. Crell, Faustae diem solenni doctorum in utroque jure promotioni d. 20. Sept. 1703. ..., Leipzig 1703; Programma Funebre ... Domini Michaelis Henrici Gribneri ..., Leipzig 1734 (Gedächtnisschrift) (WV); Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Geheimes Kabinett.

Werke Principiorum jurisprudentiae naturalis libri IV, Wittenberg 1710, 1774; Principia processus iudicarii, Halle 1714, Jena 1743; Deduktionen: Gründliche Nachricht, was es mit denen zwischen Ihrer Königl. Majestät in Pohlen ... und dem Hauße Schwarzburg Anno 1699 und 1702 errichteten Rezessen vor eigentliche Bewandniß habe, [Dresden 1716]; Selectorum opusculorum juris publici Tomi quatuor, Halle 1722 (P); Kurtze vorläuffige Anzeige, was es mit den Territorial-Gerechtsamen des Churhaußes Sachßen in denen von der Cron Böheimb zu Lehn gegenden Schönburgischen Herrschaften ... vor Bewandniß habe, 1723; Dissertatio de jure teritorii subordinati, Leipzig 1727; Principia jurisprudentiae privatae Illustris, Erfurt/Leipzig 1745.

Literatur R. Stintzing/E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 3/1, München/Leipzig 1898 (WV); W. Ohnsorge, Das „Kursächsische Archiv” im Zeitalter des Absolutismus und Johann Friedrich Reinhardt, in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven, hrsg. von der Staatlichen Archivverwaltung, Berlin 1953, S. 80-103; N. Hammerstein, Jus und Historie, Göttingen 1973; D. Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, Köln/Wien 1975; K. Wensch, Archivgeschichte und Genealogie, in: R. Groß/M. Kobuch, Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, Weimar 1977, S. 145-167; J. Vötsch, Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/Main/Berlin/Bern/Wien 2003. – DBA I (WV), III; DBE 4, S. 161; J. H. Zedler, Großes Vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 11, Halle/Leipzig 1735, Sp. 886-889 (WV).

Porträt P. Mortzfeld (Bearb.), Katalog der graphischen Porträts in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1500-1850, Reihe A, Bd. 9, München u.a. 1989, A 8164, 8165 (Bildquelle).

Jochen Vötsch
17.6.2005


Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Michael Heinrich Griebner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1815 [Zugriff 20.12.2024].

Michael Heinrich Griebner



Quellen L. C. Crell, Faustae diem solenni doctorum in utroque jure promotioni d. 20. Sept. 1703. ..., Leipzig 1703; Programma Funebre ... Domini Michaelis Henrici Gribneri ..., Leipzig 1734 (Gedächtnisschrift) (WV); Sächsisches Staatsarchiv - Hauptstaatsarchiv Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Geheimes Kabinett.

Werke Principiorum jurisprudentiae naturalis libri IV, Wittenberg 1710, 1774; Principia processus iudicarii, Halle 1714, Jena 1743; Deduktionen: Gründliche Nachricht, was es mit denen zwischen Ihrer Königl. Majestät in Pohlen ... und dem Hauße Schwarzburg Anno 1699 und 1702 errichteten Rezessen vor eigentliche Bewandniß habe, [Dresden 1716]; Selectorum opusculorum juris publici Tomi quatuor, Halle 1722 (P); Kurtze vorläuffige Anzeige, was es mit den Territorial-Gerechtsamen des Churhaußes Sachßen in denen von der Cron Böheimb zu Lehn gegenden Schönburgischen Herrschaften ... vor Bewandniß habe, 1723; Dissertatio de jure teritorii subordinati, Leipzig 1727; Principia jurisprudentiae privatae Illustris, Erfurt/Leipzig 1745.

Literatur R. Stintzing/E. Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, Bd. 3/1, München/Leipzig 1898 (WV); W. Ohnsorge, Das „Kursächsische Archiv” im Zeitalter des Absolutismus und Johann Friedrich Reinhardt, in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven, hrsg. von der Staatlichen Archivverwaltung, Berlin 1953, S. 80-103; N. Hammerstein, Jus und Historie, Göttingen 1973; D. Willoweit, Rechtsgrundlagen der Territorialgewalt, Köln/Wien 1975; K. Wensch, Archivgeschichte und Genealogie, in: R. Groß/M. Kobuch, Beiträge zur Archivwissenschaft und Geschichtsforschung, Weimar 1977, S. 145-167; J. Vötsch, Kursachsen, das Reich und der mitteldeutsche Raum zu Beginn des 18. Jahrhunderts, Frankfurt/Main/Berlin/Bern/Wien 2003. – DBA I (WV), III; DBE 4, S. 161; J. H. Zedler, Großes Vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 11, Halle/Leipzig 1735, Sp. 886-889 (WV).

Porträt P. Mortzfeld (Bearb.), Katalog der graphischen Porträts in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1500-1850, Reihe A, Bd. 9, München u.a. 1989, A 8164, 8165 (Bildquelle).

Jochen Vötsch
17.6.2005


Empfohlene Zitierweise:
Jochen Vötsch, Artikel: Michael Heinrich Griebner,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/1815 [Zugriff 20.12.2024].