Wilhelm Kreis

K. war einer der bedeutendsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts. Er erlangte in vier politischen Systemen - vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland - Erfolg und Ansehen. Mit seinem Streben nach Monumentalität setzte K. Maßstäbe für die Baukunst des frühen 20. Jahrhunderts. In der Weimarer Republik gehörte er neben Paul Bonatz zu den bekanntesten und meistbeschäftigten Architekten. 1936 begann seine dritte Karriere im Dienst des nationalsozialistischen Staats. K. selbst bezeichnete sich in den 1930er-Jahren als „der Architekt Deutschlands“. In der Nachkriegszeit konnte er in der Bundesrepublik Deutschland seine Entwurfstätigkeit fortsetzen, doch auch in der DDR wurde er sehr geschätzt. In seinem Werk spiegeln sich wie bei keinem anderen Architekten die Höhen und Tiefen deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert. Sein Leben ist eng mit Sachsen verbunden, 1898 bis 1908 und 1926 bis 1938 wohnte er in Dresden. Als dortiger Hochschullehrer prägte er die nachfolgenden Architektengenerationen. Auf ihn gehen bedeutende Dresdner Bauten zurück, darunter die Augustusbrücke, das Hygiene-Museum und das Luftgaukommando. – K. studierte an den Technischen Hochschulen in München, Karlsruhe, Berlin und Braunschweig. 1896 erhielt er noch während seines Studiums den ersten Preis im Wettbewerb für das Leipziger Völkerschlachtdenkmal, dessen Ausführung ihm jedoch nicht übertragen wurde. Sein Entwurf war wegweisend für die Entwicklung des architektonischen Monumentaldenkmals im Gegensatz zum bis dahin verbreiteten Herrscherdenkmal. 1898 beteiligte sich K. an einem Wettbewerb der Deutschen Studentenschaft, bei dem es um die Gestaltung von Bismarcksäulen ging, wobei sein Entwurf „Götterdämmerung“ zur Ausführung empfohlen wurde. K.s ungewohnt kraftvolle und monumentale Architektursprache kam den Erwartungen des deutschnationalen Bürgertums entgegen. Nach seinem Entwurf wurden in Deutschland zwischen 1900 und 1911 mehr als 50 Bismarcksäulen und -türme errichtet, u.a. in Markneukirchen (1900), Görlitz (1901), Freiberg (1902), Plauen (1902), Dresden (1906) und Radebeul-Oberlößnitz (1907). Bei den Bismarcktürmen wie auch bei seinem Entwurf für das Bismarck-Nationaldenkmal bei Bingen/Rhein (1911), beim Museum für Vorgeschichte in Halle/Saale (1911-1913) und bei der Bismarck-Gedächtnishalle in Stettin (poln. Szczecin) (1913-1915) griff K. auf Bauformen der römischen Kaiserzeit sowie auf altgermanische Bautraditionen zurück, die man im Theoderich-Grabmal in Ravenna (Italien) verkörpert glaubte. – Paul Wallot holte K. 1898 nach Dresden, wo der junge Architekt an der Ausgestaltung des Ständehauses mitwirkte. 1902 berief man ihn als Lehrer an die neu eingerichtete Abteilung Raumkunst der Kunstgewerbeschule. In Dresden entstanden seine ersten Wohnhausentwürfe. Für den Fabrikanten Karl August Lingner erweiterte er 1900 die Vorstadtvilla Leubnitzer Straße 30 und gestaltete 1906 bis 1908 die Villa Stockhausen (sog. Lingnerschloss) um. Die alte Augustusbrücke in Dresden, die durch eine zu enge Stellung der Brückenbögen den Schiffsverkehr behinderte, ersetzte K. 1906 bis 1910 durch einen Neubau. Mit der in Barockformen gestalteten Augustusbrücke bewies K. seine Fähigkeit, einen modernen Großbau einfühlsam in das historische Stadtbild einzufügen. K., der zusammen mit Fritz Schumacher, Hans Erlwein und William Lossow der Dresdner Künstlervereinigung „Die Zunft“ angehörte, beteiligte sich an wichtigen Kunstausstellungen. Er gestaltete die Große Skulpturenhalle der Internationalen Kunstausstellung 1901 in Dresden, den Majolikasaal der Internationalen Ausstellung für dekorative Kunst 1902 in Turin (ital. Torino) sowie Räume auf der Weltausstellung 1904 in St. Louis (USA), und er errichtete das „Sächsische Haus“ der Dritten Deutschen Kunstgewerbeausstellung 1906 in Dresden. Für die Internationale Baufachausstellung 1913 in Leipzig baute er die erhalten gebliebene Betonhalle auf dem alten Messegelände. – 1908 wurde K. als Direktor an die Düsseldorfer Kunstgewerbeschule berufen, an der er eine Architekturabteilung aufbaute. Daneben betrieb er ein eigenes Architekturbüro. Er entwarf Landhäuser und Villen, errichtete im Schwarzwald das Genesungsheim Bühlerhöhe (1911-1913) und baute große Warenhäuser für die Kaufhauskette Tietz, darunter in Elberfeld (1911), Essen (1911/12), Köln (1911-1914) und Chemnitz (1912/13). – Am Ersten Weltkrieg nahm K. als Kriegsfreiwilliger teil. Er wurde an der Somme verwundet und 1917 zum Leutnant der Reserve ernannt. In den Kriegsjahren entstanden Entwürfe für Soldatenfriedhöfe und Ehrenmäler in Frankreich und Belgien. Nach dem Ersten Weltkrieg fand K., der seit 1920 die Architekturabteilung der Düsseldorfer Kunstakademie leitete, zu einer sachlichen und vereinfachten Architektursprache, ohne jedoch sein Streben nach Monumentalität aufzugeben. In den 1920er-Jahren erhielt er bedeutende Aufträge, die ihn zu einem der wichtigsten Architekten der Weimarer Republik machten. Mit dem Wilhelm-Marx-Hochhaus in Düsseldorf (1922-1924) baute er das erste größere Hochhaus im Rheinland. Es folgten 1924 bis 1926 die Bauten der GESOLEI-Ausstellung in Düsseldorf. Mit den Ausstellungshallen samt Museum, dem imposanten Ehrenhof und dem überkuppelten Planetarium setzte er Maßstäbe für die neuzeitliche Ausstellungsarchitektur. 1926 holte man ihn nach Dresden, wo er den Lehrstuhl für Architektur an der Kunstakademie übernahm und zugleich den Auftrag erhielt, das Deutsche Hygiene-Museum zu errichten. Das 1928 bis 1930 erbaute Ausstellungsgebäude in der Hauptachse des Großen Gartens wirkt mit seinen strahlend weißen Fassaden und seinen flachen Dächern sehr sachlich, entfaltet aber durch seine axiale Ausrichtung und seine monumentale Grundhaltung zugleich eine suggestive Wirkung. Es zeigt ebenso wie der Bahnhof in Meißen (1927/28), dass K. damals für eine funktionalistische, betont moderne Architektur eintrat. 1926 wurde K. zum Präsidenten des Bunds deutscher Architekten (BDA) gewählt, 1929 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Technischen Hochschule Dresden und 1931 ernannte ihn das American Institute of Architects zum Ehrenmitglied. 1932 gestaltete er den Sarkophag für den letzten sächsischen König Friedrich August III. in der Dresdner Hofkirche. – Nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ verlor K. seine Position als Präsident des BDA sowie seine Stellung im Bauausschuss des Völkerbunds. Zeitweise erhielt er keine Aufträge mehr. Doch mit seinem hochgelobten Entwurf für das Luftgaukommando in Dresden kehrte K., der seit 1933 Mitglied der NSDAP war und seine deutschnationale und preußische Gesinnung nie verleugnet hatte, in die Reihe der führenden deutschen Architekten zurück. Das groß angelegte Luftgaukommando im Garten der früheren Königlichen Villa in Dresden-Strehlen wurde 1936 bis 1938 ausgeführt. Adolf Hitler erteilte K. persönlich den Auftrag für das Dresdner Gauforum, das gegenüber dem Hygiene-Museum entstehen sollte. Albert Speer holte den Architekten 1938 nach Berlin, wo er die Baupläne für wichtige Monumentalbauten an der geplanten Nord-Süd-Achse zu erstellen hatte. K. entwarf die megalomanische Soldatenhalle, das Oberkommando der Wehrmacht und ein Museumsquartier gegenüber der Berliner Museumsinsel. Das Gegenstück dieser Monumentalbauten sind die von K. entworfenen „Totenburgen“, mit denen man in den eroberten und besetzten Gebieten die Gefallenen der deutschen Wehrmacht verherrlichen und die Macht des Großdeutschen Reichs herausstellen wollte. Inhaltlich wie formal wiederholte K. mit den „Totenburgen“ die Gedanken seiner architektonischen Großdenkmale des frühen 20. Jahrhunderts. Seit 1940 war K. Generalbaurat für die Deutschen Kriegerfriedhöfe und seit 1943 Präsident der Reichskammer der bildenden Künste. – Das Kriegsende empfand K. als Zusammenbruch. Er lebte zunächst in ärmlichen Verhältnissen in München und zog dann 1947 zu seinem Neffen Helmut Arntz in die von ihm 1911 bis 1913 umgebaute Burg Arntz in Honnef am Rhein. Dort gründete er 1949 abermals ein Architekturbüro, doch viele seiner Entwürfe konnten aus wirtschaftlichen Gründen nicht ausgeführt werden. 1950 bis 1952 errichtete er den Neubau der Landeszentralbank Dortmund. Seine Pläne aus den 1950er-Jahren sind stark von der internationalen Nachkriegsmoderne beeinflusst. K. bewies damit abermals, wie sehr er es verstand, die aktuellen Architekturentwicklungen aufzunehmen und zu verarbeiten. 1953 wurde er aufgrund seiner Verdienste für die deutsche Architektur mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. K. starb 1955 kinderlos.

Werke Bauwerke: Vorstadtvilla Leubnitzer Straße 30 Dresden, 1900; Bismarckturm Markneukirchen, 1900; Burschenschaftsdenkmal Eisenach, 1900-1902; Internationale Kunstausstellung Dresden, Gestaltung der Großen Skulpturenhalle, 1901; Bismarckturm Görlitz, 1901; Internationale Ausstellung für dekorative Kunst Turin, Gestaltung des Majolikasaals, 1902; Bismarckturm Freiberg, 1902; Bismarckturm Plauen, 1902; Bismarckturm Dresden-Räcknitz, 1906; Dritte Deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden, Gestaltung des Sächsischen Hauses, 1906; Lingnerschloss Dresden, 1906-1908; Augustusbrücke Dresden, 1906-1910; Bismarckturm Radebeul-Oberlößnitz, 1907; Kaufhaus Tietz Elberfeld, 1911; Kaufhaus Tietz Essen, 1911/12; Kaufhaus Tietz Köln, 1911-1914; Bühlerhöhe Bühl, 1911-1913; Museum für Vorgeschichte Halle/Saale, 1911-1913; Burg Arntz Bad Honnef, 1911-1913; Kaufhaus Tietz Chemnitz, 1912/13; Bismarck-Gedächtnishalle Stettin, 1913-1915; Wilhelm-Marx-Hochhaus Düsseldorf, 1922-1924; Bahnhof Meißen, Empfangsgebäude, 1927/28; Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 1928-1930; Luftgaukommando Dresden, 1936-1938; Schriften: mit A. Preiss, Wilhelm K., Berlin/Leipzig/Wien 1927.

Literatur R. Katz, Wilhelm K. - Seine Ideen und ausgeführten Werke, Stuttgart 1902; C. Meißner, Wilhelm K., Essen 1925; M. Osborn, Neuere Bauten von Architekt Prof. Dr. Wilhelm K., Düsseldorf/Berlin 1926; H. Stephan, Wilhelm K., Oldenburg 1944; H. K. F. Mayer/G. Rehder, Wilhelm K., Essen 1953; F. Löffler, Das alte Dresden. Geschichte seiner Bauten, Leipzig 1981; W. Nerdinger/E. Mai (Hg.), Wilhelm K. - Architekt zwischen Kaiserreich und Demokratie 1873-1955, München/Berlin 1994 (WV). – DBA II, III; DBE 6, S. 92; NDB 12, S. 736f.; Thieme/Becker, Bd. 21, Leipzig 1999, S. 485-487; Vollmer, Bd. 3, Leipzig 1999, S. 117.

Porträt H. Erfurth, nach 1920, Fotografie, Privatbesitz Jan Weijers, Niederlande (Bildquelle).

Matthias Donath
12.6.2012


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Wilhelm Kreis,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10234 [Zugriff 12.5.2024].

Wilhelm Kreis



Werke Bauwerke: Vorstadtvilla Leubnitzer Straße 30 Dresden, 1900; Bismarckturm Markneukirchen, 1900; Burschenschaftsdenkmal Eisenach, 1900-1902; Internationale Kunstausstellung Dresden, Gestaltung der Großen Skulpturenhalle, 1901; Bismarckturm Görlitz, 1901; Internationale Ausstellung für dekorative Kunst Turin, Gestaltung des Majolikasaals, 1902; Bismarckturm Freiberg, 1902; Bismarckturm Plauen, 1902; Bismarckturm Dresden-Räcknitz, 1906; Dritte Deutsche Kunstgewerbeausstellung Dresden, Gestaltung des Sächsischen Hauses, 1906; Lingnerschloss Dresden, 1906-1908; Augustusbrücke Dresden, 1906-1910; Bismarckturm Radebeul-Oberlößnitz, 1907; Kaufhaus Tietz Elberfeld, 1911; Kaufhaus Tietz Essen, 1911/12; Kaufhaus Tietz Köln, 1911-1914; Bühlerhöhe Bühl, 1911-1913; Museum für Vorgeschichte Halle/Saale, 1911-1913; Burg Arntz Bad Honnef, 1911-1913; Kaufhaus Tietz Chemnitz, 1912/13; Bismarck-Gedächtnishalle Stettin, 1913-1915; Wilhelm-Marx-Hochhaus Düsseldorf, 1922-1924; Bahnhof Meißen, Empfangsgebäude, 1927/28; Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 1928-1930; Luftgaukommando Dresden, 1936-1938; Schriften: mit A. Preiss, Wilhelm K., Berlin/Leipzig/Wien 1927.

Literatur R. Katz, Wilhelm K. - Seine Ideen und ausgeführten Werke, Stuttgart 1902; C. Meißner, Wilhelm K., Essen 1925; M. Osborn, Neuere Bauten von Architekt Prof. Dr. Wilhelm K., Düsseldorf/Berlin 1926; H. Stephan, Wilhelm K., Oldenburg 1944; H. K. F. Mayer/G. Rehder, Wilhelm K., Essen 1953; F. Löffler, Das alte Dresden. Geschichte seiner Bauten, Leipzig 1981; W. Nerdinger/E. Mai (Hg.), Wilhelm K. - Architekt zwischen Kaiserreich und Demokratie 1873-1955, München/Berlin 1994 (WV). – DBA II, III; DBE 6, S. 92; NDB 12, S. 736f.; Thieme/Becker, Bd. 21, Leipzig 1999, S. 485-487; Vollmer, Bd. 3, Leipzig 1999, S. 117.

Porträt H. Erfurth, nach 1920, Fotografie, Privatbesitz Jan Weijers, Niederlande (Bildquelle).

Matthias Donath
12.6.2012


Empfohlene Zitierweise:
Matthias Donath, Artikel: Wilhelm Kreis,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/10234 [Zugriff 12.5.2024].